Justus Perthes – Darmstadt und Gotha – 1785 bis 2016

/ Mai 5, 2023

20 Jahre Sammlung Perthes, Folge 3

„Nachdem alle Hoffnung auf steuerliche Erleichterungen sich ins Gegenteil verkehrt hat, ist es für uns sinnlos geworden, noch weiter auszuharren“.1Der vollständige Wortlaut des Schreibens lautet:
„Gotha, 27.XII.5[2]
An die Prokuristen u.[nd] Bevollmächtigten der Firma Justus Perthes!
Nachdem alle Hoffnung auf steuerliche Erleichterungen sich ins Gegenteil verkehrt hat, ist es für uns sinnlos geworden, noch weiter auszuharren“. Wenn wir nunmehr die Heimat verlassen, so legen wir Wert auf die Feststellung, daß wir diesen Schritt in vollkommener Unbescholtenheit tun. Er wird uns bitter schwer, denn unsere ganze Liebe galt der Arbeit für unsere Firma. Ob es uns gelingt, aus dem Nichts eine neue Existenz aufzubauen, wissen wir nicht. Wir danken Ihnen für Ihre treue Mitarbeit und rufen Ihnen ein herzliches Lebewohl zu.
Dr. Joachim Perthes
W.[olf] J.[ürgen] Perthes” (Transkription von Vf. nach FBG SPA ARCH FFA 05).
So beginnt der Brief, mit dem sich Joachim Perthes, damals fünfter Inhaber des Justus Perthes Verlages Gotha, am 27. Dezember 1952 von seiner Heimat, von Gotha, seiner Firma und Belegschaft verabschiedete. Joachim Perthes und sein Sohn Wolf Jürgen Perthes gingen in die Bundesrepublik Deutschland. In der DDR sahen sie für sich keine Perspektiven mehr. Schon 1949 war der Perthes Verlag mit exorbitanten Steuernachforderungen konfrontiert worden. Die Situation verschärfte sich infolge der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952. Sie stellte mit der Doktrin des planmäßigen Aufbaus des Sozialismus die Weichen hin zu einem zentralistischen Staat, in dem auch mittelständische private Unternehmen planmäßig verstaatlicht werden sollten. Ebenso schränkte die erzwungene Zusammenarbeit mit dem 1945 in der sowjetischen Besatzungszone gegründeten Verlag „Volk und Wissen“ die verlegerische Freiheit von Perthes zunehmend ein.

Abb. 1: Ansicht des VEB Hermann Haack in den 1980er Jahren, nach Entfernung des Verlagsnamens

Neue Perspektiven sah Joachim Perthes in Darmstadt. Hier förderte eine „Wiederaufbau GmbH“ die Ansiedlung „rauchloser Industrie“, zu denen Verlage und Druckereien zählten. Noch im April 1953 begründete er den Verlag in den Räumen der damaligen Darmstädter Wiking-Druckerei neu. Der Name „Justus Perthes Geographische Verlagsanstalt“ und die Übernahme des alten Verlagssignets zeigten, dass Joachim Perthes auf seinen Rechten am Gothaer Verlag bestand. Indessen wurde der Verlag in Gotha wegen „Republikflucht“ des Inhabers noch im Januar 1953 vom Rat der Stadt Gotha entschädigungslos enteignet. Zu einem volkseigenen Betrieb verstaatlicht, führte der Verlag seit 1955 den Namen von Hermann Haack. Der ursprüngliche Name des Verlages und seiner Inhaber wurden aus der Supraporte des Eingangs entfernt (Abb. 1).

In Darmstadt setzten Joachim und Wolf Jürgen Perthes mit Mitarbeitern des Stammhauses, die ihnen nachfolgten, Gothaer Produktlinien fort und entwickelten sie weiter – Schulwandkarten und geografisch-kartografische Lehrmaterialien (Abb. 2).

Abb. 2: Justus Perthes-Darmstadt, Kartenfibel 1966

Unter diesen frühen Mitarbeitern war der in Gotha in den 1930er Jahren ausgebildete Gerhard Pöhlmann. Als Professor an der Technischen Fachhochschule Berlin wurde Pöhlmann einer der führenden Kartografen der Bundesrepublik und baute mit Lothar Zögner die Kartenabteilung der Staatsbibliothek Berlin West auf. Seinen Nachlass bewahrt die Forschungsbibliothek seit 2019. Vor allem aber war es der Haack-Schüler Werner Painke, der die Traditionen der Gothaer Schulwandkarten in Darmstadt weiterführte. Die Neuproduktion der Perthes-Wandkarten erschien fortan unter dem Label Haack-Painke (Abb. 3 ). Im Rahmen des innerdeutschen Handels bezog Justus Perthes Darmstadt seit 1954 die alten Perthes-Schulwandkarten in Teilauflagen aus Gotha und sicherte sich den Alleinvertrieb in der Bundesrepublik. Diese bemerkenswerte, über 40 Jahre zum beiderseitigen Vorteil währende Geschäftsverbindung gehört zu den immer noch unbekannten Kapiteln der deutsch-deutschen Verlagsgeschichte.

