Hermann Fürst von Pückler-Muskaus Sudanreise im Jahr 1837

/ Juni 21, 2023

„Auf der letzteren Reise besuchte er u.a. den Ägyptischen Sudan und leistete dabei durch Entsendung seines Dragoman Giovanni von Abu Harras aus nach Mandera und den nordöstlich davon gelegenen Ruinen von Liberi […] der Geographie einen schätzbaren Dienst, […]“1Petermann 1872, Zitat S. 61. schrieb August Petermann in der Geographischen Nekrologie 1871 über Hermann Fürst von Pückler-Muskau, der im selben Jahr in Branitz verstorben war.

Wie passt ein solches Lob zur „Kunstfigur“ Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785‒1871), der als schräger, tollkühner, unangepasster Charakter eine hervorragende Vorlage für eine Legendenbildung oder eine erfundene Geschichtsschreibung lieferte – an der er zugegebenermaßen ein Leben lang selbst beteiligt war? Darüber hinaus sind Pückler-Muskaus Werke eher Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen, wobei der Fokus auf Sprache, Ausdruck und Stil liegt, aber auch die Frage der Authentizität ‒ dem literarischen Spiel zwischen Wirklichkeit und Fiktion ‒ zu klären ist. Was steckte also hinter Petermanns Aussage und wie kam es zu dieser Einschätzung, die Pückler in den erlauchten Kreis der Wissenschaft aufnahm?

Pücklers Nilreise 1837

Pückler-Muskau reiste in den Jahren 1834 bis 1840 von Muskau über Frankreich nach Nordafrika (Algerien, Tunesien), erkundete die Mittelmeerregion (Malta, Griechenland, Kandia/Kreta), den Nilverlauf (bis Elkueh am Dinder, ca. 200 km südlich von Khartum) sowie das damalige Syrien ‒ das biblische Heilige Land ‒, Kleinasien und die Donauländer des Kaisertums Österreichs, um über das böhmische Marienbad wieder nach Muskau in Preußen zurückzukehren. Die Erkenntnisse dieser sechsjährigen, außergewöhnlichen Reise hielt er in zwanzig Publikationen fest, die er unter dem Pseudonym „Briefe eines Verstorbenen“ veröffentlichte. Das für diesen Essay relevante Werk „Aus Mehemed Ali’s Reich“ veröffentlichte er 18442Pückler-Muskau, 3 Teile, 1844; Pückler-Muskau 1846. in drei Teilen (Abb. 1). Der eingangs von Petermann zitierte Reiseabschnitt wird im dritten Teil „Nubien und Sudan“ behandelt.

Abb. 1: Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Aus Mehemed Ali’s Reich.

Am 1. Januar 1837 traf Pückler von Kandia kommend in Alexandria ein, wo er einige Zeit verblieb. Trotz seines Pseudonyms („Der Verstorbene“), das allerdings seit ca. 1836 mit dem Lausitzer Fürsten in Verbindung gebracht wurde, hatte er durch Reise- und Zeitungsberichte während seiner Aufenthalte in Algerien, Tunesien, Malta und Griechenland inzwischen eine große Bekanntheit erlangt. So wurde er vom Vizekönig der Hohen Pforte, dem Regenten Ägyptens und des ägyptischen Sudans, Mehemed Ali, wie ein Staatsgast empfangen und mit allen seinem Stand angemessenen Annehmlichkeiten, einer umfangreichen Entourage, einem Koch, einem Arzt, Lasttieren, Lebensmittel und vor allem wichtigen Sendschreiben ausgestattet. Im Januar 1837 bewegte er sich per Schiff auf dem Nil in Richtung Kairo fort, nach Besichtigungen der dortigen Altertümer und Gesprächen mit Diplomaten, Wissenschaftlern und selbst dem Vizekönig, begleitete er Mehemed Ali den Nil hinauf bis nach Nubien.

