Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 10

/ Juni 18, 2020

Calovs vierbändige „Biblia Illustrata“ mit interessanten Provenienzeinträgen erworben

Die Forschungsbibliothek Gotha bewahrt einen beeindruckenden Bestand an Handschriften und Historischen Drucken zur Geschichte des Protestantismus, der viele zehntausend Bände des 16. bis 18. Jahrhunderts umfasst. Gleichwohl gibt es immer wieder auffällige Lücken, die erst nach und nach durch antiquarische Erwerbungen geschlossen werden können. Bei einer Auktion konnte nun die insgesamt vierbändige Erstausgabe der „Biblia Testamenti Veteris Illustrata“ bzw. „Biblia Novi Testamenti Illustrata (Frankfurt am Main 1672 und 1676) des Wittenberger Philosophen und Theologen Abraham Calov (1612–1688) erworben werden.

Abb. 1: Titelblatt von Calovs „Biblia Illustrata“. ©Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Bekannt ist dieser umfangreiche Bibelkommentar zum Alten und Neuen Testament mit seinen über 5.000 Seiten im Folioformat vor allem wegen Calovs Auseinandersetzung mit dem berühmten Rechtsgelehrten und Theologen Hugo Grotius (1583–1645), dessen „Annotata Ad Vetum Testamentum“ (3 Bde., Amsterdam, 1644) er vollumfänglich in sein Werk aufgenommen und kritisch kommentiert hat. Jedoch weist der umfangreiche barocke Titel darauf hin, dass Calov mit seinem Kommentar viel mehr vorhatte als nur diese Widerlegung. In deutscher Übersetzung lautet der Titel ungefähr so:

„Die erleuchteten Bücher des Alten [und Neuen] Testaments. In denen die Bedeutungen der Worte und der ursprüngliche Sinn der Sätze und Sprüche aus den Quellen, dem Zusammenhang und den sonstigen Inhalten der Schrift entsprechend [analogia scripturae] ermittelt werden, 2. die besten Fassungen mit dem hebräischen Text, überall durch die Reinheit desselben geschützt, abgeglichen werden, 3. die Auslegungen an den Interpretationen der Älteren und Neueren geprüft und die wahreren Auslegungen mit den eigenen Worten der Väter, Martin Luthers und anderer Theologen gestärkt werden, 4. die schwierigen Orte und zweifelhaften Textstellen, Historien, Chronologien, Topographien und anderes mehr aufgelöst werden, 5. scheinbare Widersprüche beseitigt werden, 6. verschiedene theoretische und praktische Fragen erklärt werden, 7. die prophetische Sprüche über Christus und seine Herrschaft und was überhaupt nur zur Bestätigung des evangelischen Glaubens beiträgt der Absicht gemäß beansprucht werden, 8. die Verderbnisse der Juden und Häretiker, am meisten der modernen, tüchtig zurückgestoßen werden, 9. die Lug und Trug-Auslegungen des Grotius einer rechtmäßigen Prüfung unterzogen und verworfen werden.“

Der Titel „Biblia Illustrata“ bedeutet nicht etwa, dass der Autor, Calov selbst, die Bibel erleuchten wollte, sondern dass der Kommentar das „eigene Licht“ der Bibel leuchten lässt. Calov vertrat die Ansicht von der Verbalinspiration der Schrift, wonach jedes Hauchzeichen des hebräischen Alten Testaments und jedes Iota des griechischen Neuen Testaments von Gott den Schreibern unmittelbar eingegeben worden ist, so dass der Bibeltext als Ganzes absolut gewiss, klar und eindeutig sei. Den Bibeltext mit heidnischen Überlieferungen zu vergleichen, überhaupt eine historische Auslegung vorzunehmen, wie Grotius es tat, konnte für Calov nur ihren göttlichen Gehalt zerstören und zu Skeptizismus und Atheismus führen.

