Humboldt in Gotha

/ September 25, 2019

Die derzeit allerorts und vielfältig begangenen Jubiläumsfeiern zu Alexander von Humboldts 250. Geburtstag und 160. Todestag sind Anlass, auch in den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha nach Spuren Humboldts zu suchen.

Der faszinierende Naturforscher und Entdecker begegnet in zahlreichen Erstausgaben, die in den Buchsammlungen der Forschungsbibliothek zusammengetragen sind. Deren früheste ist Humboldts 1790 erschienene Studie über den rheinischen Basalt, die er Georg Forster widmete und damit demjenigen, der ihn zu seinen großen Forschungsreisen inspirierte. Humboldt persönlich schenkte den Druck an die Bibliothek der Gothaer Herzöge.1)

Vor allem aber ist Humboldt in der Sammlung Perthes präsent. Sie bewahrt die Zeugnisse des „Physikalischen Atlas“ von Heinrich Berghaus, der als „Atlas der physischen Erdkunde“ die kartographische Visualisierung von Humboldts „Kosmos“ ist.2) Im Zusammenhang der Herausgabe der ersten und mit Humboldts „fördernder Anregung“ erschienenen zweiten Auflage (1838-1848, 1849-1863) des „Physikalischen Atlas“ überliefert die Sammlung Perthes verstreute Bruchstücke der Korrespondenz Humboldts mit Heinrich Berghaus und Bernhardt Perthes, der ab 1853 den Verlag führte. Dessen früher Tod im Oktober 1857 war Humboldt Anlass zu einem längeren Kondolenzschreiben an die Witwe Minna Perthes.

Verbindung mit Humboldt hielt vor allem August Petermann, der – von Bernhardt Perthes gewonnen – seit 1854 als Chefkartograph des Perthes Verlages wirkte. Als Schüler in Heinrich Berghaus‘ „Geographischer Kunstschule“ in Potsdam erlernte Petermann in den frühen 1840er Jahren auch an Karten für den „Physikalischen Atlas“ das kartographische Handwerk.3) Dem in Berlin wirkenden Humboldt dürfte Petermann bei Berghaus, in dessen Haushalt er lebte, auch persönlich begegnet sein. Mehr als ein Jahrzehnt später nutzte Petermann diese Verbindungen, um Humboldt für seine 1855 begründete geographisch-kartographische Fachzeitschrift als zugkräftigen Autor zu gewinnen. Es ging um eines der zentralen Themen Humboldts, den von ihm selbst vermessenen Höhen des südamerikanischen Kontinents, insbesondere des Popocatepetl. Der Hochbetagte beließ es bei einem Brief, in dem er den Kritikern seiner trigonometrischen Höhenmessungen entgegentrat, und den Petermann durch Ergänzung von Fußnoten zu einem Beitrag seiner Zeitschrift machte.4)

Neben diesen Zeugnissen des wissenschaftlichen Wirkens Humboldts, die ihn mit Gotha verbinden, findet in den Überlieferungen der Sammlung Perthes auch jene, nahezu kultische Verehrung ihren Niederschlag, die den Verfasser des „Kosmos“ in den bürgerlichen Wohnstuben des 19. Jahrhunderts zu einem vielfach gelesenen Autor machte. Gleich mehrfach findet sich auch in der Sammlung Perthes eine jener ikonischen, als Lithographie weitverbreiteten Darstellungen, die den alternden Humboldt in seinem Berliner Quartier inmitten der Utensilien seiner jahrzehntelangen Forschertätigkeit zeigt (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Alexander von Humboldt in seinem Berliner Arbeitszimmer, Lithographie nach Eduard von Hildebrandt, 1845. Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH.

Und unter den wenigen Humboldt-Autographen des Archivs der Sammlung Perthes liegt ein kleines Blatt mit einem Gedicht, das in den „Geburtstagskranz des Altmeisters aller Wissenschaften Alexander von Humboldt“ ein „Feldblümchen“ windet (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: August Petermann [?], Gedicht auf Alexander von Humboldts 90. Geburtstag, Handschrift, 1885. Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH PGM 614, 11r-12v, hier 11r.

Die – im besten Sinne des Wortes – dilettantische Gelegenheitsdichtung eines Humboldtverehrers gratuliert in Form eines Gesprächs zwischen Tod, dem heiligen Petrus und Gott zum 90. Geburtstag Humboldts am 14. September 1858. Im klappernden Versmaß und holprigen Reim spielt das Gedicht augenzwinkernd auf Humboldts Entdeckerlust und seine bis ins hohe Alter ungebrochene Produktivität an. Sprachgestus und Handschrift sprechen dafür, dass jener Verehrer kein anderer als August Petermann selbst war. Ob das Gedicht den Jubilar erreicht hat, ist nicht bekannt. Ein reichliches halbes Jahr später hatte der Tod den „Genius“ Humboldts dann doch zu sich geholt. Ein Jahrzehnt später, anlässlich der ersten Humboldt-Gedächtnisfeierlichkeiten, war es Petermann, der eine erste kartographische Synthese der Forschungsreisen Humboldts publizierte.5)

1) Alexander Humboldt, Mineralogische Beobachtungen über einige Basalte am Rhein, Braunschweig 1790, FBG Math 8° 01222/06.

