Die bewegte Geschichte des Turnierbuchs von Herzog Wilhelm IV. von Bayern

/ Juni 3, 2022

Abb. 1: Turnier-Buch Herzogs Wilhelm des Vierten von Bayern von 1510 bis 1545. FB Gotha, Gen 2° 963/1

„Bücher in Bewegung“ – „Bewegung in Büchern“ – „Bücher, die bewegen“. Unter diesen Aspekten blickt die Forschungsbibliothek Gotha 2022 auf eine lebhafte 375jährige Geschichte zurück. Mit Blick auf Thematik, Ästhetik, Wertschätzung und Provenienzgeschichte treffen diese Momente in der Turnier- und Fechtbuchsammlung zusammen, die sich vom 17. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der Hofbibliothek auf Schloss Friedenstein befand. Exemplarisch dafür stehen hier die Besonderheiten und das Geschick des prachtvollen Turnierbuchs Herzog Wilhelms IV. von Bayern (1493–1550) im Mittelpunkt.

Der bayerische Herzog ließ den Maler Hans Ostendorfer zwischen 1541 und 1544 seine glanzvollen Auftritte und sportliche Leistungen auf Turnierfesten schriftlich und bildlich festhalten. Das kunstvolle Werk, das sich heute in der BSB München (Cgm 2800) befindet, präsentiert eine zusammenhangslose Abfolge von 16 Tjosten. Es stehen sich meist jeweils zwei Reiter mit ihren Pferden auf gegenüberliegenden Querfolioseiten gegenüber. Die Blätter sind mit Überschriften versehen, die die geharnischten Kämpfer in dynamischen Posen identifizieren und gegebenenfalls auch Informationen zu Ort, Zeit und Anlass des Turniers enthalten. Die galoppierenden Turnierkämpfer werden im Moment des Preschens oder, je nach Ausgang des Aufeinandertreffens, fest im Sattel sitzend, zurückgeworfen, vom Pferd fallend oder am Boden liegend gezeigt. Die langen Renndecken für die Pferde, die rein ornamental gestaltet oder beispielsweise mit Devisen, heraldischer Symbolik oder Narrenfiguren versehen sind, treten farblich hervor.

Viele deutschen Fürsten ließen sich vor allem im 15. und 16. Jahrhundert solche kosten- und künstlerisch aufwendigen Turnbücher anfertigen. Sie dienten zum einen den fürstlichen Repräsentationsbedürfnissen des Auftraggebers am eigenen Hof. Dabei interessierten weniger die persönlichen Erfolge beim Rennen und Stechen als die zur Schau gestellte Opulenz. Zum anderen fungierten die Bücher als Speichermedium sowohl für die Ereignisse als auch für den sich in ihnen widerspiegelnden Glanz. Schließlich waren sie von hohem symbolischem Wert für die jeweilige Dynastie.

Abb. 2: Tjost zwischen Herzog Wilhelm IV. und seinem Hofmeister Gregor von Egloffstein. FB Gotha, Gen 2° 963/1, Tafel 5.

Solche ästhetischen Handschriften gehörten zu den Vorzeigestücken einer Bibliothek. Nicht zuletzt deshalb wurde das Turnierbuch von Herzog Wilhelm IV. zusammen mit rund 2.000 anderen Bänden 1632 aus der Münchner Hofbibliothek weggeführt, nachdem König Gustav Adolf von Schweden im Dreißigjährigen Krieg die Residenzstadt eingenommen hatte. Die Bücher galten nicht nur als Kriegsbeute, sondern auch als Kriegstrophäen. Die Plünderung hatte offenbar Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar (1604–1639) veranlasst, der damals als Heerführer in schwedischen Diensten stand. Das Turnierbuch kam dann durch Erbteilung in den Besitz von Bernhards Bruder und Gründer des Herzogtums Sachsen-Gotha, Ernst I. (1601–1675). Es blieb in den Sammlungen auf Schloss Friedenstein bis 1816.

Abb. 3: Tjost zwischen Herzog Wilhelm IV. und Johann von Bern 1512. FB Gotha, Gen 2° 963/1, Tafel 10

In diesem Jahr schenkte Prinz August von Sachsen-Gotha-Altenburg (1772–1822) dem Kronprinzen von Bayern Ludwig (1786–1868) das Turnierbuch, nachdem das Wittelsbacher Königshaus gebeten hatte, das Original zur Anfertigung eines lithographischen Faksimiles zu entleihen. Im Gegenzug erhielt der Gothaer Fürst ein Exemplar der sechsbändigen Faksimile-Ausgabe der Handzeichnungen Alter Meister des Münchner Kupferstichkabinetts als Geschenk (Opp gr 2° 859/3 [2–5]) und später vermutlich auch ein Exemplar der Turnierbuch-Ausgabe (Gen 2° 963/1) (Abb. 2–3). Das Werk erschien 1817 in 32 Tafeln. Das Ergebnis des aufwendigen Herstellungsverfahrens, das auch die Bedruckung der Rüstungen mit Gold und Silber einschloss, stellt eine Glanzleistung der frühen Lithographie dar. Die handkolorierten Exemplare wurden zum stattlichen Preis von annähernd 200 Gulden verkauft. Wegen dieser Handarbeit ist jedes Exemplar dieser frühen Faksimile-Ausgabe ein Unikat. Zugleich konnten die Wittelsbacher das repräsentative Prachtstück durch den Vertrieb im Buchhandel europa- bzw. weltweit bekannt machen.

Mehr zu diesem und verwandten Themen bietet die digitale Ausstellung der Forschungsbibliothek Gotha „Mit Schwert und Degen. Zweikampf in historischen Fechtbüchern“.

Daniel Gehrt

Literatur

  • Daniel Gehrt: Mit Schwert und Degen. Zweikampf in historischen Fechtbüchern. Gotha 2021, bes. S. 11, 41–50, 59–61 (Zur Bestellseite)
  • Stefan Krause: Turnierbücher des späten Mittelalters und der Renaissance, in: Ders. und Matthias Pfaffenbichler (Hrsg.): Turnier. 1000 Jahre Ritterspiele, München u.a. 2018, S. 181–201.

Web

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