Eine Reise ins Ungewisse.

/ Juni 10, 2024

Die „Deutsche Expedition“ 1861-1862 und die Beteiligung von August Petermann, Theodor von Heuglin und Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha

Die Idee einer „deutschen Expedition“ nach Afrika

Die Revolution in den Jahren 1848/49 stellte die Weichen für einen gesamtdeutschen Staat. Dabei entwickelten sich die demokratischen Bestrebungen vor allem aus dem Bildungsbürgertum, welches zur politisch einflussreichsten Bevölkerungsgruppe aufstieg. Auf dem Weg zur Republik suchten die Akteure nach Aufgaben, die von den Kleinstaaten allein nicht realisiert werden konnten. Deshalb wurde die Idee einer „Deutschen Expedition“ gerade von diesen Kreisen mit Begeisterung aufgenommen. So schreibt ein Zeitgenosse 1860:

„Eine reine, frische, kräftige Regung bewegt die Deutschen ein erhebendes freudiges Selbstbewußtsein unseres Volkes geht durch das ganze Land. Auch Deutschland rüstet sich, seinen Franklin zu suchen, Deutschland, ganz Deutschland, seine Fürsten und sein Volk.“ 1Anonymus 1860, S. 419.

Die Expedition, der Verlauf und das Scheitern wurde in der Vergangenheit unterschiedlich interpretiert, wobei vor allem die vielfältigen Aufgaben, die von den Expeditionsteilnehmern bearbeitet werden sollten, nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden. Umso erfreulicher ist es, dass die umfangreichen Unterlagen in der Sammlung Perthes uns sehr detaillierte Informationen zur Expedition geben. Hier sind vor allem die umfangreiche Korrespondenz zwischen August Petermann und Theodor von Heuglin Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH PGM 062: Martin Theodor von Heuglin.2Siehe auch das umfangreiche Sammelkonvolut in der Verlagsbibliothek der Sammlung Perthes, Forschungsbibliothek Gotha, SPB 4° 4010.00056. sowie die kartografischen Arbeiten Heuglins zu nennen. So finden sich in der Sammlung Perthes allein aus diesem Zeitraum 20 Briefe von Heuglin an Petermann und sieben von Petermann an Heuglin.

Auf der Suche nach Eduard Vogel

Ein Ziel der Expedition war die Suche nach Eduard Vogel. Dieser hatte sich auf Empfehlung von August Petermann an der englischen Expedition von James Richardson in den Jahren 1849 bis 1855 beteiligt, welche durch die Sahara nach Zentralafrika vorstoßen sollte. Nach dem Tod von Adolf Overweg, der während der Expedition 1852 verstarb, führte Vogel an dessen Stelle astronomische Untersuchungen durch und kartierte die geografischen Ergebnisse. Nach der Ankunft am Tschadsee und dessen Vermessung gelangte er bis zum 9. nördlichen Breitengrad und erforschte die Region westlich des Tschads. Über Ost-Nigeria ging er weiter in das Reich Wadai im heutigen Tschad. Dort wurde er im Auftrag des Sultans im Februar 1856 ermordet. In Deutschland galt Vogel als vermisst. Es war nicht bekannt, ob er gefangen oder tot war. Ferner bestand großes Interesse an seinen verschollenen wissenschaftlichen Aufzeichnungen. Zur Klärung seines Schicksals wollten in der Folgezeit mehrere Forschungsreisende beitragen. Der 26-jährige Richard Freiherr von Neimans war der erste, der es versuchte, aber er verstarb noch kurz vor seinem Aufbruch nach Darfur 1858 in Kairo. Der zweite Versuch von Charles Cuny und seinem Sohn Kamel endete für den ersteren in Darfur tödlich, der Sohn wurde nach 2-jähriger Gefangenschaft 1860 nach Kairo zurückgeschickt.

Leitung und Finanzierung der Expedition

Nun nahmen sich August Petermann und Otto Ule, unterstützt von Heinrich Barth, der Sache an und warben ab dem Jahr 1859 für die Entsendung einer Expedition. Als Forschungsziele wurdenneben der Suche nach Vogel kartografische Aufzeichnungen und naturwissenschaftliche Forschung definiert. In die engere Auswahl für die Leitung der Expedition kamen Alfred Edmund Brehm, Theodor Kotschy und Theodor von Heuglin.

