Mein Freiwilliges Kulturelles Jahr in der Forschungsbibliothek Gotha
Bücher über Bücher über Bücher. Unzählige alte, historische Bücher auf meterlangen Regalböden, die bis unter die Decke des frühbarocken Schlosses Friedenstein lagern. Das hat mich fasziniert, als ich auf der Suche nach einer Einsatzstelle für ein FSJ war, sodass ich mich für ein Freiwilliges Kulturelles Jahr (FKJ), also einen Freiwilligendienst in einer Kultureinrichtung, an der Forschungsbibliothek Gotha bewarb. Schon länger haben mich große Universitätsbibliotheken beeindruckt, und ich habe mich gefragt, wie die Mitarbeiter*innen in einer solchen Einrichtung arbeiten und wie die Abläufe vonstattengehen, die man als Leser*in kaum mitbekommt. Die Tatsache, dass die Forschungsbibliothek Gotha eine Bibliothek mit historischem Bestand ist, hat mich umso mehr fasziniert. Deshalb war bei mir die Freude groß, als ich eine Zusage für das FKJ erhielt. Denn so hatte ich ein ganzes Jahr lang die Gelegenheit, in alle Arbeitsbereiche der Bibliothek „hinein zu schnuppern“, in verschiedenen Bereichen mitzuhelfen und mich auszuprobieren. Außerdem erschien mir das FKJ eine gute Gelegenheit meinen Berufs- bzw. Studienwunsch zu überdenken oder vielmehr zu konkretisieren.
Doch ehe ich selbstständige Aufgaben, wie beispielsweise den Magazindienst übernehmen konnte, ohne mich fast zu verlaufen, dauerte es ein wenig. Denn anfangs, im September 2019, war noch alles neu für mich. Da ich mein bisheriges Leben in der Schule verbracht hatte, war selbst der 8-Stunden-Arbeitstag eine völlig neue Erfahrung für mich. Außerdem bin ich für mein FKJ nach Gotha gezogen, was für mich bedeutete, das erste Mal allein in einer eigenen Wohnung zu leben.
Abgesehen von diesen organisatorischen Veränderungen in meinem Leben, waren auch die vielen neuen Kolleg*innen (es sind immerhin über 30, was man als Außenstehende*r nicht erwarten würde) und das Arbeitsumfeld anfangs fremd. Doch von Beginn an waren alle sehr freundlich zu mir und auch während des gesamten Jahres immer hilfsbereit und offen für meine Fragen, sodass ich schnell das Gefühl bekam, zum Team dazu zu gehören. Neben den neuen Kolleg*innen, ihren Namen, Aufgaben und Zuständigkeitsbereichen musste ich mir überdies noch merken, wo die einzelnen Mitarbeiter*innen zu finden sind, wie das Magazin strukturiert ist und wo man welches Buch finden kann. Mittlerweile weiß ich jedoch recht sicher, wo beispielsweise Werke zum Thema Geografie zu finden sind oder welcher der kürzeste Weg ist, um zum Sachgebiet Poesie zu gelangen. Dieses Wissen ist für mich auch essentiell, denn seit der zweiten Woche meines FKJs helfe ich beim Magazindienst mit. Das heißt, dass ich zwei Mal täglich die bestellten Fernleihen und Bücher für die Universitätsbibliothek Erfurt aushebe.
Die restlichen Aufgaben, die ich erledige, fallen jedoch immer unterschiedlich aus, je nach dem, was es gerade zu tun gibt. So kam es dazu, dass ich schon Bücher für die Digitalisierung eingescannt, ein Seminar beaufsichtigt und Mappen zum Schutz alter Zeitschriften gefaltet habe. Außerdem übernehme ich öfter Rechercheaufgaben. Zudem helfe ich im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit mit und erarbeite hierfür den Pressespiegel und hänge Plakate für anstehende Veranstaltungen aus. Des Weiteren übernehme ich Qualitätskontrollen bei Digitalisaten, bevor sie veröffentlicht werden. Diese Scans von Büchern werden anschließend in einem Online-Portal hochgeladen, damit Interessierte weltweit auf die Werke zugreifen können, die sich eigentlich in Gotha befinden.
Da bei ständigen Neuanschaffungen, auch in einem sehr großen Gebäude wie einem Schloss, die Platzkapazitäten irgendwann an ihre Grenzen stoßen, gehört es seit Jahresbeginn auch zu meinen Aufgaben, den Kolleginnen im Magazin dabei zu helfen, die Bücher in den Regalen zusammenzurücken, sodass wieder ein bisschen Platz frei wird. Das ist nicht nur notwendig, sondern auch sehr aufwendig – und vor allem körperlich anstrengend. Denn mitunter muss man die Bücher vom untersten Regalboden in den obersten, direkt unter der Decke, heben, oder auch umgekehrt. Dabei kommen sehr häufig hohe Leitern zum Einsatz. So hatte ich manchmal das Gefühl, mein tägliches Fitnessprogramm schon während der Arbeitszeit absolviert zu haben.
