Bericht über den Workshop „Digitales Storytelling in der (sammlungsbezogenen) Wissenschaftskommunikation“

/ Oktober 20, 2021

Schon immer erzählen sammlungshaltende Institutionen Geschichten über ihre Objekte. „Ausstellen“ und „Vermitteln“ gehören nicht nur zu den Kernaufgaben des Museums, sie sind auch anderen Sammlungen mit öffentlichem Anspruch ein Anliegen. Was immer man über einen Gegenstand mitteilen will: Sobald es über beschreibende Daten hinausgeht, bildet sich ein Narrativ. Während dieser Mechanismus bei der Präsentation im analogen Bereich bekannt und bewährt ist, bereitet er beim Umgang mit digitalen Repräsentation von Objekten erfahrungsgemäß noch Schwierigkeiten.

Um sich diesem Problem zu nähern, bot die Forschungsbibliothek Gotha auf Initiative von Dr. Hendrikje Carius am 8. Oktober 2021 der Fachöffentlichkeit einen Workshop zur Einführung in das „Digitale Storytelling“ an. Dass das Treffen pandemiebedingt online stattfand, unterstrich unfreiwillig die Bedeutung des gewählten Themas nachdrücklich. Zugleich wurde so vielen Personen eine unkomplizierte Teilnahme möglich – auch das ganz passend zum Ziel digitaler Sammlungspräsentationen. Neben der nummerischen Anzahl wurde dann auch die fachliche Breite der Teilnehmerschaft von der Direktorin der Forschungsbibliothek Gotha, Dr. Kathrin Paasch, eingangs besonders betont: Spannendes und seriöses Erzählen in der digitalen Welt müsse ein gemeinsames Anliegen von Bibliotheken, Museen und Forschungseinrichtungen sein. Am Standort Gotha seien die Mitglieder des Sammlungs- und Forschungsverbunds gerade dabei, sich über ein gemeinsames Portal unter dem Namen „gotha.digital“ zu vernetzen.

Zur Anleitung des Workshops hatte die Forschungsbibliothek Gotha mit Kristin Oswald und Sophie Marie Rotermund zwei Expertinnen für digitale wie analoge Wissenschaftskommunikation gewinnen können. In ihrem einführenden Vortrag arbeiteten sie pointiert heraus, worum es beim Storytelling grundlegend geht: Ziel ist zunächst eine Übersetzung komplexer Sachverhalte in eine breiter verständliche Form; bei der digitalen Spielart wird dabei ein externes Publikum adressiert. Das Konstruieren eines Narrativs, einer Erzählung, einer Geschichte erleichtert den Zugang zu den Inhalten, die vermittelt werden sollen. Hierbei die Vergangenheit eines Objekts oder einer Person als Ausgangspunkt zu wählen, liegt nicht nur nahe, sondern stößt erfahrungsgemäß auch auf das Interesse der Adressaten: Die dem Fachpublikum intrinsische Neugierde mag zwar ungerichtet oder unbewusst sein, darf aber dennoch als grundsätzlich vorhanden angenommen werden. Umso wichtiger ist es daher, unmittelbare, assoziative und emotionale Momente in das digitale Storytelling zu integrieren. Dabei stehen diese Elemente dem Erzählen ohnehin nahe. Grundlegende Erkenntnisse und Methoden der Literatur- und Filmwissenschaften können bei der Konzeption einer Geschichte über Objekte und Sammlungen helfen: Der idealtypische Aufbau einer Geschichte mit der Störung einer Ausgangslage, dem Weg zur Lösung dieser Komplikation und der Reintegration der neuen Situation in das Leben des Protagonisten bietet auch beim digitalen Präsentieren eine Orientierung.

Vier Beispielfälle dienten der Illustration dieses Modells; sie wurden vorgestellt und erste Eindrücke diskutiert. Das digitale Format des Workshops erlaubte eine individuelle Auseinandersetzung mit den jeweiligen Internetseiten, die auf unterschiedliche Weise eine praktische Umsetzung des Storytellings im sammlungsbezogenen Kontext zeigten.

Von 2015 bis 2017 hatte das Römisch-Germanische Zentralmuseum Mainz anlässlich der Ausstellung Codes der Macht das Storytelling auf analoger und digitaler Ebene mit einander verschränkt. Als erzählende Figur war König Chlodwig I. selbst präsent: In Interviews mit einer fiktiven Klatschpresse online, persönlich bei Pressekonferenzen und auch hin und wieder leibhaftig in der Ausstellung. Hierfür war ein Schauspieler verpflichtet worden, der über knapp zwei Jahre hinweg den jungen Chlodwig in einer Mischung aus Historizität und Fiktionalität in Mainz zum Leben erweckte und dabei seine oder dessen Geschichte erzählte.

