Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 11

/ Juli 3, 2020

Es ist alles ganz eitel! Neues zum ehemaligen Hohen Saal im Bibliotheksturm auf Schloss Friedenstein

Als Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha (1601–1675) von 1643 bis 1654 das Schloss Friedenstein errichten ließ, hat er laut den in der Forschungsbibliothek Gotha bewahrten Bauplänen im Ostturm einen über zwei Etagen reichenden „Hohen Saal“ einrichten lassen. Dieser Saal trug bald den von ihm verwendeten Titel „Saal der Eitelkeiten“. Er wurde am 6. Februar 1678 zusammen mit dem gesamten Turm durch einen Brand vollständig zerstört, so dass es keine physische Überlieferung von seinen Inhalten mehr gibt. Bis jetzt ist auch kein Kupferstich bekannt, der den frühen Zustand dieses Saals dokumentieren würde.

Von der ursprünglichen Ausstattung zeugen gleichwohl mehrere Berichte, die uns von Angehörigen des Hofes und Besuchern aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert überliefert sind. Dieser Spur soll hier nachgegangen werden. Aus den unterschiedlichen Beschreibungen, die wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müssen, ergibt sich ein genaueres Bild dieses Saals, der für Herzog Ernst I. von hoher symbolischer Bedeutung war.

Der älteste Bericht stammt von Herzog Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig-Lüneburg (1636–1687), der in seiner Schrift „Wunderliche Begebnüssen und wunderlicher Zustand in dieser wunderlichen verkehrten Welt“ von 1678 seinen Besuch in Gotha beschreibt, den er 1663 auf seiner Reise nach Holland durchgeführt hat. Es lohnt, diesen Eintrag in Gänze zu zitieren, weil er die älteste bis jetzt bekannte Beschreibung des Aussehens dieses Saals bietet:

Auf Schloss Friedenstein „besahe [er, sc. Ferdinand Albrecht] den schönen Saal der Eitelkeit/ und andere/ da alle die auß Seiner Linie entsprossen mit Ihren Gemahlinnen Lebens gross abgemahlet sind; Die Büchermenge vor welcher viele todten Cörper und Beine von Menschen und Thieren/ so zergiftet worden/ unter andern eines auffgehengten und kleinen Wälschen Bubens/ so ertrunken/ eines Hirschen und Affen; In dem Bücherschatz ist Christi Leben und des Wider Christen/ wie es sich so übel reimet/ abgemahlt; In dem Saal der Eitelkeit aber das Leben Christi mit dem Leben der Heyden artlich in vielen Gemälden vorgestellet; Oben ist der Spruch Salomonis: Es ist alles gantz eitel/ gantz herumb geschrieben und ein jeder Buchstab von sonderlichem Metall gemacht/ alß E. von Gold, S. von Silber/ und so weiter […].“ (Wunderliche Begebnüssen, S. 191f.)

Herzog Ferdinand Albrecht beschrieb hier mehrere Räume, nicht nur den Saal der Eitelkeiten. Als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, der auch Herzog Ernst angehörte, hat dieser ihm sicherlich große Teile des neuerrichteten Schlosses vorgeführt. Dazu gehörte auch die von ihm so genannte „Büchermenge“, d.h. die im Aufbau befindliche Hofbibliothek, und ein anatomisches Kabinett. Beide Sammlungen befanden sich zu dieser Zeit im Westturm des Schlosses. Die Bibliothek war nach den Bauzeichnungen vom Baumeister Andreas Rudolph (1601–1679) im vierten (nach unserer heutigen Zählung im dritten) Stock, direkt unterhalb des Daches, aufgestellt. Interessant ist zum einen der Hinweis auf eine Gemäldereihe zum Leben Christi, kontrastiert mit dem Anti-Christen, aufgehängt im „Bücherschatz“.

Nach einer Beschreibung von Johann Conrad Geisthirt (1672–1734) in seiner „Historia Schmalcaldica“ muss es sich hierbei um den Zyklus von 20 Tafeln gehandelt haben, auf denen Christus und Anti-Christus in 40 Gemälden einander gegenübergestellt waren (vgl. die Übersicht bei Geisthirt: Historia Schmalcaldica, S. 71f.). Diese Tafeln, und das macht diesen Sachverhalt besonders interessant, stammten ursprünglich aus der Kirche des Schlosses Wilhelmsburg in Schmalkalden, wo sie 1608 durch den zum Calvinismus konvertierten Landgrafen Moritz (1572–1632) im Rahmen eines Bildersturms entfernt worden waren. Moritz ließ die Bilder auf das Schloss Rotenburg bringen, wo sie Herzog Ernst 1641 bei einem Besuch erblickte und sie schließlich 1648 zum Geschenk erhielt. Da Geisthirt festhielt, dass er die Bilder in der „Friedensteinischen bibliothec“ „ao. 1716 selbst gesehen“ habe (a.a.O., S. 70), müssen die Bilder nach dem Brand zusammen mit der Bibliothek vom Westturm in den Ostturm verbracht worden sein. Doch das hat ihr Überleben leider nicht gesichert: Sie gelten seit langer Zeit als verschollen.