Das eingesetzte Komitee unter dem Vorsitz von Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg und Gotha und weiteren Vertretern von Staat und Wissenschaft bestimmte Heuglin zum Leiter der Expedition, dessen Ansprechpartner sollte August Petermann sein. Die Hauptaufgabe des Komitees war zunächst das Sammeln von Spendengeldern. In der Sammlung Perthes befinden sich fünf Sammelmappen mit 526 Blättern.3Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH PGM 136: Comité für Afrikaforschung, Mappen 7-11. Auf diesen sind weit über 1.000 Spender namentlich erwähnt. August Petermann hatte also sehr erfolgreich Akquise betrieben. Bis zum Mai 1861 waren Spenden in Höhe von 18.884 Thalern eingegangen.4Ule 1861, S. XII. Dies entspricht einer heutigen Kaufkraft von über 500.000 EUR.

Teilnehmer der Expedition

Abb. 1 Einige der Teilnehmer der Deutschen Expedition nach deren Eintreffen in Kairo im März 1861. Stehend links Martin Ludwig Hansal, neben ihm rechts stehend Theodor Kinzelbach. In der Mitte sitzend Hermann Steudner und rechts daneben, mit Wasserpfeife, Theodor von Heuglin. Die beiden anderen Personen sind nicht bekannt. Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, K-Arc-201681.

Die große Spendensumme erlaubte es, die Expedition personell besser auszustatten. Heuglin erhielt „zu seiner Unterstützung und zur Sicherung der wissenschaftlichen Ausbeute“ 5Haidinger 1861, S. 210. weitere Expeditionsteilnehmer. Diese waren der ehemalige Sekretär an der Missionsschule in Khartum Martin Ludwig Hansal, der schweizerische Afrikaforscher Werner Munzinger, der Astronom Theodor Kinzelbach, der Gärtner Herrmann Schubert und der Botaniker Hermann Steudner.

Heuglin traf sich mit der Gruppe am 5. März 1861 in Alexandria und blieb dort bis zum Ende des Monats. Lediglich Munzinger sollte erst in Massaua mit der Truppe zusammentreffen. Danach reiste die Gruppe weiter nach Kairo und blieb dort für nahezu 2 Monate. Die Weiterreise erfolgte über Suez und dem Roten Meer; Massaua im heutigen Eritrea wurde am 13. Juli 1861 erreicht.

Die Kritik Heinrich Barths


Abb. 2 Kartografische Skizzen aus Heuglins Tagebuch vom Juli 1861, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, ohne Signatur.

Bereits vor dem Eintreffen der Expedition in Massaua begann – unter Federführung von Heinrich Barth – die Kritik an Heuglin und sollte in der Folgezeit eskalieren. So schrieb Barth schon am 10. Januar 1861, also lange bevor die Expeditionsteilnehmer in Ägypten eintrafen, an seinen Schwager Gustav von Schubert:

„Heuglin selbst zögert leider sehr lange und wird den anderen Mitgliedern, denen das tropische Klima ungewohnt ist, besonders unserem Steudner dadurch nicht wenig schaden.“ 6Heinrich Barth an seinen Schwager Gustav von Schubert, 10. Januar 1861, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, NHB 11.

In der Folgezeit wurde auch das Komitee von Barth immer mehr angegriffen. Bereits am 9. April 1861 stellte er die Expedition, die er immer befürwortet hatte, grundsätzlich in Frage. Die Hauptvorwürfe waren Verzögerung der Reise, unsolider Umgang mit Finanzen und eine falsch gewählte Reiseroute. Am 13. Mai 1861 versuchte Petermann die Diskussionen zu beenden:

„Ich habe nach Allem die Ueberzeugung daß sich die vielfältigen Gerüchte über H v. H[euglin] auf Nichts reduciren werden oder jedenfalls der Art sind, daß das etwaige Wahre Hrn. v. H[euglin] in seiner Stellung als Chef der Expedition durchaus nicht compromittirt.“ 7August Petermann/Verlag Justus Perthes an Heinrich Barth, 13. Mai 1861, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, 622-2 I d 7.

Abb. 3 Rundsicht vom höchsten Gipfel des Sewán bei Keren, gezeichnet von Heuglin am 7. Oktober 1861, Forschungsbibliothek Gotha, SPK-40-20-a-A-03_00008.

Die Motivation für Barths Verhalten ist nicht ergründbar, die meisten Vorwürfe waren unzutreffend. Für eine derartige Expedition waren gerade in Afrika umfangreiche Vorbereitungen nötig, die viel Zeit beanspruchten. Die Reiseroute war von Anfang an vorgegeben und der zeitliche Ablauf war wegen der Regenzeit, die für die Gesundheit der Teilnehmer sehr gefährlich war, vorherbestimmt. Die Gruppe wollte bis zu deren Ende im Hochland von Abessinien verbringen, um unmittelbar danach in Richtung Khartum weiter zu reisen. Ein Fehlverhalten der Teilnehmer ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu erkennen, die Kritik hatte der Euphorie in Deutschland jedoch geschadet.