Interessant ist, dass Philipp Jacob Spener (1635–1705) – der Begründer des Pietismus, der in scharfe Auseinandersetzungen mit den Vertretern der lutherischen Orthodoxie verwickelt wurde – zum ersten Band ein Gedicht beisteuerte, in dem er Calov „unseren Abraham“ (analog zu Stammvater Israels) nannte, der sich in seinem Kampf mit Grotius ausgezeichnet habe. Calov hatte sich noch vor Veröffentlichung des ersten Bandes an Spener gewandt und um Unterstützung für dieses große Projekt gebeten. Spener äußerte sich in zwei Antwortbriefen aus den Jahren 1670 und 1671 erfreut über dieses große Vorhaben. Er bete, dass Gott ihm, Calov, die Kräfte erhalte, um dieses Werk zu vollenden. Zu einem engeren Austausch kam es hierüber aber nicht, auch, weil die grundsätzlichen Ansichten über den Zustand des Luthertums und über die Notwendigkeit von Reformen weit auseinandergingen.

Calov gilt als bedeutender Vertreter der sog. lutherischen Orthodoxie, die die Reinheit der lutherischen Lehre und Frömmigkeit im Sinne der Confessio Augustana invariata erhalten wollte. Er studierte in Königsberg Philosophie und Theologie und promovierte in Rostock in Theologie. Über Danzig kam es nach Wittenberg, wo er 1650 Professor der Theologie wurde. Das aufwendig gestaltete Porträt, gestochen von dem Nürnberger Kupferstecher Jakob von Sandrart (1630–1708), zeigt Calov in seinem Habit im Alter von 60 Jahren. Unterhalb des eingefassten Porträts sieht man insgesamt 58 Titel seiner allein in Wittenberg veröffentlichten Publikationen, die so bedeutende und/oder voluminöse Werke wie „Scripta philosophica“ (1650), „Systema locorum theologicorum“ (12 Bde., 1655–1677), „Commentarius in Genesis“ (1671), „Anti-Boehmius“ (1684), „Scripta Anti-Sociniana“ (1684) sowie „Historia Syncretistica“ (1685) umfassen.

Abb. 2: Porträt von Abraham Calov. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Die von der Forschungsbibliothek Gotha erworbene Ausgabe der „Bibilia Illustrata“ ist auch wegen dreier Provenienzeinträge sehr interessant. Sie erzählen einiges über die Herkunft der Bände.

Abb. 3: Das Legat der Amalia Ursula Hauff, 1684. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

  1.  Im ersten Band findet sich auf dem Vorsatzblatt ein handschriftlicher Eintrag von 1684, der auf das Legat der „wohl Edle(n), viel Ehr und Tugendreiche(n) Jungfrau“ Amalia Ursula Hauff Bezug nimmt. Es ist zu vermuten, dass sie die Tochter des Juristen Daniel Hauff (1629–1676) und seiner Ehefrau Ursula (geb. 1633) gewesen ist, die zu dieser Zeit in der Reichsstadt Esslingen lebten. Hauff war ein berüchtigter Hexenjäger, der bald als „furchtbarer Jurist“ galt. Aus dieser Familie stammt auch der berühmte schwäbische Dichter Wilhelm Hauff (1802–1827). Laut Legat hinterließ Amalia Ursula Hauff ein Vermächtnis von 40 Gulden an die Klosterkirche in Maulbronn, in der sie selbst dank dieses Legats begraben wurde. Von dieser Summe wurden mehr als 21 Gulden für Calovs Werk (einschließlich der Bindung auf fünf Bünde und des blindgeprägten Stempeleinbandes in Schweinsleder) aufgewendet. Die Bände wurden der dortigen Bibliothek unter der Leitung des Generalsuperintendenten und Prälaten Johann Andreas Hochstetter (1637–1720) zugeordnet, der am Ende dieses Eintrags als Empfänger genannt wird. Hochstetter wurde zu einem bedeutenden Vertreter des Pietismus in Württemberg. Er war 1659 Diakonus in Tübingen, 1668 Pfarrer in Walheim bei Besigheim, 1672 Dekan in Böblingen, 1677 Stiftsephorus und Professor der griechischen Sprache und 1680 der Theologie in Tübingen. Bereits 1681 wurde er zum Prälaten von Maulbronn ernannt. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Wechsel 1689 nach Bebenhausen inne. Seine Vorstellung über die Einführung von Hausvisitationen scheiterten zwar, dennoch verteidigte er nachdrücklich die 1703 in Tübingen eingeführte Bibelstunde, aus der die württembergischen pietistischen Erbauungszirkel entstanden.
  2. Auf dem Innendeckel des ersten Bandes ist ein Exlibris „The Property of the Unitarian Society Springfield“ (Massachusetts) eingeklebt. Dieses Exlibris verweist auf die Unitarische Kirche in Amerika, die unabhängig von Europa eine eigene Entwicklung genommen hat, auch wenn natürlich Bezüge zum Antitrinitarismus und Unitarismus im Europa der Frühen Neuzeit bestehen. Die erste unitarische Gemeinde in Springfield, das nördlich von New York in der Nähe der Ostküste liegt, wurde 1819 gegründet. Offensichtlich verfügte sie über eine eigene kleine Bibliothek, zu der auch die vorliegenden Calov-Bände gehörten. Wie diese Bände nach Amerika gelangten, kann nur vermutet werden. Waren es Auswanderer, die diese Bände im 18. Jahrhundert oder frühen 19. Jahrhundert mit nach Amerika genommen haben? Tatsächlich wurden zu dieser Zeit in Süddeutschland nachweislich Anwerbungen von Kolonisten nach Nordamerika durchgeführt.
  3. Das Titelblatt des ersten Bandes ist mit einem Prägestempel „City Library Association Springfield Mass.“ versehen, das Titelblatt des zweiten Bandes zusätzlich mit einem perforierten Stempel „City Library Springfield Mass.“ Dort ist ferner auf der Innenseite des Vorderdeckels ein Vordruck mit den „Regulations“ dieser Bibliothek eingeklebt, der in großen Teilen das Exlibris der unitarischen Gemeinde verdeckt. Hieraus ergibt sich, dass die Bände zunächst im Besitz der Gemeinde waren, ehe sie in den Bestand der Stadt-Bibliothek übergingen. Diese Bibliothek wurde 1857 begründet. Nun sind die Bände nach Deutschland zurückgekehrt und werden ihr neues Domizil im Bibliotheksturm finden – allerdings erst nach seiner Sanierung.