Zum Freiwilligen Kulturellen Jahr gehören neben der Arbeit in der Einsatzstelle auch Seminarwochen, die man zusammen mit anderen Freiwilligen aus der Region absolviert. Dabei hat man die Gelegenheit, an Workshops zu verschiedenen Themen aus dem kulturellen, künstlerischen oder gesellschaftlichen Bereich teilzunehmen, die anderen FKJler kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Bei unserem ersten Seminar habe ich beispielsweise an einem Workshop zum Thema „Präsentationstraining“ teilgenommen, bei dem u.a. spontane Reaktionen und Gesprächssituationen geübt wurden. Neben den Workshops redeten wir im Seminar auch über unsere Erwartungen und Vorstellungen zum Freiwilligendienst und erhielten einen kleinen Einblick von der täglichen Arbeit der anderen Freiwilligen in ihren Einsatzstellen, die sehr unterschiedlich sind: von Theater bis Archiv, von Jugendeinrichtung bis Museum, von Radio bis Kulturzentrum. Die Einsatzmöglichkeiten im FKJ sind so unterschiedlich, dass es kein Wunder ist, dass jedes FKJ absolut individuell und einzigartig ist, jede*r ganz unterschiedliche Erfahrungen sammelt und es sehr spannend ist, die Erfahrungen untereinander beim Seminar auszutauschen.
Neben den Seminaren haben wir Freiwillige außerdem die Möglichkeit jeweils an zwei sogenannten Freien Bildungstagen teilnehmen. Hier kann sich jede*r über das Jahr verteilt für zwei Workshops anmelden. Leider sind die Bildungstage, für die ich mich angemeldet hatte, aufgrund der Corona-Krise ausgefallen. Der Träger des Freiwilligen Jahres, die LKJ Thüringen, hat sich trotzdem etwas einfallen lassen, damit wir Freiwilligen trotzdem noch an Bildungsangeboten teilnehmen können: die Workshops fanden einfach digital statt. Ich denke zwar nicht, dass ein digitaler Workshop per Videokonferenz einen echten, physischen Bildungstag ganz ersetzen kann, aber es stellt trotzdem eine gute Möglichkeit dar, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen und sich mit anderen austauschen zu können. Unter anderem habe ich an einem Workshop zum Thema „Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ teilgenommen und finde, dass es ein wirklich gelungener Tag war. Entgegen meinen Erwartungen redeten weder alle durcheinander, noch herrschte verhaltenes Schweigen; weder wurde man beim Reden unterbrochen, noch wurde man zu einem Wortbeitrag gedrängt. Alle hatten die Möglichkeit selbst zu Wort zu kommen, die eigene Meinung zu vertreten und eigene Ideen sowie Fragen einzubringen.
Kurz vor Ende meines FKJs habe ich noch ein zweites digitales Bildungsangebot wahrgenommen, bei dem wir zwei Tage lang in die Technik der Cyanotypie eingeführt wurden. Bei diesem fotografischen Druckverfahren entstehen beeindruckende Bilder in blauer Farbe, weshalb die Technik auch Eisenblaudruck genannt wird.
Doch nicht nur die Bildungstage und Seminare wurden durch die Corona-Situation beeinflusst, sondern mein gesamtes FKJ. Im März schloss die Forschungsbibliothek zuerst für die Besucher*innen, später auch für die Mitarbeiter*innen. Mein Freiwilligendienst wurde also erst einmal unterbrochen. Von da an war ich im Home-Office mit der Aufgabe, diesen Blogbeitrag über mein FKJ in der Forschungsbibliothek zu schreiben. Im Gegensatz zu anderen FSJler*innen, die gar nicht mehr die Möglichkeit hatten, zu einem Alltag in ihren Einsatzstellen zurückzukehren, kam ich nach etwa drei Monaten wieder zurück in die Forschungsbibliothek. Abgesehen von gewissen Verhaltensregeln, wie im Lesesaal eine Maske zu tragen und möglichst viel Abstand zu allen zu halten, konnte ich so wieder meinen alltäglichen Aufgaben in der Forschungsbibliothek nachgehen und es stellte sich wieder ein wenig das Gefühl von Normalität ein.
Durch das FKJ hatte ich nicht nur die Möglichkeit, die Forschungsbibliothek und allgemein das Berufsfeld der Bibliothek näher kennenzulernen, sondern auch die Gelegenheit, meine eigenen Stärken und Schwächen zu reflektieren und weiter herauszufinden, was ich gut oder nicht so gut kann, was mir liegt oder eher nicht, was ich gern und was ich nicht so gerne mache, aber trotzdem erledigen muss. Außerdem hatte ich die Gelegenheit mich intensiv mit meinem eigenen Berufs-bzw. Studienwunsch zu beschäftigen. In dieser Zeit bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ein Beruf im Bereich Bibliothek auf lange Sicht wahrscheinlich nicht das Richtige für mich ist.
Doch auch wenn ich mich jetzt gegen einen weiteren Weg im Bibliothekswesen entschieden habe, war das Jahr in der Forschungsbibliothek Gotha für mich auf jeden Fall vielseitig, interessant und in vielerlei Hinsicht lehrreich. Ohne das FKJ wüsste ich wohl kaum den Unterschied zwischen Foliierung und Paginierung, woher die Formateinteilung in „oktav“, „quart“ und „folio“ kommt oder wofür die Abkürzung PPN steht – und ich hätte nicht darüber nachgedacht, dass in einer Bibliothek wahrscheinlich weder eine Stauballergie noch Höhenangst vorteilhaft wären.
Verfasserin: Hannah Frankenberg, 6. August 2020