Von Mutter und Sohn – der Briefwechsel zwischen Minna und Bernhard II. Wilhelm Justus Perthes in der Sammlung Perthes Gotha

/ Februar 3, 2020

Ganz im Sinne einer „Grand Tour“ stand Bernhard II. Wilhelm Perthes (1858-1919), der künftige und einzige überlebende männliche Erbe der Geographischen (Verlags-)Anstalt Justus Perthes Gotha, kurz vor Antritt der dritten Station seiner von 1876 bis 1881 andauernden Lehr- und Dienstjahre. Aus diesem Anlass schrieb seine Mutter, Minna Perthes (1826-1884), am 17. August 1877 folgende mahnende Worte:

„[H]offentlich wirst du […] dich recht bemühen u[nd] anstrengen, Alles das zu lernen was dir Noth thut, denn das Leben besteht nicht in Genuß allein, sondern vor allen Dingen in Mühen u[nd] Arbeiten […].“ (Anm. 1)

Jene Lehr- und Dienstreisen führten den jungen Bernhard II. von einer buchhändlerischen Ausbildung im Hamburger Verlag von Lucas Gräfe, die aufgrund seiner Asthmaerkrankung abgebrochen werden musste, über einen Kuraufenthalt in St. Moritz schließlich nach Neuchâtel. Dort wohnte er bei der Familie von Louis I. Wittnauer, einem Rentier, Pensionär, Weinfabrikant und ehemaligen Hamburger Hotelier (Anm. 2). Ziel des Aufenthaltes war es, neben dem Erlernen des Französischen, geografische Kurse an der hiesigen Académie zu besuchen. (Anm. 3)

Abb. 1: Ganzfigurige Porträtfotografie Bernhard II. Perthes (SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 178r)

Als Gruß an seine Mutter, die voller Sorge auf beständigen Schriftwechsel beharrte, entstand am 13. April 1878, nach Beendigung des samstäglichen Nachmittagsrittes, diese ganzfigurige, monochrome Porträtfotografie (Abb. 1). Sie zeigt den 20-jährigen Bernhard in Reitstiefeln und entsprechendem Kostüm, ausstaffiert mit Melone und Reitgerte vor einem einfachen Stoffhintergrund. Im dazugehörigen, einen Tag später verfassten Brief an seine Mutter beschreibt er, wie die Fotografie zustande kam.

Als ich gestern Abend um 6 Uhr von meinem Sonnabend=Nachmittags=Ritt nach Hause ging, bemerkte ich auf dem Platz vor der Académie, wo jetzt eine Art Jahrmarkt ist [,] die Bude eines Augenblicks-Photographen! Um Dir einen Spass zu machen, ging ich rasch entschlossen hinein […]. Das Bild ist zwar ganz schrecklich geworden, aber giebt Dir doch von meiner jetzigen, äusseren Erscheinung eine ungefähre Vorstellung. Du findest mich vielleicht etwas verändert, besonders was die Grösse anbelangt […].“  (Anm. 4)

Minnas Reaktion auf den Brief fiel jedoch, zu Bernhards Betrübnis (Anm. 5), anders aus – zwar durchaus erfreut, jedoch verwundert und in Sorge um den Gesundheitszustand ihres „hohläugig u[nd] hohlbackig“  (Anm. 6) wirkenden Jungen.

Die aufgeführten Zeugnisse geben einen Einblick in die eng und innig wirkende Beziehung von Mutter und Sohn (Abb. 2). Sie entstammen den umfassenden Korrespondenzen zwischen Bernhard II. und Minna, die im Nachlass von Bernhard II. Wilhelm Justus Perthes in der Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha überliefert sind. Über acht Jahre lang, genauer von 1876, dem Antritt seiner Lehrjahre, bis zum Tod von Minna Perthes im Jahr 1884 schrieben sie sich abwechselnd, in beinahe wöchentlichem Rhythmus.

Abb. 2: Minna Perthes mit ihrem Sohn Bernhard II. Perthes (Forschungsbibliothek Gotha, Bildarchiv Nr. 20, 3)

So schreibt Minna am 04. Juli [18]77 vor dem Kurantritt Bernhards:

„[E]s ist mir doch ein bis[s]chen ungemüthliches Gefühl, dich nun so allein in der Welt herum laufen zu lassen, u[nd] mit solcher Ruhe kann ich unter wohl nicht mehr an Dich denken, wie das letzte Jahr wo ich dich so wohlauf gehoben wußte, aber es muß ja Alles gelernt u[nd] durchgemacht werden, Du mein alter Junge kannst es mir sehr erleichtern, wenn Du mir recht oft Nachricht gibst wie es dir geht u[nd] was du treibst, jede Woche bestim[m]t einen Brief u[nd]  zwischendurch mal eine Karte, ich bin mit wenig Worten zufrieden, Du hast ja auch Zeit, u[nd] weißt wie es zu meinem täglichen Lebensglück gehört wenn ich immer Nachricht habe.“ (Anm. 7)

Neben alltäglichem Klatsch und Tratsch, persönlichen Neuigkeiten, Problemen, Wünschen, Ratschlägen oder Belehrungen werden Ängste, Freude, Trauer oder Hoffnung geteilt. Hervorzuheben sind dabei die Bemühungen des jungen Bernhard um die eigene Selbstständigkeit, die im beständigen Spannungsverhältnis zur Sorge Minnas um die Ausbildung und das Befinden ihres Sohnes, den einzigen Firmenerben, stehen. Beispielhaft für das Bestreben Bernhards sind besonders nachstehende Zitate. Zum einen ein Brief vom 25. März 1877, in dem er seinen Standpunkt bezüglich der Wahl der Ausbildungsschritte nach Abbruch der Ausbildung bei Gräfe erläutert:

„Ich glaube ich muss mir jetzt meine eigene selbstständige Meinung bilden und danach handeln, dadurch allein komme ich vorwärts! Durch die Lage der Verhältnisse bin ich gezwungen vielleicht eher selbstständig zu werden, als mancher Anderer, glaube mir ich habe nie den Mangel einer bestimmten männlichen Leitung so sehr empfunden, als gerade jetzt, aber ich muss ja darüber wegkommen, und es wird gehen!“ (Anm. 8)

Zum anderen bezugnehmend auf seinen Reisewillen und zum „Studentenleben“ im schweizerischen Neuchâtel, der Brief vom 28. September 1877:

„Ich führe jetzt etwas Studentenleben, und hoffe sehr, dass es mir vergönnt ist auch noch an anderen Orten ein solches zu führen. Ich will meine Zeit, die ich draussen in der Welt zubringe nicht als Comptoirhocker verbringen, dazu hab ich in Gotha dereinst noch Zeit genug.“ (Anm. 9)

Seine „Grand-Tour“ führte Bernhard II. Perthes im Anschluss an die Zeit in Neuchâtel weiter über ein Dienstjahr bei den Bonner Königshusaren, zu (Bildungs-) Aufenthalten in London, Paris, Leipzig und Wien. Ende 1881 kehrte er als alleiniger Geschäftsführer der Verlagsanstalt Perthes nach Gotha zurück und beendete damit die sogenannte „Interimszeit“ der nach dem Tod seines Vaters, Bernhardt I. Perthes (1821-1857), eingesetzten Geschäftsführer Rudolf Besser (1811-1883) und Adolf Müller (1820-1880).

Die während seiner Ausbildung gewonnenen buchhändlerischen und technischen Fähigkeiten, seine Netzwerke sowie sein geografisches Wissen brachte er in die Firma ein. So förderte er unter anderem die Schulkartographie, führte technische Neuerungen ein, baute die Verlagsanstalt zu einem industriellen Unternehmen aus und trug somit maßgeblich zum Erfolg des Perthes Verlag bei.

Autorin: Sarah Kühnel

Die Verfasserin hat 2019 den Masterstudiengang „Sammlungsbezogene Wissens- und Kulturgeschichte“ an der Universität Erfurt erfolgreich abgeschlossen.

Anmerkungen:

Anm. 1: Brief Minna Perthes an Bernhard II. Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 36r-38v, hier Bl. 36v.

Anm. 2: Die Informationen zu Louis I. Wittnauer wurden dem Bericht Bernhard II. Perthes über den beruflichen Werdegang seines Pensionsvaters entnommen. Sie stammen aus dem an Minna Perthes adressierten Brief vom 20. Oktober 1877. SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 82r-83av, hier Bl. 83v.

Anm. 3: Brief Bernhard II. Perthes an Minna Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 76r-79v, hier Bl. 76v, 77r.

Anm. 4: Brief Bernhard II. Perthes an Minna Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 176r-178v, hier Bl. 177r.

Anm. 5: Diese Betrübnis verleiht Bernhard II. Perthes in einem selbstverteidigenden Antwortschreiben an seine Mutter vom 23. April 1878 Ausdruck, indem er notiert: „Meine Photographie hat Dir also nicht gefallen, das konnte ich mir wohl denken, aber zu erschrecken brauchst Du Dich nicht darüber, denn ohne Retouche sieht jede Photographie hohläugig und eingefallen aus. Freilich ein pausbäckiger Posaunenengel bin ich nicht, habe nichtsdestoweniger aber einen guten Teint und befinde mich wohl.“ SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 181r-182v, hier Bl. 181r.

Anm. 6: Brief Minna Perthes an Bernhard II. Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 179r-180v, hier Bl. 179r.

Anm. 7: Brief Minna Perthes an Bernhard II. Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 02r-03v, hier Bl. 2v.

Anm. 8: Brief Bernhard II. Perthes an Minna Perthes, SPA ARCH FFA 04/01, Bl. 144r-146v, hier Bl. 146r.

Anm. 9: Brief Bernhard II. Perthes an Minna Perthes, SPA ARCH FFA 04/02, Bl. 71r-73v, hier Bl. 73r-v.


Dem Beitrag zugrundeliegende Literatur:

Anonym: Fünf Generationen Justus Perthes (1785-1935), Gotha 1935.

Painke, Werner: 200 Jahre Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt, Gotha – Darmstadt 1785-1985, Darmstadt 1985.

Perthes, Bernhard: Justus Perthes in Gotha 1785-1885, Gotha 1885.

Siegert, Jutta: „Willkommen in Gotha, wenn es auch kein Seebad ist …“. Aus dem Briefwechsel der Frau Minna Perthes mit ihrem Sohn Bernhard Perthes, in: Gothaer Museumsheft 1994, S. 41–56.


Bildnachweis
:

© Forschungsbibliothek Gotha, Sammlung Perthes. Die Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur nach Rücksprache mit der Forschungsbibliothek Gotha weiterverwendet werden.

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