Lukas Cranachs reformatorische Ikonographie auf Buchdeckeln

/ Februar 4, 2022

Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 38

2022 jährt sich zum 550. Mal die Geburt des berühmten Renaissance-Künstlers Lukas Cranach des Älteren (1472–1553). Wie kein anderer verlieh er der Wittenberger Reformation ein Gesicht. Er entwickelte eine Ikonographie, die die Verbreitung dieser tiefgreifenden Bewegung entscheidend förderte. Man denkt vor allem an sein malerisches und graphisches Schaffen, das sich noch heute großer Beliebtheit erfreut. Doch wird häufig vergessen, dass solche Motive auch über andere Gegenstände vermittelt wurden, z.B. Kachelöfen, Keramikgeschirr und Bucheinbände. Sie gehören zu den visuellen Medien der Reformation, die eine besonders weite Verbreitung erreichten. So sind Spuren von Cranachs Schaffen und Wirken in den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha häufig anzutreffen, nicht nur in Form von Illustrationen in gedruckten Werken, sondern auch als geprägte Motive auf Buchdeckeln.

Seit den 1520er Jahren wurde die Gestaltung von Bucheinbänden zunehmend durch bildliche Motive geprägt. An die Stelle ornamentaler Dekoration traten beispielsweise biblische und mythologische Figuren und Szenen, personifizierte Allegorien, Porträts von antiken und zeitgenössischen Persönlichkeiten sowie Wappen. Dieser Stilwandel wurde zum Markenzeichen der Renaissance-Einbandkunst im deutschen Kulturraum bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein. Das Bildprogramm wurde anfangs vor allem von humanistischen Interessen und Werten beeinflusst. Später war auch die Wittenberger Reformation prägend. Fast alle Motive dieser Provenienz sind auf Graphiken zurückzuführen, die in Cranachs Werkstatt entstanden waren. Wittenberg übte somit im 16. Jahrhundert einen enormen Einfluss auf Einbandgestaltung insbesondere in den protestantisch werdenden Städten und Territorien aus. Charakteristisch für den sogenannten „Wittenberger Stil“ ist die Verwendung von eingravierten Plattenstempeln, die das Mittelfeld des Buchdeckels zieren und den Fokus der Gesamtgestaltung bilden. Sie sind meist mit Rollen – schmalen Zylindern aus Metall mit eingravierten Bildserien – gerahmt. Sie stellen häufig Figuren oder Szenen dar.

Im Folgenden werden verschiedene Aspekte dieses kulturellen Phänomens anhand von vier Plattenstempeln in den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha kurz erläutert.

1. Martin Luther. Die meistportraitierte Person auf deutschen Einbänden im 16. Jahrhundert


Abb. 1: Kolorierter Holzschnitt von Luther im höheren Alter (1546). FB Gotha, Theol 2° 24/8

Abb. 2: Vergoldete Porträtplatte von Luther in Lackfarben (frühestens 1599). FB Gotha, Theol 4° 502/3

Der seit 1505 als Wittenberger Hofmaler tätige Cranach entwickelte zunächst für Kurfürst Friedrich den Weisen (1463–1525) und dessen Nachfolger und dann für Martin Luther (1483–1546; Abb. 1) und Philipp Melanchthon (1497–1560) ikonische Bildnisse, die massenhaft verbreitet wurden. Zu diesem Zweck strebte er nicht danach, die Porträtierten möglichst realistisch darzustellen. Vielmehr reduzierte er die individuelle Physiognomie auf seine wesentlichen Züge. Auch die scharfen Konturen verliehen den Bildnissen einen emblematischen Charakter.