In Nubien reiste Pückler allein mit seiner Entourage im März, April und Mai weiter auf dem Nil, dann ab Meravi durch die Bayuda Wüste nach Ad Damer und wieder auf dem Nil ‒ mehr oder weniger den sechsten Katarakt überbrückend – nach Khartum, wo er bis zum 12. Juli sein Hauptquartier einrichtete. Von dort erkundete er im Juni und Juli 1837 den Verlauf des Blauen Nils und erreichte Elkueh am Dinder, einem Zufluss des Blauen Nils. Er selbst glaubte noch mit der Ankunft in Musselemie bereits am Weißen Nil angelangt zu sein. Dies kann aber nun im Ergebnis der Sichtung der Karten in der Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek vollkommen ausgeschlossen werden.3Nach Sichtung der Kartenmappen SPK-40-Afrika-3,-7,-8,-17,-18,-19I,-19II. Die Afrikakarten der Kartensammlung Perthes wurden im Rahmen des vom BMBF geförderten Projektes in der Förderlinie eHeritage von 2021 bis 2023 digitalisiert und sind zugänglich über die Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha. Die von Pückler lautmalerisch notierte Ortsbezeichnung konnte anhand des umfänglich vorhandenen Kartenmaterials in der Sammlung Perthes anhand zeitgenössischer Eintragungen entlang des parallel verlaufenden Weißen Nils mit den Orten am Blauen Nil abgeglichen werden.

Die Lage von Mandera, El Gely, Libri

In dem Abschnitt seiner Reisebeschreibungen, in denen sich Pückler der Lage der Ruinen in der Butana Wüste widmet, wird deutlich, mit welcher Ernsthaftigkeit er die genaue Position dieser östlichsten Zeugnisse pharaonischer Kultur kartografisch bestimmen möchte:

„Was nun die Lage von Mandera betrifft, so glaube ich, nach allen durch meinen Dragoman so wie durch die Eingebornen erhaltnen Notizen, daß es um einen halben Grad südlicher und auch östlicher placiert werden muß, als es auf den Karten von Caillaud und Rüppel (nach welchen alle übrigen meist copirt sind) *FN) angegeben ist, seine wahre Lage also, nach der von Giovanni entworfnen und hier beigefügten Skizze, 15 Grad nördlicher Breite und 32 Grad 50 Minuten östlicher Länge nach dem Meridian von Paris seyn möchte. Gely, das auf Caillaud’s Karte einen Grad südlich von Mandera verzeichnet ist, liegt im Gegentheil einen halben Grad nordwestlich davon. Man mußte, wegen Mangel an gangbaren Wegen durch die Berge, um von Dschebel Libéri nach Gély zu gelangen, bis Abaïtor zurückkehren, und hatte dann nördlich noch zwei Karavanen-Tagereisen bis nach Gély, das Caillaud zwar, nach seinen eingezogenen Nachrichten, Kely nennt, welches aber jedenfalls ein und derselbe Ort seyn muß, da Niemand von einem südlicher gelegnen dieses Namens etwas wissen wollte, Gely aber hier sehr bekannt ist.“4Pückler-Muskau, 3. Teil, 1844, S. 337‒339.


Abb. 3: Skizze in Pückler-Muskau, 3. Teil

In der beigefügten Fußnote (*FN) wird der Text kommentiert:

„Man vergesse nicht, zu welcher Zeit dies geschrieben wurde, da seitdem, namentlich durch Zimmermann’s Karte von Mittelafrika, gewiß ein großer Fortschritt erlangt worden ist. Demohngeachtet erben sich auch hier noch bedeutende Irrthümer im Detail fort, wovon der Augenzeuge sich leicht überzeugen kann. Es freute mich, auf dieser ganz neuen Karte zum erstenmal Mandera (ich weiß nicht, nach welcher Autorität) fast eben so placirt zu finden, als ich es angebe, doch die Lage von Gely – fälschlich Kely geschrieben – bleibt nach wie vor, nach Caillaud und Andern copirt, an der unrichtigen Stelle verzeichnet. Es wird auch Abu-Haraß selbst auf Zimmermann’s Karte noch mit Abu-Ahrak travestirt, und das ansehnliche Quad Medina, Hauptort der Provinz, ist ganz weggelassen.“5Pückler-Muskau, 3. Teil, 1844, S. 337‒339.

