Der verkaufte Goethe

/ Mai 4, 2022

Nicht nur Bücher und Handschriften der ehemaligen Herzoglichen Bibliothek wurden in den 1930er Jahren aus finanziellen Gründen verkauft. Auch künstlerische Artefakte wie vier Zeichnungen bzw. Radierungen von Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), die ursprünglich zum Bestand gehörten, wurden veräußert.

In den Bestand waren diese Goethe-Werke über Prinz August (1747–1806), den Bruder Herzog Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1745–1804) gelangt. August war ein kunstsinniger, in der deutschen und vor allem der französischen Literatur bewanderter Schöngeist im Zeitalter der Aufklärung. Er unterhielt viele Freundschaften zu intellektuellen Größen seiner Zeit. Um 1777 war er mit Johann Gottfried Herder (1744–1803) in Weimar freundschaftlich verbunden, während einer Reise nach Italien lernte er Voltaire in Genf persönlich kennen, mit Christoph Martin Wieland (1733–1813) und Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) stand er in regem und jahrelangem Austausch. Über die Freundschaft zu Goethe müssen im Jahr 1790 auch zehn Zeichnungen bzw. Radierungen den Weg von Goethe in Weimar zum Prinzen nach Gotha gefunden haben.

Nur sechs davon befinden sich heute noch im Besitz der Forschungsbibliothek als Nachfolgeinstitution der Herzoglichen Bibliothek. Die vier übrigen Zeichnungen wurden laut dem Eintrag im Verkaufsjournal der Bibliothek vom 16. Februar 1936 verkauft – und zwar das Blatt „Bewachsener Fels an kleinem Weiher“ an das Goethe-Museum in Frankfurt, zwei Blätter mit einer „Ideallandschaft, Meeresbucht mit Ätna im Hintergrund“ und einer „Sizilianische(n) Berglandschaft“ an das Goethe-Museum in Düsseldorf, außerdem die Radierung „ Brandstätte“ an das Goethe-Museum der Klassikstiftung Weimar. Das „Weimarer“ Blatt befand sich einst an der heutigen Leerstelle (Abb.), wie Karl Koetschau 1899 in seinem Beitrag über Goethe als Radierer dokumentierte.

Johann Wolfgang von Goethe, „Bauerngehöft“ (Radierung; Papier – einst FB Gotha Chart. A 785, Nr. 2, mit Fehlstelle der Radierung “Brandstätte”

Goethe muss eine große, sogar in seinen Tagebucheinträgen geäußerte Affinität zu Brandstätten gehabt haben, zumal er öfter zu Feuersbrünsten in die Umgegend eilte und darüber anschaulich berichtete, wie sehr die Sinne von den Flammen und der Glut in Bann gezogen wurden. Die einst in Gotha vorhandene, jetzt in Weimar aufbewahrte Radierung zeigt ein Bauerngehöft in ruinösem Zustand, das in der älteren Literatur unterschiedlich beurteilt wurde. Die Bewertungen der Radierung reichen von „frisch und kräftig“ bis „es fehle an der nötigen Abstufung und Vertiefung in den Schatten, so daß sich die einzelnen Teile des Gehöftes weniger gut voneinander abheben“ und fügen sich ganz gut in das „Bild“ von einer durchaus kritischen Bewertung von Goethes Radierungen.

Die vier verkauften Goethe-Zeichnungen sind im Info-Terminal der Ausstellung zu sehen.

Monika E. Müller

Literatur

  • August Beck, August (Prinz von Sachsen-Gotha-Altenburg), in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 1, Leipzig 1875, S. 681.
  • Gerhard Femmel (Bearb.), Corpus der Goethezeichnungen, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur italienischen Reise 1786, Leipzig 1958, Nr. 161.
  • Gerhard Femmel (Bearb.), Corpus der Goethezeichnungen, Bd. 6b: Zeichnungen ausserhalb der Goethe-Institute der nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar, Leipzig 1971, Nr. 13, 78, 79.
  • Cornelia Hopf, „… als entbehrlich ausgeschieden“. Der Verkauf von Handschriften und Alten Drucken der heutigen Forschungsbibliothek Gotha 1930-1942, in: Kulturstiftung der Länder/Forschungsbibliothek Gotha (Hg.), Das Gothaer Stundenbuch, Gotha 2007, S. 33-44.
  • Karl Koetschau, Neues über Goethe als Radierer, in: Zeitschrift für bildende Kunst, N. F. 10 (1899), S. 199-204.
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