Luther zierte mehr Einbände des 16. Jahrhunderts als irgendeine andere Person. In seinem Standardverzeichnis der Rollen und Platten aus dieser Zeit konnte Konrad Haebler 122 Porträtplatten von Luther identifizieren. Danach kommen Melanchthon mit 115, die Mitglieder des Hauses Sachsen mit 76 und die Habsburger Kaiser mit 55 Platten. Der hier gezeigte Stempel enthält eine Inschrift, die häufig für Porträtplatten von Luther verwendet wurde und dazu aufforderte, die Bücher des Reformators zu lesen (Abb. 2). Sie lautet: „Nosse cupis faciem Lutheri hanc cerne tabellam, si mentem libros consule“ (Wenn du Luthers Antlitz kennen möchtest, dann schaue dieses Bildnis an; wenn du seine Gedanken kennen möchtest, konsultiere seine Bücher). Dieser Spätrenaissance-Einband aus rotbraunem Ziegenleder mit vergoldeter und in Lackfarben bemalter Prägung entstand um 1599 in der Werkstatt des Jenaer Buchbinders Lukas Weischner.

2. Johann Friedrich von Sachsen. Die Propagierung eines lutherischen Märtyrers

Abb. 3: Porträtplatte von Johann Friedrich dem Großmütigen (frühestens 1579). FB Gotha, Theol 8° 345/2

Die Kurfürsten von Sachsen erkannten besonders früh das Potential bildlich gestalteter Einbände als Medium für ihre religiöse und politische Propaganda. Die ersten bekannten Platten mit Porträts von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen (1468–1532) stammen aus dem Jahr 1529. Sie zieren mehre Exemplare der ersten deutschen Ausgabe des Augsburger Glaubensbekenntnisses. So kommunizierte Kurfürst Johann symbolisch, dass er politisch hinter diesem grundlegenden protestantischen Bekenntnis stand.

Nachdem Johann Friedrich der Großmütige (1503–1554) 1547 eine entscheidende Niederlage gegen den katholischen Kaiser im Schmalkaldischen Krieg erlitten hatte, stilisierte er sich als lutherischer Märtyrer. Dabei wurde die Kriegsnarbe auf seiner linken Wange zum markanten Sinnbild seiner Opfer für die „wahre Religion“. Dieses Image wurde durch zahlreiche Medien verbreitet, auch durch Einbände. Mehr als 20 Porträtplatten des Kriegshelden mit der Inschrift „Victus eras acie fidei constantia tandem victorem ante homines fecit et ante Deum“ (Du, der mit dem Schwert besiegt wurde, giltst dennoch vor Menschen und Gott durch Standhaftigkeit im Glauben als siegreich) sind bekannt (Abb. 3). Dieser Text wurde ausschließlich über Einbände vermittelt. So bildeten diese einen wesentlichen Teil der multimedialen Strategie des Fürsten, aus seinen eigenen politischen Verlusten Kapital zu schlagen.

3. Die Lutherbibel. Eine neue Weltschöpfung

Abb. 4: Kolorierter Holzschnitt der Weltschöpfung in einer Lutherbibel (1545). FB Gotha, Theol 2° 23/10 (1), Bl. 8v

Abb. 5: Platte der Weltschöpfung auf einem theologischen Sammelband (frühestens 1574). FB Gotha, Theol 2° 305/2

Cranach und seine Werkstatt entwarfen zahlreiche Motive, um eine der bedeutendsten Leistungen der Wittenberger Reformation – die deutsche Bibelübersetzung – zu illustrieren. Das prominenteste und als einziges ganzseitige Bild stand am Anfang und stellte die Weltschöpfung dar (Abb. 4). Auch dieses Motiv fand seinen Niederschlag in mehreren Einbandplatten. Wie wurde diese Graphik in Folio-Größe auf eine kleine Platte – im gezeigten Beispiel 123 x 62 mm (Abb. 5) – übertragen? Beide haben eine gemeinsame Struktur. Gottvater wurde über seiner Schöpfung schwebend dargestellt, mit einer markanten dramatischen Handbewegung und einer auffälligen wellenförmigen Falte auf der rechten Seite seines windgepeitschten Umhangs. Der Gestalter der Platte versuchte nicht, die detaillierte Landschaft des Holzschnitts mit Meer, Flüssen, Bergen und Bäumen in den Stempel zu integrieren. Der Hintergrund wurde frei gelassen, so dass die drei Szenen, die nicht Teil des Holzschnitts sind, besser zu erkennen sind. In der mittleren unteren Hälfte des Ovals erschafft Gottvater Eva von Adams Seite. Rechts oben wird der Sündenfall und links oben die Vertreibung aus dem Paradies dargestellt. So wurden nicht nur die charakteristischen Merkmale des Holzschnitts auf einen wesentlich kleineren Rahmen verdichtet und den unterschiedlichen Proportionen angepasst, sondern auch neue Elemente hinzugefügt, um die Bilderzählung vom ersten auf das zweite und dritte Kapitel der Genesis zu erweitern.