Verfasser: Dr. Sascha Salatowsky, 18.6.20

 

Literatur:

Ältere Quellen:

Abraham Calov: Biblia Testamenti Veteris Illustrata. In quibus Emphases vocum ac mens dictorum genuina e fontibis, contextu, analogia Scripturae eruuntur: II. Versiones praecipuae cum Ebraeo textu, vindicata ubique huius sinceritate, conferuntur: III. Expositiones cum veterum tum recentiorum Interpp. expenduntur; veriores Patrum ipsorummet, B. Lutheri, & aliorum Theologorum propriis verbis stabiliuntur: IV. Loca difficiliora & dubia textualia, Historica, Chronologica, Topographica & alia expediuntur: V. Contradictiones apparentes discutiuntur: VI. Quaestiones variae Theoreticae & Practicae solvuntur: VII. Oracula Prophetica de Christo, eiusq[ue] regno, & quaecunq[ue] omnino ad fidei Evangelicae confirmationem faciunt, ex instituto adseruntur: IIX. Corruptelae Iudaeorum & Haereticorum, maxime modernorum, luculenter retunduntur: IX. Grotianae depravationes, & pseudermeneias iusto examini sistuntur & exploduntur. Frankfurt am Main 1672. FB Gotha, Th 2° 7316 (1-4) [VD17 12:120536H; 12:120556W]. Eine zweite Auflage erschien 1719.

Adam Weinheimer: Christlicher Großglaubiger Last-Träger / Auß dem 68. Psalm. v. 20. In Volckreicher Versammlung / bey höchst-betrübter Leich-Begängnus / und kläglicher Beerdigung / des Weyland / Wol-Edel/ Vest / und hochgelehrten Herrn Daniel Hauffens […]. Stuttgart 1666.

Philipp Jakob Spener: Briefe aus der Frankfurter Zeit, 1666–1686. Bd. 1: 1666–1674. Herausgegeben von Johannes Wallmann. Tübingen 1992, S. 305–307 und 428–432.

Forschungsliteratur:

Bengt Hägglund: Geschichte der Theologie. Ein Abriss. Berlin 1983, S. 230–252.
Günter Jerouschek: Die Hexen und ihr Prozeß. Die Hexenverfolgung in der Reichsstadt Esslingen. Esslingen am Neckar 1992.
Volker Jung: Das Ganze der Heiligen Schrift. Hermeneutik und Schriftauslegung bei Abraham Calov. Stuttgart 1999, insbes. S. 129–226.

 

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