„Timbukto situated.“ Zum 200. Geburtstag des Forschungsreisenden Heinrich Barth

/ Februar 17, 2021

Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 27

„Timbukto situated 18°4´N.L., 1°45´W.L. GR.“ (Anm. 1)

Dieser etwas kryptische Satz in einem Brief vom 7. Oktober 1853 (Abb. 1) ist wohl das größte Vermächtnis des deutschen Forschungsreisenden Heinrich Barth, denn er lokalisiert damit einen Mythos. Seit der Antike verbreitete sich in Europa die Legende, dass Timbuktu, nicht nur ein riesiger Warenumschlagplatz, sondern auch Stapelstadt des Wissens und geistiges Zentrum, eine blühende Metropole am Rande einer schier unendlichen, undurchdringbaren Wüste sei. Frühe Karten visualisieren die Lage Timbuktus durch einen Klumpen Gold. Dabei war Barth nicht als erster Europäer diesem Mythos auf der Spur. Seine Vorgänger, der Brite Alexander Gordon Laing (1826) und der Franzose René Caillié (1828), brachten allerdings keine verlässlichen Daten mit zurück.

Abb. 1: Brief von Heinrich Barth an Charles Beke, 7. Oktober 1853.

Heinrich Barth wurde am 16. Februar 1821 in Hamburg geboren. Sein aus Thüringen stammender Vater war angesehener Überseekaufmann und einst an die Elbe gekommen, um das Fleischerhandwerk zu lernen. Der Sohn zeigte schon früh Begabung für Sprachen und Zeichnen, interessierte sich für fremde Kulturen und Völker. Nach seinem Abitur 1839 am Hamburger Johanneum ging er zum Studium nach Berlin. Er hörte u.a. Vorlesungen beim renommierten Altphilologen August Boeckh (1785–1867), bei dem er 1844 promoviert wurde, und bei Carl Ritter (1779–1859), dem damals einzigen Professor für Geographie im deutschsprachigen Raum.

Nach ersten eigenen Erkundungen, die ihn in den südlichen Mittelmeerraum führten, habilitierte sich Barth 1847 in Berlin mit einer Arbeit zur Bedeutung Nordafrikas in der antiken Kultur- und Handelsgeschichte – ein Thema, das ihn lebenslang umtreiben sollte. Da seine berufliche Karriere stagnierte, entschloss sich Barth, das Wagnis der Teilnahme an einer zentralafrikanischen Expedition einzugehen (Abb. 2).

Abb. 2: Frontispiz mit den Porträts der 4 Expeditionsteilnehmern James Richardson, Alfred Overweg, Heinrich Barth, Eduard Vogel (v.l.n.r.)

1849 richtete die britische Regierung unter der Leitung des Missionars James Richardson (1809–1851) eine Expedition quer durch die Sahara zum Tschadsee aus. Durch Vermittlung des preußischen Botschafters Christian Karl Josias von Bunsen (1791–1860) gelangten die beiden Deutschen Alfred Overweg (1822–1852) und Barth schließlich in das Expeditionsteam. Auf einer geradezu abenteuerlichen Reise durch die Wüstenregion Nordafrikas bahnten sich die Forscher ihren Weg Richtung Tschadsee. Richardson verstarb noch vor Erreichen des Ziels an Erschöpfung. Die beiden Deutschen setzten ihre Forschertätigkeit rund um und auf dem See fort, bis Overweg dann im September 1852 einem Fieber erlag. Der nun auf sich allein gestellte Barth setzte seine Reise in Richtung Niger und Timbuktu fort, das er schließlich am 7. September 1853 erreichte (Abb. 3). Auf seiner nicht minder gefahrvollen Rückreise traf er im Dezember 1854 am Tschadsee mit dem jungen Astronom Eduard Vogel (1829–1856) zusammen, der von London ausgeschickt war, um nach dem verschollenen Barth zu suchen. Schon bald trennten sich ihre Wege wieder. Während Barth nach Tripolis aufbrach, das er Ende August 1855 erreichte, machte sich Vogel in die östlich des Tschadsees gelegene Region Wadai auf, aus der er nicht wieder zurückkehren sollte (Anm. 2).

Abb. 3: Einzug Heinrich Barths in Timbuktu.