Ebenfalls teils frei erfunden, teils in historische Realitäten eingebettet ist die Geschichte, mit dem das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg seine Jugendstil-Ausstellung Bewegte Jahre präsentiert. Mit dem fiktiven Reporter Christian Heller und seiner real ebenfalls nie existenten Zeitung reist das Publikum durch das Europa der Jahrhundertwende. Ausgehend von den erdichteten Erlebnissen und Aufzeichnungen Hellers wird das geistige, kulturelle und künstlerische Klima des Fin de Siècle und der Belle Époque in ganz Europa dargestellt. Dabei steht der kunsthistorische Aspekt nicht unmittelbar im Vordergrund, sondern wird eingebettet in eine umfassendere Erzählung. Die niederschwellige, dezent mit Audiodateien unterlegte digitale Präsentation will so einen ersten Zugang zur Objektsammlung in Hamburg schaffen und zum Besuch einladen.

Einen realen Teil der Geschichte einer konkreten Sammlung visualisiert ein Projekt der FH Potsdam: Chronologisch sortiert kann nachvollzogen werden, welche Bücher Johann Wolfgang von Goethe in den Jahren von 1778 bis 1832 in der Weimarer Bibliothek entliehen hatte. Die betreffenden Werke sind verschlagwortet und, sofern verfügbar, mit Digitalisaten verknüpft. Neben diese chronologische Ebene, die auf dem Leben von Goethes basiert, tritt eine Einordnung, was zum Zeitpunkt der Ausleihe in der Welt geschah. So lässt sich das Leseverhalten des prominenten Bibliotheksnutzers nicht nur statistisch, sondern auch auf Korrelationen mit anderen Ereignissen hin untersuchen.

Weitaus assoziativer und nicht direkt an einer Vergangenheitsdarstellung orientiert arbeitet das Portal aflow zur Filmforschung: Auf der Seite kann ein einzelnes Video ausgewählt und in einem zentralen Feld angezeigt werden, woraufhin weitere, auf die eine oder andere Weise verwandte Filmdateien rund herum angezeigt werden. Das gemeinsame Element kann etwa die identische Regie, ein ähnliches Thema, die beteiligten Schauspieler oder den Zeitraum sein. So lädt die Seite zum ganz digitalen Entdecken des ja per se flüchtigen Mediums Film ein.

Mit den völlig unterschiedlichen Formen des Storytellings weisen diese vier Beispiele auf ein grundlegendes Prinzip des Storytellings hin: Der gewählte Stil muss nicht nur zum Adressaten, sondern auch zum Absender passen. Dennoch ist es gerade im digitalen Bereich natürlich grundlegend für eine gelingende Präsentation, die Zielgruppe zu bestimmen und zu kennen.

Unter diesem Aspekt besonders interessant sind digitale Sammlungspräsentationen, zu denen belastbare Daten zur Nutzung vorliegen. Zu den meistbesuchten Internetseiten von Museen gehört die des Metropolitan Museum of Art. Es stellt rund vier Millionen Einträge zur Verfügung, auf die im Monat rund 600.000 Besuche kommen. Allerdings kommen 90% der Zugriffe aus dem Fachpublikum – und geschehen meist über externe Verlinkungen. Beim Portal Europeana verhielt es sich bisher ebenso. Beide Seiten ähneln sich auch im Aufbau: Die vorhandenen Bilder sind zwar nach Objektgruppen sortiert, doch ist die Filterung zunächst sehr grob und nicht immer leicht zu durchschauen. Gezielte Suchen sind möglich, geschehen aber teils über nicht unbedingt selbsterklärende Kriterien. Die Informationen, die zu den einzelnen Objekten hinterlegt sind, betreffen zudem meist die äußeren Fakten. Insgesamt gleicht der Seitenaufbau damit analogen Depots.

Wesentlich niederschwelliger und zugleich informativer gestaltet das Victoria and Albert Museum seinen Internetauftritt: Hier sind den Objektgruppen Texte zugeordnet, die die Zusammenstellung erklären. Zudem sind zu einigen Datensätzen ausführlichere Artikel in Blog-Form verlinkt, über die auf ergänzende Informationen und andere Erläuterungen weitergeleitet wird. Wie diese narrative Gestaltung vom Publikum aufgenommen wird, ist allerdings bisher nicht bekannt. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe entwickelte ihr Internetangebot direkt zusammen mit 22- bis 35-Jährigen, die bisher nicht zur üblichen Zielgruppe des Museums gehörten. Das Portal Mood for Art soll dazu einladen, lustvoll und großzügig Zeit mit Kunst zu verbringen. Hierzu setzt man auf assoziative und emotionale Sortierungen; außerdem besteht die spielerische Option, Bilder von Sammlungsobjekten selbst zu verändern.