Planänderungen

Abb. 4 Route Heuglins von Gondar nach Djamma vom 17. Februar bis 27. Mai 1862, gezeichnet von Heuglin, Khartum, 1. August 1862, Forschungsbibliothek Gotha, SPK-40-20-a-A-03_00013.

Auf der Weiterreise von Massaua nach Aksum erhielt Heuglin die Nachricht, dass Vogel in Wadai umgebracht worden und seine Ausrüstung vernichtet worden sei. Dies war für ihn der Anlass, die Suche nach diesem einzustellen, was zur Trennung der Gruppe führte. Er entschied, sich in südwestlicher Richtung ins Königreich Kaffa zu wenden. Die geplante Änderung der Route war gravierend. Kaffa liegt im Südwesten des heutigen Äthiopien, etwa 800 km südsüdwestlich von Gondar. Der Blaue Nil liegt von dieser Region etwa 500 km westlich. Ein Großteil dieses Gebietes war Terra incognita und bestand teilweise aus nahezu undurchdringlichem Regenwald. Diese Routenwahl hatte mit der ursprünglichen Zielsetzung sicher nichts mehr gemein. Für diese wenigstens 3000 km lange Expedition mussten sicherlich zwei, eher drei Jahre eingeplant werden. Da dies eine eklatante Missachtung der ursprünglichen Aufgabenstellung war, führte Heuglins eigenmächtige Entscheidung zu heftigen Reaktionen und schließlich dazu, dass ihm die Leitung der Expedition entzogen wurde. Heuglin hatte unterschätzt, dass die Suche nach Vogel die Motivation für die Unterstützer war. Naturwissenschaftliche und kartografische Ergebnisse waren für die meisten von untergeordneter Bedeutung. Heuglin war nun gezwungen, seine Pläne aufzugeben und ging gemeinsam mit Steudner nach Khartum.

Wissenschaftliche Ausbeute

Abb. 5: Karte Äthiopiens mit den Routen und Ergebnissen der Deutschen Expedition, in Heuglin 1868, Beilage.

Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition waren dennoch bedeutend. So kennen wir heute 64 kartografische Zeichnungen, von denen sich 57 in der Sammlung Perthes befinden, ferner naturwissenschaftliche Darstellungen sowie Zeichnungen von historischen Stätten und Landschaften. Neben zahlreichen Berichten und Tagebuchauszügen in den „Mittheilungen aus Justus Perthes’ Geographischer Anstalt“ und deren Ergänzungsheften8Heuglin u.a. 1864. hat Heuglin die Ergebnisse in einem eigenen Reisebericht zusammengefasst, der 1868 erschien.9Heuglin 1868.

Wilfried Schmid

Mehr zum Thema erfahren Sie beim Vortrag am 19. Juni 2024. Weitere Information können Sie dem Veranstaltungskalender entnehmen.

Wilfried Schmid (*1955) beschäftigt sich seit seiner Jugend mit der Ornithologie und ihrer Geschichte. Er hat zahlreiche ornithologische Fachpublikationen verfasst. Zum 200. Geburtstag Martin Theodor von Heuglins im März 2024 erschien Schmids Biografie mit einem umfassenden Werkverzeichnis.

Literatur

  • Anonymus: Hofrath Baron Theodor von Heuglin, Leiter der deutschen Expedition nach Mittel-Afrika zur Aufsuchung Vogel’s, in: Illustrierte Zeitung No. 911 vom 15. Dezember 1860, S. 419–422.
  • Wilhelm von Haidinger: Über die bevorstehende Reise des königl. württembergischen Hofraths Herrn Theodor von Heuglin nach Afrika, in: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe 42, Nr. 22 (1860), S. 199–202.
  • Theodor von Heuglin, Theodor Kinzelbach, Werner Munzinger, Hermann Steudner: Die Deutsche Expedition in Ost-Afrika, 1861 und 1862, in: Mittheilungen aus Justus Perthes‘ Geographischer Anstalt, Ergänzungsheft 13. Gotha 1864.
  • Theodor von Heuglin: Reise nach Abessinien, den Gala-Ländern, Ost-Sudán und Chartúm in den Jahren 1861 und 1862. Mit Vorwort von Dr. A. E. Brehm. Jena 1868.
  • Otto Ule: Sahara und Sudan. Ein Beitrag für die erste deutsche Expedition nach Innerafrika mit einem Vorwort über den Ursprung des Unternehmens. Halle 1861.
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