„… ich habe mich ohne Ihre Erlaubniß nicht getraut, dieselbe zu paginiren.“
Joseph von Hammer-Purgstall als Leser der orientalischen Handschriften in Gotha

/ Mai 11, 2022

Seit den Anfängen der orientalischen Sammlung der Herzoglichen Bibliothek Gotha stieß diese auf das Interesse zahlreicher Gelehrter und Forscher, die intensiv mit ihren Beständen arbeiteten. Zu ihnen gehörte der österreichische Orientalist Joseph von Hammer (1774–1856), seit 1835 Freiherr von Hammer-Purgstall (Abb. 1). Seine einflussreichen Arbeiten eröffneten der wissenschaftlichen Fachwelt Zugang zu handschriftlich überlieferten Texten. Neben vielen anderen Arbeiten veröffentlichte er umfassende Überblickswerke zur persischen, türkischen und arabischen Literaturgeschichte.

Abb. 1: Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856), Lithographie von Josef Kriehuber (1800–1876), 1843.

Eines der Werke, für das sich von Hammer interessierte, war das Kitāb al-Aġānī („Buch der Lieder“) des Gelehrten Abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī (897–971). Bei dieser Anthologie, an der ihr Verfasser etwa fünfzig Jahre arbeitete, handelt es sich um eine umfassende Sammlung von Gedichten, Gesängen und biographischen Anekdoten von der vorislamischen Zeit bis ins zehnte Jahrhundert. Seit dem 19. Jahrhundert genoss das „Buch der Lieder“ im Nahen Osten und auch unter europäischen Orientalisten große Popularität. Es gehörte zu den mehrbändigen historischen, literarischen und religiösen Werken, die Mitte des Jahrhunderts von der 1820 gegründeten Druckerei in Būlāq gedruckt wurden (Abb. 2). Nicht erst durch die frühe Drucklegung wurde es zu einem festen Bestandteil des Kanons der arabischen Literatur. Von Hammer war genau über die Drucke aus Būlāq informiert, wie von ihm in den 1830er Jahren abgedruckte Veröffentlichungslisten der Druckerei zeigen.1Von Hammer 1832, S. 518–523.

Abb. 2: Abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī, Kitāb al-Aġānī („Buch der Lieder“). Druck Būlāq, 1285 der Hidschra (= 1868). Bd. 1, S. 2.

Gedruckt wurde das „Buch der Lieder“ aber nicht mehr zu Lebzeiten von Hammers. Lange bevor der Druck überhaupt in Aussicht stand, seit etwa 1808, versuchte von Hammer, in den Besitz eines handschriftlichen Exemplars des Werks zu kommen. Er wandte sich mit der Bitte um dessen Beschaffung an den Orientreisenden und Naturforscher Ulrich Jasper Seetzen (1767–1811), der im Auftrag der Herzöge von Sachsen-Gotha-Altenburg das Osmanische Reich, den Nahen Osten und die Arabische Halbinsel bereiste, um orientalische Handschriften für die herzogliche Bibliothek zu erwerben (Abb. 3). Beide Gelehrte verband ein freundschaftliches und kollegiales Verhältnis. Seetzen brachte in wissenschaftlichen Journalen wie der Monatlichen Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde wiederholt seine Bewunderung für den österreichischen Orientalisten zum Ausdruck, so etwa in einem im Frühjahr 1808 gedruckten Beitrag:

Abb. 3: Porträt von Ulrich Jasper Seetzen, geschabt von Frederik Christiaan Bierweiler (1781–nach 1831), nach einer Malerei von Eberhard Christian Dunker d. Ä. (1735–1817). Verlegt von A. Garlich in Jever im Jahr 1818.

„Der K. K. Agent zu Jassy in der Moldau, Hr. von Hammer, welcher sich neulich durch sein köstliches Werk: encyclop. Übersicht der orientalischen Litteratur, so ungemein um die Kunde des Orients verdient gemacht hat, hatte die Güte, mir ein zahlreiches Verzeichniss von arabischen Reisebeschreibungen und geographischen Schriften hierher zu übersenden, wovon ich vorher nie gehört hatte und wovon man auch hier die wenigsten kannte.“2Seetzen 1808, S. 292.