Welche Möglichkeiten die digitalen Präsentationen bieten, scheint von allen Beteiligten gerade erst erprobt zu werden: So geht ein neues Angebot der Seite Europeana nun dazu über, mehrere Bilder in Form klassischer Blog-Beiträge zu einer Geschichte zu verbinden. Da sich Text und Bild immer wieder abwechseln, kann diese Form als Scrolly-telling angesprochen werden. Das Städel Museum hingegen konzipierte begleitend zu seiner Ausstellung über Kunst der Reformationszeit eine eigene Seite, die das Hauptnarrativ der eigentlichen Schau prägnant zusammenfasste und damit zum physischen Besuch einladen wollte. Die sich entfaltenden Elemente und das auffallende Farbschema der Seite sollen den Blick leiten und die Erzählung unterstützen. Ähnlich bewegt präsentiert sich das Projekt Coins der FH Potsdam. Auch wenn hier kein eigentliches Narrativ angeboten wird, ist der ästhetische und spielerische Reiz beim Umgruppieren der Münzen nach verschiedenen Parametern ausgesprochen hoch. Die innovative Gestaltung bleibt so ebenfalls im Gedächtnis.

Die Formenvielfalt und das Potential, die das Präsentieren von Sammlungen im Internet bietet, wird gerade erst vertieft entdeckt. Die Erfahrungsschätze, auf die dabei zurückgegriffen werden kann, sind noch nicht sehr reich. Jedes Projekt hat daher fast Pioniercharakter – wobei angesichts der Flexbilität der digitalen Formate Berührungsängste ganz unnötig sind. Daher war der Nachmittag des Workshops, an dem die Mitglieder der Gothaer Einrichtungen teilnahmen, als Planspiel angelegt. Beim Gespräch in vier institutionenübergreifenden Gruppen wurden erste Konzepte entwickelt, wie das Gothaer Münzkabinett online präsentiert werden könnte. Während sich die historischen Räume dieser Sammlung mit dem Mobiliar sowie der dazugehörigen Literatur in der Forschungsbibliothek befinden, werden die Münzen als museale Objekte bei der Stiftung Schloss Friedenstein bewahrt. Die Erforschung von Numismatik und Antiquarismus in der Frühen Neuzeit stellt davon abhängig einen Schwerpunkt des Forschungszentrums Gotha dar.

Unter der Betreuung der Workshopleiterinnen entwickelten die Gruppen je ein Konzept, mit dem die Münzsammlung unterschiedlichen Zielgruppen auf digitalem Weg nähergebracht werden könnte. Den Ausgangspunkt stellte jeweils eine so genannte Persona dar, eine fiktive Einzelperson aus der möglichen Klientel – von der siebzehnjährigen Berufsschülerin bis zum pensionierten Hobby-Numismatiker. Obgleich das Gothaer Münzkabinett für niemanden unter den Anwesenden einen Arbeitsschwerpunkt darstellte, konnten doch innerhalb einer guten Stunde vier mögliche Ansätze erarbeitet werden. Im Plenumsaustausch, der sich an die Gruppenarbeit anschloss, wurden nicht nur die entwickelten Ideen vorgestellt, sondern auch auf Ähnlichkeiten geprüft. Hierbei zeigte sich, dass der Wert und die Kaufkraft von Geld Ausgangspunkte darstellen können, um heute historische Zahlungsmitteln zu präsentieren. Anschließend daran wurde diskutiert, inwieweit der heutige Museumsbesucher selbst die erzählende Rolle im digitalen Storytelling übernehmen kann. Die erzählte Geschichte würde so zur eigenen Geschichte – womit der Bereich der Partizipativität im Ausstellungskontext berührt war.

Digitales Storytelling, so wurde im Laufe des Workshops deutlich, eröffnet Möglichkeiten und verlangt genaue Planung, ist vielseitig anschlussfähig und berührt weitere Fragen von der Digitalaffinität der Zielgruppe über die Ästhetik der zweidimensionalen Virtualität bis zu den Chancen durch Gamification. Mit dem Erzählen von Geschichten über Objekte im analogen Bereich konnten bereits über viele Generationen Erfahrungen gesammelt werden. Nun gilt es, den digitalen Raum auszuloten. Jede Unternehmung in diesem Bereich kann dazu beitragen, die Methoden genauer auszuarbeiten und zu verbessern. Wenn das Ziel eines digitalen Projekts klar ist, gilt es, sich mit etwas Mut auf den Weg zu machen, um die Geschichte wirklich zu erzählen – und anschließend gilt es, bitte, allen anderen von den so gesammelten Erfahrungen zu berichten.

Verfasser: Marian Hefter, Doktorand am Forschungszentrum Gotha

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