Eine Schatzkammer der Kartographie – 20 Jahre Sammlung Perthes

/ März 6, 2023

Vor 20 Jahren, am 4. Januar 2003, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom „Großen Kartenkauf“.1Platthaus, Andreas: Der große Kartenkauf, in: Feuilleton der FAZ vom 4. Januar 2003. Durch ihn sicherte sich das Land Thüringen mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder die Sammlung Perthes. Der Kauf setzte vorerst den Schlusspunkt unter einen zehnjährigen Kampf um die Zukunft der Sammlungen eines der bedeutendsten europäischen Kartenverlage. 1785 in Gotha gegründet, war der „Verlag Justus Perthes Gotha“ im 19. und 20. Jahrhundert mit seinen Karten und Atlanten ein weltweiter Marktführer geworden. Gotha wurde zu einem der bedeutendsten Zentren der modernen Kartographie.2Zur Geschichte des Verlages und seiner Sammlungen: http://perthes.de/sammlung_perthes. Ende 1952, unter dem repressiven Druck von SED-Diktatur und sozialistischer Planwirtschaft, sah sich Joachim Perthes, der in fünfter Generation den Verlag führte, mit seiner Familie gezwungen, in die Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln. In Darmstadt gründete er im April 1953 zusammen mit seinem Sohn Wolf Jürgen „Justus Perthes‘ Geographische Verlagsanstalt Darmstadt“. Das Gothaer Stammhaus war bereits im Januar 1953 entschädigungslos enteignet und verstaatlicht worden. Seit 1955 firmierte es unter dem Namen „VEB Hermann Haack Geographisch-Kartographische Anstalt Gotha“. Als einziger kommerzieller Hersteller von Karten und Atlanten in der DDR bestimmte der VEB Hermann Haack maßgebend die Schulkartographie und exportierte weit in das sozialistische Ausland.

Da die Familie ihren Rechtsanspruch auf den Gothaer Verlag nie aufgab, kam es nach der Wende 1992 zur Reprivatisierung des Gothaer Stammverlages. Noch einmal schien sich dem Perthes Verlag im Zusammengehen mit dem Ernst Klett Schulbuchverlag eine Zukunft zu eröffnen. Als dann aber 2016 die Gothaer Dependance des Klett Verlages nach Leipzig verlegt wurde, endete die über zweihundertjährige Kartenherstellung in Gotha. Nicht aber endeten die Geschichte und Traditionen der von Gotha ausgegangenen deutschsprachigen wissenschaftlichen Kartographie. Im Wissen um die einzigartige kulturgeschichtliche Bedeutung der Verlagssammlungen etablierten Stephan Justus Perthes, in siebter Generation Erbe des Unternehmens, und die Klett GmbH einen Förderverein zur Gründung einer privat-öffentlichen „Perthes-Stiftung“. Sie sollte Trägerin eines „Museums der Erde“ mit angeschlossener Forschungsabteilung werden. Diese höchst attraktive Idee konnte bis heute nicht umgesetzt werden. Aber die über ein Jahrzehnt andauernden Anstrengungen um das „Museum der Erde“ hielten die in Gotha überlieferten umfangreichen Zeugnisse der 200-jährigen Verlagsgeschichte als Ganzes zusammen.

Vor 20 Jahren erwarb das Land Thüringen damit weit mehr als nur Karten. Vielmehr besteht die Sammlung Perthes aus einer Verlagsbibliothek mit 120.000 Bänden, einer Kartensammlung mit 180.000 Blättern und einem 800 laufende Meter umfassenden Firmen- und Familienarchiv einschließlich musealer Zeugnisse der Kartenherstellung. Übergeben wurde die Sammlung Perthes in die Obhut der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt. Als einziges auf dem europäischen Kontinent erhaltenes Archiv eines modernen Kartenverlages, als Zeugnis der Erforschung und Entdeckung der Erde und als historische Werkstätte der wissenschaftlichen Kartographie weist die Sammlung Perthes weit über Thüringen und Deutschland hinaus.

Abb. 1: Ansicht des Perthes-Forums, 2013

Nachdem die Stadt Gotha 2007 die ehemaligen Verlagsgebäude erworben und von 2011 bis 2013 saniert hatte, entstanden im neuen Perthes-Forum zukunftsfähige Rahmenbedingungen für die Bewahrung der Sammlung. Untergebracht in klimatisierten Magazinen am historischen Ort ihrer Entstehung bewahrt die Sammlung Perthes in einer denkmalsgeschützten Raumflucht die Aura des historischen Ortes. Sein Zentrum ist der Ahnensaal mit der Porträtgalerie der berühmten Verlagsmitarbeiter und Kartographen.

Abb. 2: Ahnensaal im Perthes-Forum (FB Gotha, 2020)

Mit dem Übergang der Sammlung Perthes in die öffentliche Hand ging ein tiefgreifender Wandel ihrer ursprünglich kommerziellen, auf die Herstellung von Karten ausgerichteten Nutzung einher. Aufgrund des gewaltigen Umfangs der Sammlung ist dieser Wandel allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Das mag manchen mit Ungeduld erfüllen. Und die von vielen ersehnte Dauerausstellung ist immer noch ein fernes Ziel, das Räume und Ressourcen braucht. Doch hat dieser Wandel der letzten zwei Jahrzehnte die ursprünglichen Überlieferungen des Perthes Verlages zu einer herausragenden kulturwissenschaftlichen Sammlung gemacht. Sie steht heute in vielen ihrer Teile der internationalen Forschung und der Öffentlichkeit uneingeschränkt zur Verfügung.

20 Jahre Sammlung Perthes sind Anlass Bilanz zu ziehen. Die Serie „Schatzkammer der Kartographie“ wird in den nächsten Monaten Schätze der Sammlung Perthes vorstellen und über ihre Bewahrung, Erschließung, Digitalisierung und Präsentation berichten.

Petra Weigel

Petra Weigel ist promovierte Historikerin und leitet die Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha.

Literatur

  • Fünf Generationen Justus Perthes 1785 – 1935, Gotha 1935, elektronische Ressource: https://dhb.thulb.uni-jena.de/receive/ufb_cbu_00011741.
  • Painke, Werner: 200 Jahre Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt, Gotha-Darmstadt 1785-1985 – kurzgefaßte Verlagsgeschichte, Darmstadt 1985.
  • Links, Christoph: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen, 2., aktualisierte Aufl., Berlin 2010.
  • Weigel, Petra: Die Sammlung Perthes Gotha, Berlin 2011 (Reihe Patrimonia der Kulturstiftung der Länder 254).
  • Weigel, Petra: Die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt im Perthesforum, in: Kreuch, Knut: Das Perthesforum Gotha, Gotha 2016, S. 44-54.
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