Seetzen, der mit den Ambitionen eines Weltentdeckers seine Erwerbungen machte, hoffte mit weitreichenden handschriftlichen Entdeckungen zu den Arbeiten von Hammers und anderer Gelehrter einen Beitrag zu leisten. In einem Brief vom 4. Februar 1809 an von Hammer, der in der Zeitschrift Fundgruben des Orients/ Mines de l’Orient veröffentlicht wurde, schrieb Seetzen überschwänglich:

„Sollten meine Sammlungen glücklich in Deutschland ankommen; so wird man sich dort bald durch den Augenschein überzeugen können, dass die Fundgrube, welche Sie in Ihrem klassischen litterarischen Werke eröffneten, noch weit reicher sey, als Sie dieselben dem gelehrten Publikum schilderten. Wie viele Schätze mögen nicht noch in der Barbarey, von Tripoly bis Marokko vorhanden seyn, deren Entdeckung auf die Wünschelruthe eines litterarischen Suchers wartet!“3Seetzen 1809, S. 112.

Der Brief mit der Bitte, das „Buch der Lieder“ für von Hammer zu erwerben, erreichte Seetzen in Kairo. Doch bei allem Einsatz des „litterarischen Suchers“ war es diesem nicht immer möglich, das Gewünschte ausfindig zu machen. Seetzens bedauernde Antwort an von Hammer vom 10. Juli 1808 ist uns erhalten geblieben:

„Sie wünschen die erste Hälfte von dem kostbaren Werke des Ebn el Farradsch el Isfahany el Agány zu erhalten? Aller meiner Mühe ungeachtet habe ich hier [= in Kairo] auch nicht einmahl Ein Exemplar zu Gesichte bekommen können, und Scheh Abd el Rahhman el Gibberty [= der ägyptische Gelehrte ʿAbd al-Raḥmān al-Ǧabartī (1753–1825)] versicherte mir, daß man es in Kahira nicht finde.“4Seezen (Seetzen) 1809, S. 59.

Seetzen zeigte sich in seiner Antwort an von Hammer jedoch zufrieden, dass er bei seinem Aufenthalt in Damaskus für die Herzogliche Bibliothek in Gotha zuvor in den Besitz des Werkes gelangt war.5Seezen(Seetzen) 1809, S. 59. Die Handschrift, die heute als Ms. orient. A 2126 in der Forschungsbibliothek bewahrt wird, ist eine prächtig illuminierte Kopie, die sich auf das Jahr 1735 datieren lässt (Abb. 4 und Abb. 5). Sie enthält eine gekürzte Fassung des Textes. Derzeit ist die prachtvolle Handschrift in der Ausstellung „Bücher bewegen. 375 Jahre Forschungsbibliothek Gotha“ anlässlich des Gründungsjubiläums der Bibliothek zu sehen. Sie kann dort noch bis 19. Juni mit zahlreichen weiteren Objekten, die die bewegte Geschichte der Bibliothek spiegeln, besichtigt werden.

Abb. 4: Abū l-Faraǧ al-Iṣfahānī, Kitāb al-Aġānī („Buch der Lieder“). Gekürzte Fassung, vermutlich nach Ǧamāl ad-Dīn Muḥammad ibn al-Mukarram al-Anṣārī. Damaskus (?), 1148 der Hidschra (= 1735). FB Gotha, Ms. orient. A 2126, Bl. 1v–2r.

Abb. 5: Handschriftlicher Eintrag von Ulrich Jasper Seetzen in Ms. orient. A 2126, Bl. 1r: „No. 84. Damask in Syrien gekauft von U. J. Seetzen im Jahre 1806“ (unten).