Abb. 5: August Petermann; Bruno Hassenstein: „Extractionen und geographische Synopsis“; FB Gotha SPA ARCH PGM 138/04, hier Bl. 399r: „Nach Russegger haben fürstliche Personen wie der Prinz Wilhelm von Württemberg 18 […], und früher, fast gleichzeitig mit Russegger, der Fürst Pückler Muskau den Blauen Fluß nach Fasokl besucht, u. interessante noch mehr für die Geographie viel Neues bietende Reisebeschreibungen herausgegeben.“

Pückler hatte ein Terrain betreten, das vor ihm nur vereinzelt von Wissenschaftlern wie Johann Ludwig Burckhard, Fréderick Cailliaud und Alphonse Linant de Bellefonds bzw. Eduard Rüppell bereist hatten und nach ihm oder gleichzeitig von Joseph Russegger und Theodor Kotschy, Martin Hansal und Alfred E. Brehm aufgesucht worden war,6Burckhardt 1820; Cailliaud 1826‒1827; Ders. 1831; Rüppell 1829; Russegger 1843‒1849, 1842–1848; Brehm 1855; Hansal 1856; Kotschy 1868; Linant de Bellefonds 1869.
die mit einem klaren wissenschaftlich-kommerziellen Auftrag unterwegs und die für Petermann und dessen engstem Mitarbeiter Bruno Hassenstein verlässliche Faktenlieferanten für deren Kartenproduktion waren. Im Vergleich zu seinem sonstigen Schreibstil verblüffen Pücklers umfassende Kenntnisse der Diskurse, der Produktion von Karten, die sorgfältige Analyse der Messungen und divergierender Ortsbezeichnungen, die von seinen Zeitgenossen angefertigt bzw. erfasst worden waren. Er selbst reiste nachweislich mit der Karte von Fréderick Cailliaud, die in den Sammlungen der Stiftung Fürst-Pückler-Museum, Park und Schloss Branitz aufbewahrt wird.7Frédéric Cailliaud: Generalkarte von Ägypten und Nubien, Stahlstich auf Pappe. Paris 1827, korrigiert und verbessert von Zuccoli, Mailand 1831. Erbengemeinschaft Fürst Pückler in Branitz, Stiftung Fürst Pückler Museum, Park und Schloss Branitz. Besonders der Nubien und Sudan umfassende dritte Teil des Reiseberichtes „Aus Mehemed Ali’s Reich“ zeugen von Pücklers Beobachtungsgabe und seinem Talent mit einer „dichten Beschreibung“ Gesehenes zu dokumentieren, Berichte von Informanten auszuwerten und mit der lokalen Bevölkerung auf eine gute Weise auszukommen.

Letzteres war in dieser unwirtlichen Region in dieser Zeit eine unverzichtbare Fähigkeit, um reisen, aber vor allem, um überleben zu können.8Volker-Saad 2013; Dies. 2017 und in Vorbereitung. Das Außergewöhnliche versuchte er durch die Aussage von Zeugen zu untermauern, um Zweifel der Leserschaft auszuräumen, deren Wissen über den Ägyptischen Sudan Mitte des 19. Jahrhunderts marginal war. Diese Sorgfalt führte dazu, dass seine Beschreibungen immer wieder von wissenschaftlichen Autoren entdeckt und als Quelle zitiert wurden.9Hill 1951; Ders. 1961; Ders. 1967. Zu dieser Einschätzung gelangten offensichtlich auch Petermann und Hassenstein, als sie ihre ersten vergleichenden „Extractionen und geographische Synopsis“ für ihr Afrika-Kartenwerk durchführten, bei denen die Werke Pückler-Muskaus von 1844 ausgewertet und in den handschriftlichen Konzepten zu den Memoiren der Ergänzungshefte zu Petermanns Mitteilungen Berücksichtigung fanden.10Petermann/Hassenstein 1861; Dies. 1863.