2) Alexander Humboldt an Heinrich Berghaus, Berlin, 20.12.1827, in: Briefwechsel Alexander von Humboldts mit Heinrich Berghaus, 3 Bde., 2. Auflage, Jena 1869, hier Bd. I, S. 118. – Die von 1838 bis 1848 erschienene und geschlossen äußerst selten überlieferte erste Auflage wurde 2018 nach den Produktionsunterlagen und Belegexemplaren des Justus Perthes Verlages von der WBG Darmstadt neu verlegt.

3) Gerhard Engelmann, August Petermann als Kartographenlehrling bei Heinrich Berghaus in Potsdam, in: Petermann Geographische Mitteilungen 106 (1962), S. 161–182.

4) Alexander von Humboldt, Über die Höhe des mexikanischen Vulkans Popocatepetl, in: Mitteilungen aus Justus Perthes Geographischer Anstalt [2] 1856, S. 479– 481.

5) August Petermann, Übersichtskarte von Alexander v. Humboldts Reisen 1798–1829, in: Mitteilungen aus Justus Perthes Geographischer Anstalt 15 (1869), S. 292–294, mit Tafel 16.


Edition
August Petermann [?], Gedicht auf Alexander von Humboldts 90. Geburtstag

Transkription: Sven Ballenthin/Petra Weigel

Zum 14. September. 1858
Ein Feldblümchen in den Geburtstagskranz des Altmeisters aller Wissenschaften.
Alexander von Humboldt.

Der Tod sah seine Liste nach
und bei dem Namen „Humboldt“ sprach
er schmunzelnd: „Halt, den streich ich an,
der muß nun auch mitkommen dran!
Ist heute gerade neunzig Jahr,
ein ziemlich Alter, das, fürwahr.
S’ist ja nach Mosis Psalmenziel
zehn Jahre mind‘stens schon zu viel.
Auch glaub ich fast, der Alte hat
es jetzt auf Erden selbst schon satt,
denn da ist doch, bei meiner Ehr‘,
nichts, was ihm unbekannt noch wär‘!
In Welten, wahrlich, kaum entdeckt
hat er die Nase schon gesteckt.
Was Kunst und Wissenschaft ersann,
in Allem ist zu Haus der Mann;
drum muß er auch, bei solchen Gaben,
auf Erden lange Weile haben.“ –
Drauf fiel St. Petrus mürrisch ein:
„Mit Humboldt – das laß ja noch sein,
der macht gewiß bei seinem Tod
dem lieben Gott selbst große Noth.
Zur Hölle – das erkenn ich an,
da ist nun kein Gedanke dran,
und in den Himmel – ja fürwahr,
schon der Gedanke sträubt mir’s Haar!
Der stöbert aus die Himmelsburg
In wenig Jahren durch und durch.
Und was das Schlimmste bei dem Alten –
vermag nicht seinen Mund zu halten,
der plaudert aus dem Himmelshaus
dann die geheimsten Sachen aus.
So treibt er’s lang ja schon auf Erden.
Läßt alles kund und ruchbar werden.
Wo es für ihn was Neues gab,
da ist’s, als bräch‘s das Herz ihm ab.
Behalten kann er’s nicht allein,
schreibt‘s brühwarm in die Welt hinein.

Hat jüngst den Kosmos gar geschrieben,
drin ist’s als wäre er vom lieben
Gott im Laboratorium
geführet worden selbst herum.
Sollt‘ einen Ort ich ihm ertheilen,
der müßte Trillionen Meilen
hinaus hoch über’n letzten Stern,
das wär‘ was für den alten Herrn!“
Der liebe Herrgott hört’s und sprach:
„Gemach, ihr lieben Herrn, gemach.
Mit Humboldts hat’s noch gar nicht Eile,
der soll noch eine ganze Weile
auf Erden wallen wohlgemuth,
soll’s dort auch haben einmal gut.
Dort mag er von den Werken mein
noch lange Zeit Verkünder sein.
Sein Geist und Körper aber sei
von jeder Last des Alters frei,
bis daß ein neuer Weltallsschweif
für ihn ist erst geworden reif.
Denn fast wär’s Noth, daß her sich stellt‘
für ihn ganz eine neue Welt.
Auch misste wohl den alten Herrn
sein königlicher Freund nicht gern,
der säh‘ auf seinem Sanssouci
wohl wieder einen Humboldt nie.
Drum mag er immer vor der Hand
verweilen noch im Erdenland.
Und wenn ich einst ihn von der Erde
zum höh‘ren Licht rufen werde,
dann nah‘, Tod, ihm als Genius
und ruf‘ ihn leicht mit sanftem Kuß!“
Tod und Sankt Petrus neigten sich
und sprachen fromm und feierlich:
„Dein Will‘ geschehe immerdar!“
Und von der Himmelsbürgerschar,
als sie gehöret Humboldts Namen,
erscholl es wie ein himmlisch „Amen“! –



                                        
                    
                    
                    
Share this Post