Nicht minder interessant ist Ferdinand Albrechts Hinweis auf einige Inhalte des anatomischen Kabinetts, das sich nach dem ersten Kunstkammerinventar von 1656 „im vorgemach außen vor der Kunstkammer“ im dritten (nach unserer heutigen Zählung im zweiten) Stock befand. Nach dem Inventar umfasste es zu dieser Zeit zwei Skelette eines jungen Kindes von acht Jahren sowie eines erwachsenen Mannes, zahlreiche präparierte Tierkadaver, anatomische Tafeln und ähnliches mehr. Fürstliche Kunst- und Wunderkammern lassen sich seit dem 16. Jahrhundert nachweisen. Sie verstanden sich als „Welt in der Stube“, in der die Wunder der Kunst und Natur zur Erbauung, aber auch zur Schau gestellt worden sind. Nachfolgend soll der Schwerpunkt des Interesses jedoch auf dem Saal der Eitelkeiten liegen, zu dem noch weitere Quellen vorliegen.

Zu einer ersten Aufhellung trägt eine Zeichnung bei. Ein Grundriss aus der Bauzeit des Schlosses Friedenstein vom Baumeister Andreas Rudolph (1601–1679) für das dritte Stockwerk mit seinen Gemächern zeigt diesen Saal, der sich im dritten und vierten Stock über zwei Etagen erstreckte. Deutlich sichtbar sind die Säulen an den Mauern in den vier Ecken und zwischen den Fenstern. Die Fläche innerhalb des Saals ist leer.

Abb. 1: Grundriss des Hohen Saals. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Aus dem mehrbändigen Werk „Gotha diplomatica“ von 1717 des Archivsekretärs am Gothaer Hof Friedrich Rudolphi (1642–1722), Sohn des Vorgenannten, der den Saal gewiss noch aus eigener Anschauung kannte, kann man entnehmen, dass beide Stockwerke „innwendig hol ohne einiges [sc. eigenes] Eingebäude“ (Anderer Theil, S. 163) waren. Die Säulen, so heißt es dort weiter, trugen drei Gänge unter dem Dach. Jeder von diesen Gängen, die sich quer durch den Saal gezogen haben müssen, hatte wiederum acht Säulen, die „künstlich an einander und unter einander verbunden waren“ (ebd.). Der Hohe Saal muss also eine Art Säulenhalle gewesen sein, die sich direkt in den Turm hinein öffnete. Eine weitere Zeichnung von Andreas Rudolphi zeigt die Dachkonstruktion.

Abb. 2: Grundgebälk des Dachs über dem Hohen Saal. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Am Fußboden des ersten Ganges erblickte man, so schreibt Friedrich Rudolphi weiter, in den vier Ecken in stark vergoldeten Buchstaben jeweils den Namen „Jesus“. Am Boden des zweiten Ganges, und das entspricht der Aussage von Ferdinand Albrecht, las man die Worte „Es ist alles gantz Eitel“. Alle Buchstaben waren aus verschiedenen Edelsteinen gestaltet, der erste aus Diamanten, der zweite aus Rubinen usw. Am Boden des dritten Ganges sah man schließlich in goldenen Buchstaben den Spruch „Suchet was droben ist, da Christus ist“.

Dieses Schriftprogramm ist ganz außerordentlich. Es zeigt nicht nur die tiefe Frömmigkeit von Herzog Ernst an, sondern verweist auf die Christus-Zentriertheit des Luthertums.

Abb. 3: Porträt von Herzog Ernst dem Frommen. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Diese Ausrichtung, die gegen den Katholizismus mit seiner ausgeprägten Marienfrömmigkeit steht, hat man klassisch auf die Formel des „solus Christus“ gebracht: Christus ist der alleinige Heilsmittler. Der an der Decke umlaufende biblische Spruch aus dem Buch Koholet 1,2 „Alles ist ganz eitel“ nimmt ein bekanntes Motiv des Barock auf, das die Vergänglichkeit und damit Eitelkeit des menschlichen Lebens, Handelns und Tuns thematisiert. Beim berühmten Dichter Andreas Gryphius (1616–1664) liest sich das in seiner insgesamt fünfzehn Strophen umfassenden Ode „Vanitas! Vanitatum Vanitas!“ gleich eingangs wie folgt: „Die Herrlikeit der Erden / Mus rauch undt aschen werden/ Kein fels/ kein ärtz kan stehn. / Dis was vns kan ergetzen/ Was wir für ewig schätzen/ Wirdt als ein leichter traum vergehn.“

Wenn Herzog Ernst das Motiv „Vanitas Vanitatum“ so zentral in dem Saal sichtbar machte, dann erinnerte er an die Ausrichtung des Lebens auf Christus, der oben im Himmel zu suchen ist. Die Demut des Christen, der den Blick in Erwartung des Todes stets gesenkt hält, korrespondiert mit der Hoffnung desselben, der den Blick in Erwartung des ewigen Lebens nach oben zu Christus richtet. Die Blickrichtung des Lebens wird hier auf beeindruckende Weise durch das Schriftprogramm im Saal der Eitelkeiten gestaltet. Die Höhe des Saals veranschaulicht hierbei die Differenz zwischen Oben und Unten, Erde und Himmel, Leben und Tod.

