Gelehrter im Wartestand. Samuel Reyher als Prinzenerzieher am Gothaer Hof: Zum 300. Todestag des Kieler Mathematikers, Astronomen und Rechtshistorikers

/ November 29, 2014

Th-St-AG-GA-EIII-Nr-3-Bl-66r.

Th-St-AG-GA-EIII-Nr-3-Bl-66r. © Thüringisches Staatsarchiv Gotha.

Der Karriereweg des im April 1635 in Schleusingen als Sohn des Rektors des dortigen Gymnasiums Andreas Reyher geborenen Samuel Reyher führte auch über den Hof Herzog Ernsts des Frommen. Gemeinsam mit seinem Vater kam er 1642 nach Gotha, wo dieser das Rektorat des herzoglichen Gymnasiums übernahm und in den folgenden Jahren prägenden Einfluss auf dessen Ausbau zu einer überregional bedeutenden Gelehrtenschule sowie auf die Schulverbesserungsbemühungen Herzog Ernsts ausübte. Nach der Ausbildung an der Schule seines Vaters bezog Samuel Reyher 1654 die Universität Leipzig, wo er das übliche philosophische Curriculum, aber auch juristische Lektionen rasch absolvierte und schon 1656 als Magister der freien Künste graduierte. An der Universität Leiden setzte er sein Studium der Mathematik und Jurisprudenz fort. Zurück in Leipzig wurde er 1660/61 zum Magister Artium promoviert und konzentrierte sich künftig sowohl auf seine juristischen Interessen als auch auf die Mathematik. Da sich eine einträgliche Stelle in Leipzig zunächst nicht bot, kehrte Reyher Ende 1661 nach Gotha zurück und konnte sich, gewiss vermittelt durch seinen Vater, der Protektion Herzog Ernsts sicher sein. Am Jahresanfang 1662 erhielt er die Berufung zum Erzieher des 1646 geborenen Erbprinzen Friedrich, des späteren Herzogs Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg und wurde „in Mathematicis, Geographicis“ sowie in den Fächern Arithmetik, Theologie und Kirchengeschichte eingesetzt. Dafür erhielt er ein jährliches Gehalt von 200 Reichtalern.
Die hier gezeigte, durch Herzog Ernst unterzeichnete Ausfertigung der Bestallung regelt überaus detailliert Aufgaben und Pflichten des Informators. Sie ist ein beeindruckendes Zeugnis für den großen Stellenwert der Erziehung der fürstlichen Kinder in Gotha. Gegenüber den in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts üblichen Standards hob man sich hier mit der Wertschätzung staatsrechtlicher und realienkundlicher Disziplinen deutlich ab. Für die Unterweisung der Kinder konnte der Herzog auf erstrangiges Personal zurückgreifen, darunter die später berühmten Gelehrten Hiob Ludolf, Veit Ludwig von Seckendorff und auch Samuel Reyher. Auffällig ist zudem die äußerst rigide Kontrolle, denen vor allem die Prinzen und ihre Lernfortschritte unterworfen waren, die durch den Herzog selbst ausgeübt wurde und deshalb ihren Niederschlag in einer sehr umfangreichen Archivüberlieferung gefunden hat.
1665 konnte Reyher mit Unterstützung des Herzogs seine akademischen Studien in den Niederlanden fortsetzen und in Leiden den juristischen Doktorgrad erlangen. Unmittelbar darauf erhielt er einen Ruf an die neu gegründete Universität Kiel, wo er fast 50 Jahre, bis unmittelbar vor seinem Tod 1714 als akademischer Lehrer wirkte. Seine Karriere führte ihn dabei von der Philosophischen Fakultät, der er zunächst als Professor der Mathematik angehörte, bis zum juristischen Ordinariat. Reyher repräsentiert als Jurist – hier vor allem als Rechtshistoriker –, Mathematiker, Naturforscher und Astrologe sowie als Ingenieur den an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert weit verbreiteten Typ des Universalgelehrten, wobei seine mathematischen, astrologischen und naturkundlichen Arbeiten bis heute beachtet werden. Dem Gothaer Hof und seinem ehemaligen Zögling blieb Samuel Reyher auch nach seinem Wechsel nach Kiel verbunden. 1686 verlieh ihm Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg den Titel eines herzoglichen Rates.
(Text: Thomas Töpfer)

Literatur

Quellen
Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, E III, Nr. 3, Acta des Hoffmeisters bey Printz Johann Ernsten bestellunge, dann des von Coßport v. des von Seckendorff Reise in die Niederlande, Engelland v. Frankreich. Item verschiedener Informatoren v. auch Hoffmeister bestallungen bey Printz Friedrichen, Printz Albrechten v. Printz Bernharden betr., Vol. 1 (1653-1668).

Literatur
Eva Bender: Prinzenerziehung am Gothaer Hof. In: Gotha macht Schule. Bildung von Luther bis Francke. Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha in Zusammenarbeit mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, hrsg. von Sascha Salatowsky (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 49). Gotha 2013, S. 71-79.
Woldemar Boehne: Die Erziehung der Kinder Ernsts des Frommen von Gotha, Chemnitz 1887.
Jürgen Schönbeck, Samuel Reyher und sein In Teutscher Sprache vorgestellter Euclides. In: NTM International Journal of History and Ethics of Natural Sciences, Technology and Medicine 15 (2007), Issue 2, S. 118-136.
Charlotte Schönbeck/Jürgen Schönbeck: Samuel Reyher. In: Kieler Lebensläufe aus sechs Jahrhunderten, hrsg. von Hans-F. Rothert. Neumünster 2006, S. 283-285.

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