Zum Welttag des Buches am 23. April 2023

/ April 23, 2023

Die Alexander-Historie – einer der bekanntesten Texte des europäischen Mittelalters

Alexander der Große ist durch historische Eroberungs- und Kriegszüge sowie sagenhafte Taten in fernsten Regionen der Erde berühmt. Der Stoff, der seit der Antike in verschiedenen Versionen literarisch zugänglich gemacht wurde, gehört neben der Bibel zu den bekanntesten des europäischen Mittelalters.

Die hier gezeigte, reich von zwei Buchmalern illuminierte Bearbeitung der Alexander-Historie entstand im 15. Jahrhundert in Flandern. Sie enthält die Textfassung,1Für die insgesamt nur fünf erhaltenen Handschriften dieser Textversion: Olschki 1932, S. 54. die Jean Wauquelin um 1447 im Auftrag von Jean de Bourgogne, Comte d’Etampes und Cousin von Wauquelins Dienstherrn Herzog Philipp dem Guten, schrieb. Wauquelins Werk basiert auf mehreren Quellen,2Bryant 2012, S. 25 – 30. die er wohl in der gut bestückten herzoglichen Bibliothek vorfand.

Abb. 1: Alexander im Kampf gegen die hauzahnbewehrten Esel im Bärenfell (FB Gotha, Memb. I 117, Bl. 201v)

Im Roman werden Geschichtliches, Fiktives und Sagenhaft es vermischt und dabei aus Reiseberichten und Enzyklopädien geschöpft – so etwa die historischen Schlachten gegen Persien und die Ausdehnung des ursprünglichen Kleinstaates Makedonien bis an den indischen Subkontinent, die fiktiven Kämpfe in Italien und gegen die Völker des Nordens sowie die Schilderung der sonderbaren Menschenarten und des Brunnens der Jugend in Indien. Waquelin passte die verwendeten Quellen an den Geschmack der zeitgenössischen Leserschaft an und stilisierte den Held Alexander zu einem Modell für das Verhalten von Fürsten und Prinzen – neben dem hohen materiellen Anspruch vieler dieser Handschriften ein deutliches Zeichen für den gehobenen Adressatenkreis des Werks.

Abb. 2: Alexander im Kampf gegen Drachen und Einhörner (FB Gotha, Memb. I 117, Bl. 200v)

Von den 36 Miniaturen der Gothaer Handschrift zeigen fast die Hälfte Kampf- und Kriegsszenen. Jedoch sind auf vier Seiten sagenhafte Wesen, bedrohliche Tiere und Monster zu sehen, die Alexander z. B. in Albanien und auf seinem Weg ins ferne Indien bezwingen muss. Illustriert sind etwa löwengroße Hunde und Mischwesen, die an Menschen mit den Zügen von hauzahnbewerten Eseln im Bärenfell erinnern (Memb. I 117, Bl. 201v; Abb. 1), Einhörner oder Drachen (Memb. I 117, Bl. 200v; Abb. 2).

Die großen Entdeckungs- oder Forschungsreisen waren zum Entstehungszeitpunkt der Handschrift noch nicht gemacht, Marco Polos und Jean de Mandevilles Berichte über China und den Fernen Osten ebenfalls voller sagenhaft er Erzählungen.3Bremer 2007. In den Bildern stehen v. a. die Überwindung der Feinde in der Schlacht im Vordergrund. Bildmächtige Motive des Textes wie die Amazonen oder Motive, die auf den nahen Tod Alexanders verweisen wie der Tod des Bucephalus, sind nicht illustriert. Auch die Luft fahrt Alexanders – ein Symbol für Hochmut, das ein schlechtes Licht auf den Helden werfen könnte, der doch in der Dichtung v. a. als Vorbild aller herrscherlichen Tugenden galt – ist nicht verbildlicht worden.4Stammler 1934. Das Motiv wurde hingegen illustriert in der Wauquelin-Handschrift : Paris, BnF, Ms. Français 9342, fol. 180v. Die Anzahl und die Auswahl der illustrierten Szenen, wozu auch eine Schachpartie und die königliche Tafel
gehören, können von den verwendeten Vorlagen und vom Auftraggeber abhängen. Offensichtlich passte sie gut zur höfischen Lebenswelt und dem Wertekanon des ersten Besitzers Philip von Cleve (1467 – 1505), Angehöriger des burgundischen Herzogshauses. Ernst I., Herzog von Sachsen-Gotha (1601 – 1675) erwarb die Handschrift 1653/54 in Schweinfurt, sie ist gegenwärtig in der Ausstellung „Vom Fremden erzählen – Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten“ in der Forschungsbibliothek zu sehen.

Monika E. Müller

Monika Müller ist habilitierte Kunsthistorikerin und Leiterin der Abteilung Sammlungen und Bestandserhaltung, zudem Kuratorin der aktuellen Jahresausstellung „Vom Fremden erzählen – Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten“ in der Forschungsbibliothek Gotha.

Informationen zur Ausstellung mit Link zum Flyer

Literatur

  • Ernst Bremer, Jean de Mandeville in Europa. Neue Perspektiven in der Reiseliteraturforschung, Paderborn 2007.
  • Nigel Bryant (Hg./Übers.), Jehan Wauquelin, The Medieval Romance of Alexander, Woodbridge 2012.
  • Leonardo Olschki, Manuscrits français à peintures des Bibliothèques d’Allemagne, Genf 1932.
  • Monika E. Müller, Kriegszüge und Bewährungsproben in der Fremde, in: Dies. (Hg.), Vom Fremden erzählen – Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten, Ausst.-Kat., Gotha 2023, S. 41–42.
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