Archivalische und gedruckte Funde in der Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha

Pücklers Reisebericht berücksichtigte Petermann erstmals 1861 in den Ergänzungsheften seiner Mitteilungen:

„Bei Niederlegung von Mandera sind einige wichtige Angaben übersehen worden, die sich in des Fürsten Pückler-Muskau Werk: ‚Aus Mehemed Ali’s Reich. Vom Verfasser der Briefe eines Verstorbenen. 3. Theil: Nubien u. Sudan‘ (S. 330 ff.) finden. Der Verfasser, durch eine heftige Krankheit einige Wochen lang in Abu Harras11Bei Pückler-Muskau, 3. Teil, 1844 auch: Abu Haraß, Abu Harasi. von seiner beabsichtigten Reise nach Mandera zurückgehalten, schickte im Mai 1837 seinen Dragoman Giovanni, dem er unbedingtes Vertrauen schenkte, dahin, um sichere Kunde über die sich daselbst befindenden Ruinen zu erhalten. Am 2. Juni kehrte er von seiner Exkursion zurück und das Resultat seiner Forschungen ist kurz folgendes: […]“.12Petermann/Hassenstein 1861, S. 10.

Es folgt das von Petermann erwähnte mehrseitige Zitat aus Pücklers Bericht ab S. 330 ff., das die Lage, die Güte und die Besonderheit der archäologischen Fundorte sowie der Menschen und Landschaft in diesem Bereich der Butana-Wüste ausführlich beschreibt. Die folgende Erklärung für die umfangreiche Würdigung ist sehr erhellend, eine fachliche Anerkennung für den ansonsten unbekannt bleibenden Giovanni und schmeichelhaft für den als Gartenkünstler geschätzten, aber eher als Lebemann und nicht auf Forschungsfragen fokussiert wahrgenommenen Pückler. Das Erstaunlichste jedoch ist: Gut siebzehn Jahre nach Erscheinen seines Reiseromans galten seine Beschreibungen immer noch als wissenschaftliche Erkenntnis für die geografische Fachwelt, wie Petermann und Hassenstein betonen:

„Wir geben hier den Bericht Giovanni’s ausführlicher, als es der Zweck dieses Mémoire verlangt, theils weil er einem von den Geographen und selbst Reisenden wie Werne, Hansal u. A. wenig oder gar nicht benutzten Werkchen entnommen ist, theils auch weil er, als von einem nach Pückler Muskau’s Urtheil für archäologische Forschungen sehr geschickten jungen Manne herrührend, für diese so viel besprochenen Gegenden von grosser Wichtigkeit ist und weder von Werne noch von Reitz und Hansal die interessanten Ruinen von Libēri erwähnt werden.“13Petermann/Hassenstein 1861, S. 10, Fußnote 1.

Von seinem Dragoman erfuhr Pückler nicht nur die Lage von Mandera, Libri und Gebel Geli, sondern auch ‒ nach einer weiteren Exkursion in Richtung Weißer Nil ‒ von der Existenz der Nuba am Jebel Kadro und am Jebel-Njucker sowie des Ortes Turban, aber auch von solchen Bewohnern, die angeblich „Menschenfleisch fressen“ oder „frisches wie verfaultes Fleisch, Ratten, Schlangen, Kröten und Ungeziefer“14Pückler-Muskau, 1994, S. 636. verzehren. Pückler hatte den Exkursionen von Giovanni insgesamt zehn Seiten gewidmet.15Pückler-Muskau, 3. Teil, 1844, S. 331‒341. Er hatte großes Interesse daran, die Quellen des Weißen Nils zu finden, ein Unterfangen, das er jedoch aufgrund der einsetzenden Regenzeit und Giovannis Berichten unterließ.16Die Reisen von Burton und Speke ins Innere von Afrika und auf der Suche nach den Quellen des Weißen Nil (1864) reflektieren den wissenschaftlichen Anspruch und die Faszination, die mit der Lüftung der letzten Geheimnisse des undurchdringlich scheinenden afrikanischen Kontinentes verbunden waren. Auch diesen Diskurs verfolgte Pückler mit Nachdruck. Er veranlasste Mehmed Ali zur Durchführung von Reisen zur Erkundung der Quellen des Weißen Nils, worüber der deutsche Geograf Carl Ritter berichtete; vgl. Ritter 1842–1843 und Petermanns Karte von Inner-Afrika, Blatt 6 (Dar-Fur und Kordofan).