Damit gelang Barth als einzigen Europäer dieser Expedition eine sichere Heimkehr und vor allem die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse. Ein Sprachrohr dafür fand er in den ab 1855 erscheinenden „Mittheilungen aus Justus Perthes‘ Geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie von Dr. August Petermann“. Der Gothaer Kartograph kannte Barth bereits aus seiner Zeit in London und stand auch während der Expedition (so überhaupt möglich) in Kontakt zu ihm. Petermann veröffentlichte exklusiv das erste Material in seiner noch jungen Zeitschrift und fundamentierte gleichermaßen ihren wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Erfolg, mehr noch eröffnete Petermann das erste Heft seiner Zeitschrift im Februar 1855 mit Barths Bericht über seinen Einzug in den legendenumwobenen, europäischen Sehnsuchtsort Timbuktu (Anm. 3 und Abb. 4). Barth erreichte so eine große populäre Öffentlichkeit und konnte seine Erkenntnisse in weite bürgerliche Kreise tragen. Bis heute liegen Teile seiner wertvollen Korrespondenz in Gotha und werden von der Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt bewahrt.

Abb. 4: Tafel 2 aus: Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie, hrsg. von A. Petermann, Bd. 1, Gotha 1855.

Gleichwohl blieb Barth akademisch wie politisch sowohl in London wie in Berlin Außenseiter. Die erhoffte Professur wurde ihm lange versagt. Die arrivierte akademische Zunft seiner Zeit sah in ihm einen waghalsigen Reisenden, aber keinen ernsthaften Wissenschaftler. Die heute modern anmutende Interdisziplinarität seiner afrikanischen Studien, die Geographie, Archäologie, Geschichte, Sprachwissenschaft und Völkerkunde verband, blieb seinen Kollegen fremd, weitaus mehr aber seine unvoreingenommene Sichtweise auf den Islam.

Heute gilt Heinrich Barth, auch wenn seine Deutungen und Schlussfolgerungen vielfach widerlegt worden sind und heutzutage überholt sind, als Mitbegründer einer modernen Afrikanistik.

 

Verfasser: Sven Ballenthin, 16. Februar 2021

 


Anmerkungen:

1. Brief von Heinrich Barth an Charles Beke, 07. Oktober 1853. SPA ARCH PGM 039/01, Bl. 22r.
2. Neueste Darstellung dazu von Kristina Kuhn und Wolfgang Struck: Aus der Welt gefallen. Die Geographie der Verschollenen. Paderborn 2019.
3. Dr. H. Barth‘s Reise von Kuka nach Timbuktu, in: PGM 1(1855), Heft 1, S. 3–14.

Abbildungsnachweise:

Abb. 1:   Brief von Heinrich Barth an Charles Beke, 07. Oktober 1853. SPA ARCH PGM 039/01, Bl. 22r-v.
Abb. 2: An account of the progress of the expedition to Central Africa, performed by order of her Majesty’s Foreign Office under Richardson, Barth, Overweg & Vogel in the years 1850, 1851, 1852, and 1853 consisting of maps and illustrations with descriptive notes / constructed and comp. from official and private materials by Augustus Petermann. London & Gotha 1854.
Abb. 3: Zeichnung von Martin Bernatz nach Heinrich Barth. SPA ARCH PGM 039/09b, Bl. 48.
Abb. 4: Tafel 2 aus: Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt über wichtige neue Erforschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie, hrsg. von A. Petermann, Bd. 1, Gotha 1855.

Literatur:

Heinrich Barth: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Gotha 1857-1858.
Dr. H. Barth‘s Reise von Kuka nach Timbuktu, in: PGM 1(1855), Heft 1, S. 3–14.
Imre Josef Demhardt: Aufbruch ins Unbekannte. Legendäre Forschungsreisen von Humboldt bis Hedin. Paderborn 2011.
Kristina Kuhn und Wolfgang Struck: Aus der Welt gefallen. Die Geographie der Verschollenen. Paderborn 2019.
Bernd Wiese: WeltAnsichten. Illustrationen von Forschungsreisen deutscher Geographen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Köln 2011.

Dieser Text steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International – CC BY-SA 4.0. Bitte nennen Sie bei einer möglichen Nachnutzung den angegebenen Autorennamen sowie als Quelle das Blog der Forschungsbibliothek Gotha.

 

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