Abb. 3: Justus Perthes Darmstadt, Werbeprospekt 1965

Joachim Perthes starb im März 1954 und fand seine letzte Ruhe auf dem Gothaer Hauptfriedhof. Sein Sohn Wolf Jürgen entwickelte mit Blick auf die zunehmend veralteten Perthes-Karten ein eigenständiges Schulwandkartenprogramm, für das er herausragende Autoren zu Geografie und Geschichte gewann. Diesem Autorenensemble gehörte der Lehrer und Kartograf Werner Hilgemann an. Er schuf im Jahr des Eichmann-Prozesses in Jerusalem 1961 die spektakuläre Wandkarte „Deutschland unter der Hitlerdiktatur 1933 –1945“, die erstmals die Verbrechen des Nazi-Regimes kartierte und in die Schulen brachte (Abb. 4 ).

Abb. 4: Justus Perthes Darmstadt, Werner Hilgemann, Deutschland unter der Hitlerdiktatur 1933 –1945, 1961

Völlig unerwartet starb Wolf Jürgen Perthes im Juni 1964. Das von ihm projektierte Verlagshaus, für das er im Frühjahr 1964 noch den Grundstein gelegt hatte, wurde nicht errichtet. Erst 1971 wurde an anderer Stelle, in der Holzhofallee, ein Haus erworben und komplett umgebaut. Nach seinem Tod führte Gerhard Vaeth den Verlag. 1980 übernahm Stephan Justus Perthes in siebter Generation die Geschäftsleitung. An seiner Seite stand der Kartograf Frieder Gebhardt. 1985, im Jahr des 200-jährigen Verlagsjubiläums, hatte Justus Perthes Darmstadt mehr als 150 Wandkarten in 16 Sprachen im Programm und Geschäftskontakte in rund 50 Staaten. Seit den 1970er Jahren entwickelte der Perthes Verlag maßgeblich Karten, Grafiken und Bilder auf Transparentfolien, von denen mehr als 200 Serien von Darmstadt aus auf den Markt gingen. Bestimmt waren sie für den seit den frühen 1970er Jahren in den Schulen eingeführten Overhead-Projektor, der in der DDR als Polylux bekannt war (Abb. 5 ).

Abb. 5: Justus Perthes Darmstadt, Werbeprospekt, Transparentatlas 1973

Nach der Wende 1989 setzte Stephan Justus Perthes die in den 1950er Jahren gesicherten Rechtsansprüche seiner Familie gegenüber der Treuhandanstalt durch. Er verkaufte das 1992 reprivatisierte Gothaer Stammhaus sowie Justus Perthes Darmstadt zur langfristigen Zukunftssicherung an die Klett-Verlagsgruppe, um auch  die dortige Kartographie in Gotha zu integrieren. 1994 wurde die Darmstädter Verlagstätigkeit nach Gotha überführt. Bis 2008 führte der Gothaer Verlag „Perthes“ im Namen. Mit dem Umzug der Gothaer Niederlassung nach Leipzig endete im März 2016 die fast 230-jährige Verlagshistorie von „Justus Perthes“.

Gepflegt wird diese Geschichte heute im Perthes-Forum und in der Sammlung Perthes Gotha. Nachdem die Stadt Gotha die historischen Verlagsgebäude von Stephan Justus Perthes erworben hatte, wurden sie 2010 bis 2014 unter dem neuen Namen „Perthes-Forum“ saniert. Hier sind das Staatsarchiv Gotha sowie Depots und Werkstätten der Stiftung Schloss Friedenstein untergebracht. Vor allem aber liegt im Perthes-Forum die Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha. Sie bewahrt die „Aura“ des historischen Ortes. Sie gibt dem Gebäude den Namen, in ihr wird die mit dem Namen Perthes verbundene Verlagstradition sichtbar. Sie vereint die historischen Überlieferungen der Justus Perthes Verlage Gotha und Darmstadt sowie des VEB Hermann Haack zum einzigen auf dem europäischen Kontinent erhaltenen Kartenverlagsarchiv. Zugleich bewahrt die Sammlung, woran häufig nicht gedacht wird, das Archiv des „Gothaer Hofkalenders“. Dieses „Who’s Who“ des europäischen Adels verlegte Justus Perthes seit 1785.

Mit Recht ist zu sagen, dass es ohne den vor 70 Jahren in Darmstadt neu gegründeten Justus Perthes Verlag die Sammlung Perthes nicht gäbe. Es war Stephan Justus Perthes, der mit Michael Klett in den 1990er Jahren diese Überlieferungen zusammenhielt. Sie entwickelten die ehrgeizige Idee eines „Museums der Erde“, um die Bestände dauerhaft zu präsentieren. Nach zehnjährigem Engagement, langen Verhandlungen mit dem Freistaat Thüringen und mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder haben sie die „Sammlung Perthes“ in die Hände der Öffentlichkeit gegeben, um sie als herausragendes Zeugnis der deutschsprachigen Kartografie dauerhaft zu bewahren.

Petra Weigel

Petra Weigel ist promovierte Historikerin und betreut seit 2008 die Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha. Für diesen Beitrag ist sie Winfried Kleeberg, von 1961 bis 1996 Polygraph und leitender Mitarbeiter im VEB Hermann Haack, und Stephan Justus Perthes als Zeugen der Ereignisse zu Dank verpflichtet.

Literatur

  • Knut Kreuch: Das Perthesforum Gotha, Gotha 2016.
  • Werner Painke: 200 Jahre Justus Perthes. Geographische Verlagsanstalt Gotha – Darmstadt, Darmstadt 1985.
  • Petra Weigel: Die Sammlung Perthes Gotha (Reihe Patrimonia der Kulturstiftung der Länder 254), Gotha 2011.
  • http://perthes.de/ – Website von Stephan Justus Perthes zur Geschichte des Verlages Justus Perthes (letzter Zugriff: 01.05.2023).
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