Abb. 6: Ausschnitt aus August Petermanns Entwurf einer Karte von Ost-Afrika zwischen Chartúm & dem Rothen Meere bis Sauakin und Massaua, FB Gotha SPA 4° 99 (6).

Dass diese Erkenntnisse aus den Werken Pücklers in die Karten des Perthes Verlages Eingang fanden, ist ein unerwarteter, sensationeller Recherchefund. Summa Summarum handelt sich um zwei Übernahmen in die Memoires17Auf Pückler-Muskau wird im Memoire zur Specialkarte von Innerafrika mehrfach verwiesen; Petermann/Hassenstein 1863, S. 22 li, Anm. 7, S. 23 re, Anm. 1, S. 26 re, Anm. 6, S. 27 li, Anm. 2, S. 36 li, Anm.8, S. 41 li, Anm. 3, S. 45 re, Anm. 1. und um zwei Einträge in Kartenwerken. Zum einen werden die Reiseverläufe und Neuverortungen der Berge Mandera, Gely und Libri sichtbar und nachvollziehbar im „Entwurf einer Karte von Ost-Afrika zwischen Chartúm & dem Rothen Meere bis Sauakin und Massaua“ (1860/61)18Petermann/Hassenstein 1861. (Abb. 6) eingezeichnet und auf „Fürst Pückler-Muskau’s Dragomann Giovanni“ verwiesen.

Die zweite Nennung in einer Karte versteckt sich buchstäblich wie die Nadel im Heuhaufen und wird nur sichtbar, wenn der Betrachter weiß, was er sucht (Abb. 7 und 8): In den Notizen zur Vorbereitung ihres Memories zur Special-Karte von Innerafrika in zehn Blättern von 186319Petermann und Hassenstein führten den damaligen europäischen Kenntnisstand über Afrika in einer Special-Karte von Inner-Afrika zusammen, die mit Originalberichten und dem abschließenden Memoire in vier Ergänzungsheften (Nr. 7, 9‒11) in Petermanns Mitteilungen erschien. werteten Petermann und Hassenstein Pücklers Reisebeschreibung erneut aus. Hier erscheint Pücklers Alternativweg zu Russeggers Route bei Fakir al Bint am Nil auf Petermanns und Hassensteins Karte von Inner-Afrika, Blatt 4 (Nubien). Auf Pücklers Route verweisen Petermann und Hassenstein wurde zudem kurz im ihrem Erläuterungstext zum „Quellen-Verzeichniss“ (Erklärung der Routen).


Abb. 7

Abb. 8
Abb. 7 & 8: Ausschnitte aus August Petermann; Bruno Hassenstein: Karte von Inner-Afrika, Blatt 4 (Nubien). (7) Der in einer zart gestrichelten Linie ausgeführte und mit „Pückler-Muskau 1837“ beschriftete Alternativweg Pücklers verläuft westlich der in Rot hervorgehobenen Route Russeggers. (8) Quellen-Verzeichnis. (Erklärung der Routen u. Abkürzungen.)