4. Gesetz und Evangelium. Eine komplexe theologische Komposition im Kleinformat

Abb. 6: Titelblatt einer Lutherausgabe (1541) mit „Gesetz und Evangelium“. FB Gotha, Theol 2° 23/7

Abb. 7: Platte von „Gesetz und Evangelium“ (1563). FB Gotha, Theol 8° 344/5

Cranach schuf mehrere Werke in Zusammenarbeit mit den Wittenberger Reformatoren, um theologische Gedanken visuell zu vermitteln, wie etwa bei der bekannten allegorischen Komposition des Künstlers, die allgemein als „Gesetz und Evangelium“ bezeichnet wird. Typischerweise wird das Bild in der Mitte durch einen Baum geteilt. Auf der linken Seite sind alttestamentliche Szenen und Figuren dargestellt, die das göttliche Gesetz und den Alten Bund repräsentieren, auf der rechten Seite solche aus dem Neuen Testament, die die göttliche Gnade und den Neuen Bund veranschaulichen. Die Komposition vermittelt Luthers Verständnis von Gerechtigkeit allein durch Glauben und Gnade. Darüber hinaus stellen sie die beiden grundlegenden exegetischen Kategorien in der entstehenden hermeneutischen Kultur des Luthertums dar. Deshalb wurden Variationen der Komposition speziell für Titelblatteinfassungen von Bibeln entworfen (Abb. 6).

Diese Komposition wurde auf der hier gezeigten Platte (87 x 50 mm), die 1563 gestochen wurde, radikal reduziert (Abb. 7). Nur die vier Hauptszenen wurden in einen schmalen architektonischen Rahmen gepresst. Oben links ist der Sündenfall und rechts der Triumph des auferstandenen Christus über den Teufel. Aus Platzmangel wurde die Personifizierung des Todes in letzterer Szene weggelassen. Unten links wird Mose mit den Gesetzestafeln und die Personifikation des Todes dargestellt, die den Sünder in die Flammen der Hölle treibt, und rechts der Mensch und Johannes der Täufer, die neben dem gekreuzigten Christus und dem Lamm Gottes stehen. Aus Platzmangel konnte nur eine Person dargestellt werden, die die Qualen der Hölle erleidet. Während auf der Titelblatteinfassung ein Mann und eine Frau, der Papst und ein Mönch in den Flammen abgebildet sind, ist auf dem Plattenstempel nur der Papst als Person zu erkennen.

Verfasser: Dr. Daniel Gehrt, 04.02.2022

Literatur:

  1. Miriam Verena Fleck: Ein tröstlich Gemelde: Die Glaubensallegorie “Gesetz und Gnade” in Europa zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Korb 2010, bes. S. 196–208, 600–612.
  2. Konrad Haebler: Rollen- und Plattenstempel des XVI. Jahrhunderts, 2. Bde. Leipzig 1928/29.
  3. Kathrin Paasch (Hrsg.): „… so über die massen sauber in rothen Leder eingebunden“. Bucheinbände aus der Forschungsbibliothek Gotha. Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha im Spiegelsaal der Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein 27. August bis 16. September 2010. Gotha 2010, bes. S. 52–73.
  4. Konrad von Rabenau: Deutsche Bucheinbände der Renaissance um Jakob Krause, Hofbuchbinder des Kurfürsten August I. von Sachsen. Brüssel 1994.
  5. Konrad von Rabenau: Reformation und Humanismus im Spiegel der Wittenberger Bucheinbände des 16. Jahrhunderts, in: Ernst Ullmann (Hrsg.): Von der Macht der Bilder. Beiträge des CI.H.A.-Kolloquiums “Kunst und Reformation“. Leipzig 1983, S. 319–32.

Web:

Einbanddatenbank: https://www.hist-einband.de

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