Wie präsent das Vanitas-Motiv am Gothaer Hof gewesen ist, belegt die Tatsache, dass die Zerstörung des Turms durch einen Brand im Jahr 1677 selbst als Zeichen dieser Vergänglichkeit gewertet wurde. So hat der Historiker Caspar Sagittarius (1643–1694) 1678 ein Gedicht verfasst, das mit den Zeilen beginnt: „Nun zeigen leider! uns die abgebrandten Seulen Ja Kohlen/ und der Grieß von unserm Friedenstein / Die Schrifft/ die dem Gebäu mit Gold geschrieben ein/ Das alle eitel ist / und muss von hinnen eilen.“ (Zitiert nach Rudolphi: Anderer Theil, S. 164)

In den insgesamt 20 Fensternischen des vierten Stocks hingen beidseitig überlebensgroße Gemälden der Fürstenlinie der Ernestiner aus Sachsen-Weimar. Zu diesen Gemälden dürften u.a. Porträts von Ernsts Eltern Herzog Johann III. von Sachsen-Weimar (1570–1605) und Dorothea Maria von Anhalt (1574–1617) gehört haben, aber auch von ihm selbst und seiner Frau Elisabeth Sophia von Sachsen-Altenburg (1619–1680). Im dritten Stock waren ebenfalls beidseitig in den Fensternischen Gemälde zu geistlichen und weltlichen Geschichten angebracht, darunter Bilder zu den altbiblischen Gestalten Simson, David und Jonathan von dem Gothaer Maler Michel Käseweiß und Porträts der historischen Gestalten Lucio Lucinio Lucullo (118–56 v. Chr.) und Archimedes (ca. 287–212 v. Chr.) von dem Weimarer Maler Christian Richter (1587–1667). Der Gothaer Geheime Rat und Hofkanzler Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) hatte hierzu Erklärungen in deutschen Versen angefertigt.

Abschließend bleibt noch anzumerken, dass Herzog Ernst seine Frömmigkeit und das Selbstverständnis des Herzogtums als Sachwalter des Luthertums auch außen an den Ecken der Türme sichtbar zum Ausdruck brachte. Dort waren Mauerausbuchtungen angebracht, in die vier Steinstatuen gesetzt worden sind. Am Turm des Saals der Eitelkeiten fand Elias seinen Platz, am Theaterturm Johannes, an der nordwestlichen Seite Luther und auf der gegenüberliegenden Seite bei der Schlosskirche Moses. Auch diese Figuren gelten seit langer Zeit als verschollen.

Verfasser: Dr. Sascha Salatowsky, 3. Juli 2020

Ich bedanke mich bei Uta Wallenstein und Dr. Ingrid Dettmann, beide Stiftung Schloss Friedenstein, für die freundliche Unterstützung.

Bibliographie:

Quellen:

Ferdinand Albrecht I., Herzog von Braunschweig-Lüneburg: Wunderliche Begebnüssen und wunderlicher Zustand in dieser wunderlich verkehrten Welt. Faksimiledruck der Ausgaben von 1678 (Teil I) und 1680 (Teil II). Herausgegeben und eingeleitet von Jill Bepler. Bern u.a. 1988.

Friedrich Rudolphi: Gotha diplomatica oder Ausführliche Beschreibung des Fürstenthums Gotha. Anderer Theil Fürstlicher Sachsen-Gothaischen Historien-Beschreibung. Frankfurt/Main und Leipzig 1717.

Johann Conrad Geisthirt: Historia Schmalcaldica oder Historische Beschreibung der Herrschaft Schmalkalden. Heft 1. Schmalkalden und Leipzig 1881.

Sekundärliteratur:

Martin Bircher: Der „Wunderliche“ in der Fruchtbringenden Gesellschaft. Ferdinand Albrecht und die Literatur der Zeit, in: Barocke Sammellust. Die Bibliothek und Kunstkammer des Herzogs Ferdinand Albrecht zu Braunschweig Lüneburg. Weinheim 1988, S. 186–204.

August Beck: Ernst der Fromme. Herzog zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Ein Beitrag zur Geschichte des siebenzehnten Jahrhunderts. Zwei Teile. Weimar 1865.

Sascha Salatowsky (Hg.): Im Kampf um die Seelen. Glauben im Thüringen der Frühen Neuzeit. Gotha 2017, S. 182f.

Uta Wallenstein: Selecta, Monstra und Kuriosa – Menschliche Anatomica in fürstlichen Kunstkammern, in: Anatomie. Gotha geht unter die Haut. Gotha 2010, S. 55–69.

 

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