Zu guter Letzt bleibt die Frage offen, wie Petermann und Hassenstein auf Pückler-Muskaus Werke aufmerksam wurden. Hier muss der Blick erweitert werden und der Schlüssel ist vielleicht ein Hinweis im Inventar des Pückler-Nachlasses von Ludwig Stern20Stern 1911. Der Pückler-Nachlass befindet sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges in der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek und kann als Microfiche-Kopie in der Stiftung Fürst-Pückler-Museum Park und Schloss Branitz eingesehen werden. auf eine Korrespondenz zwischen Pückler und dem mit Petermann eng befreundeten Afrika-Forscher Heinrich Barth. In einem Brief von 1860 bittet Barth den Fürsten um finanzielle Unterstützung der zweiten, von Petermann initiierten Expedition nach Inner-Afrika, um den verschollenen Eduard Vogel ausfindig zu machen. Barth hatte mit dem Naturwissenschaftler und Forschungsreisenden Christian Gottfried Ehrenberg zu diesem Zweck 1855 in Berlin die Carl-Ritter-Stiftung gegründet, wodurch sich die Wege möglicherweise kreuzten. Belege darüber, dass sich Pückler bereits an der zur Auffindung Vogels unternommenen, aber durch die Ermordung Karl Moritz von Beurmanns gescheiterten Expedition von 1862–1863 beteiligte, liegen nicht vor. Aber dass er sich später bei der Finanzierung der Ersten und Zweiten Deutschen Polarexpedition großzügig mäzenatisch einsetzte, belegen die gedruckten Listen der Förderer in Petermanns Mitteilungen.21Petermann/Hassenstein 1869, S. 199. Aus all dem entwickelte sich keine intensive Beziehung mehr zwischen Petermann und Pückler. Dies lag sicherlich am hohen Alter Pücklers und möglicherweise auch daran, dass er vor allem auf die Karten des Berliner Kartenverlages von Dietrich Reimer fokussiert war.

Abb. 9: Originalbrief von Pückler an Dr. Petermann, Branitz, 10. Juli 1869, am 14. Juli 1869 in Gotha eingegangen; FB Gotha, SPA ARCH PGM 148/01, Bl. 93r‒94v, hier 93r und 94v mit Pücklers Unterschrift. Der Entwurf zu diesem Brief ist bei Stern 1911 aufgelistet und befindet sich in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau.

Abb. 10: Originalbrief von Pückler an Dr. Petermann, Branitz, 10. Juli 1869

Und schließlich im Zusammenhang von Pücklers Spenden für die deutschen Polarexpeditionen noch ein letzter überraschender Fund: Das einzige Autograf, das von Pückler an Petermann in der Sammlung Perthes erhalten ist, stammt aus dem Jahr 1869. Es ist ein Spendenbrief Pücklers, von ihm unterschrieben und um ein Postscriptum ergänzt. Mit zittriger Handschrift entschuldigt sich Pückler, dass er „wegen schmerzlichen Unwohlseins diesen Brief diktiren mußte“. Das Schreiben war bisher in den Tiefen des Archivs verborgen, weil in den Inventaren der Sammlung Perthes der Name Pücklers fälschlicherweise zu „Thückler“ verlesen worden war. Dies ließ bisher annehmen, dass es keine Korrespondenz und Spuren von Pückler in der Sammlung Perthes gäbe. Im Gegenteil ‒ Pücklers Spuren in den Karten des Perthes Verlages und in den Überlieferungen der Sammlung Perthes reichen über diesen Lesefehler weit hinaus.

Kerstin Volker-Saad

Dr. Kerstin Volker-Saad (Berlin) ist Ethnologin, Kuratorin, Ausstellungsmacherin und Kunstsachverständige für Afrikanische Kunst. 2019 war sie Herzog-Ernst-Stipendiatin am Forschungszentrum. Von 2021 bis 2022 war sie federführend im Pilotprojekt „Exemplarische Erschließung der Ethnographica in der Sammlung Stiftung Schloss Friedenstein Gotha“.