Das Interesse Joseph von Hammers – bzw. damals bereits von Hammer-Purgstalls – am „Buch der Lieder“ bestand auch noch Jahrzehnte nach dem Briefwechsel mit Seetzen, lange nachdem dieser selbst 1811 unter ungeklärten Umständen im Jemen ums Leben gekommen war. Von Hammer-Purgstall entlieh in den 40er und 50er Jahren des 19. Jahrhunderts mehrere Gothaer Handschriften, darunter auch das „Buch der Lieder“. Ein entsprechendes Leihgesuch vermittelte der österreichische Beamte Franz Freiherr von Binder-Krieglstein (1774–1855) an das Gothaer Ministerium am 17. November 1841:

„Der Herr Fürst von Metternich hat mir das Gesuch unseres berühmten Orientalisten, Freiherrn von Hammer-Purgstall, empfehlend zugesendet, daß ihm das unter den orientalischen Handschriften der Herzoglichen Bibliothek zu Gotha befindliche Werk, Nr. 532: Canticorum liber autore Abulferadsch el Ispahani [= das „Buch der Lieder“] auf drei bis vier Monate gefällig geliehen werden möge: eine Begünstigung, die ihm, durch Mittheilung von Manuskripten, häufig von ausländischen Bibliotheken, und noch neuerlich von der zu Leyden, zu Theil geworden ist.“6Mitscherling 2008, S. 395.

Die Leihgesuche von Hammer-Purgstalls wurden positiv beantwortet – schließlich genoss er nicht nur in Fachkreisen höchste Anerkennung. Darüber hinaus hatte er von Seetzen erworbene und abhanden gekommene Handschriften in Wien entdeckt und dafür gesorgt, dass sie 1818 den Weg an ihren Gothaer Bestimmungsort fanden.7Mitscherling 2008, S. 395.

Von Hammer-Purgstall arbeitete intensiv mit dem „Buch der Lieder“. Dabei ging er äußerst sorgsam mit der Leihgabe um. In der von ihm entliehenen Kopie finden sich keine schriftlichen Eintragungen von seiner Hand, wie zeitgenössische Gelehrte sie häufiger im Zuge ihrer Arbeiten hinterließen. Nach eigener Aussage traute er sich nicht einmal, entliehene Handschriften zu paginieren.8Mitscherling 2008, S. 395. Das „Buch der Lieder“ nutzte von Hammer-Purgstall unter anderem als eine der Quellen für seine unvollendet gebliebene „Literaturgeschichte der Araber“.9Von Hammer-Purgstall 1850 (erste Abtheilung, erster Band), S. XIII. Er bezieht sich auch wiederholt auf die Gothaer Handschrift in diesem Werk.10Siehe zum Beispiel von Hammer-Purgstall 1853 (erste Abtheilung, vierter Band). S. 39.

Feras Krimsti

Literatur

  • Joseph von Hammer, Geschichte des Osmanischen Reiches: Grossentheils aus bisher unbenützten Handschriften und Archiven. Achter Band. Wien 1832.
  • Joseph von Hammer-Purgstall, Literaturgeschichte der Araber. Von ihrem Beginne bis zu Ende des zwölften Jahrhunderts der Hidschret. Erste Abtheilung, erster Band. Wien 1850.
  • Joseph von Hammer-Purgstall, Literaturgeschichte der Araber. Von ihrem Beginne bis zu Ende des zwölften Jahrhunderts der Hidschret. Erste Abtheilung, vierter Band. Wien 1853.
  • Maria Mitscherling, … wofür Ew. Hoheit meinen unterthänigsten Dank Sich zu Füßen legen zu lassen gestatten wollen. Dienstwege Gothaer Bibliotheksdirektoren, in: Ulman Weiß (Hg.), Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Epfendorf/ Neckar 2008, S. 387–411.
  • Ulrich Jasper Seetzen, Nachrichten von arabischen Reisebeschreibungen und andern geographischen Werken. Von U. J. Seetzen in Kahira, in: Monatliche Correspondenz zur Beförderung der Erd- und Himmelskunde 17 (1808), S. 291–311.
  • Ulrich Jasper Seezen (Seetzen), Auszug eines Briefes des Herrn Kollegienassessors Seezen an Herrn von Hammer. Kahira den 10. July 1808, in: Fundgruben des Orients/ Mines de l’Orient (Wien 1809), S. 43–77.
  • Ulrich Jasper Seezen (Seetzen), in: Auszug eines Briefes des Herrn Kollegienassessors Seezen an Herrn von Hammer. Kahira den 4. Februar 1809, in: Fundgruben des Orients/ Mines de l’Orient (Wien 1809), S. 112–127.
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