Quellen

  • SPA ARCH PGM 138/04 (Bruno Hassenstein)
  • SPA ARCH PGM 148/01 (Polarforschung, Nordpolarexpedition 1868‒1872)

Literatur

  • Alfred Edmund Brehm: Reiseskizzen aus Nord-Ost-Afrika oder den unter egyptischer Herrschaft stehenden Ländern Egypten, Nubien, Sennahr, Rosseeres und Kordofahn. Gesammelt auf seinen in den Jahren 1847 bis 1852 unternommenen Reisen, 3 Bde. Jena 1855.
  • Johann Ludwig Burckhardt: Reisen in Nubien. Weimar 1820.
  • Frédéric Cailliaud: Voyage à Méroé, au Fleuve Blanc, au-delà de F’azoql dans le midi du royaume de Sennâr, à Syouah et dans cinq autres oasis. […] Paris 1826–1827.
  • Frédéric Cailliaud: Recherches sur les arts et métiers, les usages de la vie civile et domestique des anciens peuples de l’Egypte, de la Nubie et de l’Ethiopie. […] Paris 1831.
  • Martin Hansal: [Fortsetzung der neuesten] Briefe aus Chartum in Central-Afrika (Hrsg. von Franz Xaver Imhof). Wien 1856.
  • Richard Hill: A Biographical Dictionary of the Anglo-Egyptian Sudan. Oxford 1951.
  • Richard Hill: Reisende im Sudan. London 1961.
  • Richard Hill: A Biographical Dictionary of the Sudan. London 1967.
  • Theodor Kotschy: Reliquiae Kotschyanae […]. (Hrsg. von Georg Schweinfurth). Berlin 1868.
  • Louis Maurice Adolphe Linant de Bellefonds: L’Etbaye, pays habité par les Arabes Bicharieh. Géographie, ethnologie, mines d’or. Paris 1869.
  • August Peterman, Bruno Hassenstein: Ost-Afrika zwischen Chartum und dem Rothen Meere bis Suakin und Massaua. Gotha 1861. (Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt, Ergänzungsheft 6)
  • August Petermann, Bruno Hassenstein: Inner-Afrika nach dem Stande der Geographischen Kenntniss in den Jahren 1861 bis 1863. Gotha 1863. (Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt, Ergänzungsheft 11)
  • [August Petermann, Bruno Hassenstein]: Zweite Deutsche Nordpolar-Expedition. In: Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt 15 (1869), S. 199–200.
  • [August Petermann]: Hermann Ludwig Heinrich Fürst v. Pückler-Muskau. In: Geographische Nekrologie des Jahres 1871. In: Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt 18 (1872), S. 60–61.
  • Hermann Fürst von Pückler-Muskau: Aus Mehemed Ali’s Reich, 1. Teil: Unter-Aegypten, 2. Teil: Ober-Aegypten, 3. Teil: Nubien und Sudan. Stuttgart 1844.
  • Hermann Fürst von Pückler-Muskau: Aus Mehemed Alis Reich. Ägypten und der Sudan um 1840, 3. Aufl. Zürich 1994.
  • Carl Ritter: Über die dreimal wiederholte Expedition Mehmed Ali’s, Vicekönigs von Ägypten zur Entdeckung der Quellen des Bahr el Abiad oder des Weissen Nil-Arms in den Jahren 1839 bis 1842. In: Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 4 (1842–1843), Drittes Stück, S. 115–124.
  • Eduard Rüppell: Reisen in Nubien, Kordofan und dem peträischen Arabien. Frankfurt am Main 1829.
  • Joseph Russegger: Reisen in Europa, Asien und Afrika […] unternommen in den Jahren 1835‒1841, 2. Band: Reise in Egypten, Nubien und Ost-Sudan in den Jahren 1836, 1837 und 1838, 3 Teile. Stuttgart 1843‒1849; Atlas. Stuttgart 1842–1848.
  • Ludwig Stern: Die Varnhagen von Ensesche Sammlung in der königlichen Bibliothek zu Berlin. Berlin 1911.
  • Kerstin Volker-Saad: Auf nach Ägypten! Zwei Meister ihres Faches: Der Maler David Roberts und der Reiseschriftsteller Hermann Fürst von Pückler-Muskau in Ägypten 1837–1839 (Hrsg. „Stiftung Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“). Bad Muskau 2013.
  • Kerstin Volker-Saad: „So reichlich bevölkert wie im Paradiese“. Hermann Fürst von Pückler-Muskaus abenteuerliche Reise durch Nubien und dem Sudan im Jahre 1837 (Hrsg. Stiftung „Fürst-Pückler-Park Bad Muskau“). Bad Muskau 2017.
  • Kerstin Volker-Saad: Pücklers Nil-Expedition 1837. Auf 68 Etappen durch Nubien und den Ägyptischen Sudan (Druck in Vorbereitung für die Muskauer Schriften).

Abbildungsnachweis

  1. Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Aus Mehemed Ali’s Reich, 3 Teile, Stuttgart 1844, FB Gotha Geogr 8°00794/04(01‒03).
  2. Ausschnitt aus der Carte du Kordoufan et des pays adjacents, d’après les observations de Mehemet Beg, rédigée par Mr. Edouard Rüppell en 1824, in: Journal des Voyages 24 (1825); FB Gotha SPK-40-8-A-02.
  3. Skizze in Pückler-Muskau, 3. Teil, 1844, S. 338.
  4. Gefundene Skizze in der Sammlung Perthes, vermutlich nach Pückler-Muskau (vgl. Abb. 3) FB Gotha SPK-40-19.2-A-03.22Es handelt sich höchstwahrscheinlich um eine Kopie von der Hand Petermanns oder Hassensteins. Es war Praxis im Perthes Verlag, Karten aus Büchern herauszulösen und in der Kartensammlung abzulegen, um die kartografische Entwurfsarbeit effizienter zu gestalten. Da sich in der Verlagsbibliothek jedoch kein Exemplar von Pückler-Muskaus Reisebericht befand, sondern nur im Bestand der Gothaer Herzoglichen Bibliothek, hat man offenbar auf Transparentpapier ein handgezeichnetes Duplikat erstellt. Auch hätte die Herausnahme der Karte unweigerlich zur Zerstörung des Buches geführt, weil die Skizze in den Satzspiegel integriert war. – Diese Mühen um Pücklers Skizze ist letztlich auch ein weiteres aufschlussreiches Zeugnis dafür, wie ernst man die Erkenntnisse und kartografischen Informationen Pückler-Muskaus im Perthes-Verlag nahm. Ich danke Dr. Petra Weigel für diesen wertvollen Hinweis.
  5. August Petermann; Bruno Hassenstein: „Extractionen und geographische Synopsis“; FB Gotha SPA ARCH PGM 138/04, hier Bl. 399r: „Nach Russegger haben fürstliche Personen wie der Prinz Wilhelm von Württemberg 18 […], und früher, fast gleichzeitig mit Russegger, der Fürst Pückler Muskau den Blauen Fluß nach Fasokl besucht, u. interessante noch mehr für die Geographie viel Neues bietende Reisebeschreibungen herausgegeben.“
  6. Ausschnitt aus August Petermanns Entwurf einer Karte von Ost-Afrika zwischen Chartúm & dem Rothen Meere bis Sauakin und Massaua, FB Gotha SPA 4° 99 (6).
  7. Ausschnitt aus August Petermann; Bruno Hassenstein: Karte von Inner-Afrika, Blatt 4 (Nubien). Der in einer zart gestrichelten Linie ausgeführte und mit „Pückler-Muskau 1837“ beschriftete Alternativweg Pücklers verläuft westlich der in Rot hervorgehobenen Route Russeggers.
  8. Ausschnitt aus August Petermann; Bruno Hassenstein: Karte von Inner-Afrika, Blatt 4 (Nubien), Quellen-Verzeichnis. (Erklärung der Routen u. Abkürzungen.)
  9. Originalbrief von Pückler an Dr. Petermann, Branitz, 10. Juli 1869, am 14. Juli 1869 in Gotha eingegangen; FB Gotha, SPA ARCH PGM 148/01, Bl. 93r‒94v, hier 93r und 94v mit Pücklers Unterschrift. Der Entwurf zu diesem Brief ist bei Stern 1911 aufgelistet und befindet sich in der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau.
  10. Originalbrief von Pückler an Dr. Petermann, Branitz, 10. Juli 1869, Postscriptum Pücklers; FB Gotha, SPA ARCH PGM 148/01, Bl. 94a.
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