Die erste Kavalierstour eines ernestinischen Prinzen

/ Mai 11, 2023

Die Reise Johann Ernsts von Sachsen-Weimar durch Frankreich, England und die Niederlande

Abb. 1: Porträt von Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar

Der Brauch deutscher Adliger, ihre Erziehung durch eine ausgedehnte Bildungsreise abzuschließen, setzte Ende des 15. Jahrhunderts ein und erreichte seine erste Hochkonjunktur in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs. Der erste ernestinische Prinz, der eine solche Kavalierstour unternahm, war der neunzehnjährige Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1594–1626) (Abb. 1). Er und sein neunköpfiges Gefolge brachen am 27. März 1613 auf, um Frankreich, England und die Niederlande zu bereisen, und gelangten wieder nach Weimar am 19. März 1614.

Der Vater, Herzog Johann (1570–1605), hatte fast zehn Jahr zuvor den reiseerfahrenen Rittergutsbesitzer Johann Wilhelm Neumair von Ramsla (1572–1641) als Begleiter bestimmt. Hatte Johann und seine Vorfahren keine derartige Bildungsreise im jungen Erwachsenenalter genossen, sollten seinen Söhnen solche vielschichtig bereichernden Erfahrungen in fremden Ländern womöglich zuteilwerden. Auch deshalb wurde Neumair damit beauftragt, einen Bericht über die einjährige Reise für den Hof zu verfassen, den er Johann Ernsts sieben jüngeren Brüdern am 28. Juli 1614 widmete (Chart. A 542). 1620 publizierte Neumair aus eigener Initiative heraus eine überarbeitete Fassung des Berichts in Leipzig.

Abb. 2. Federzeichnung des Pont du Gard

Zu den vielen kulturhistorischen Höhepunkten und besonderen ästhetischen Erfahrungen auf der Reise gehörte die Besichtigung des Pont du Gard in der Nähe von Nîmes am 20. Mai 1613. Dieses dreistöckige römische Aquädukt, das die Gardon-Schlucht überbrückt, zählt auch heute zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Südfrankreichs. Es versetzte die Reisenden aus Thüringen vor 410 Jahren ins Stauen. So bezeichnete Neumair das imposante Bauwerk als eine „der schönsten antiquiteten […], so man finden möchte […]. Das ganze wergk ist von übber aus großen wergkstücken, man kann sich nicht gnugsamb verwundern, Wie man nur solche stück fortbringen und hernach die bogen so artlich damit schließen können“ (Bl. 25r–v). Eine Federzeichnung des Aquädukts, das auch als Brücke diente, wurde in den Reisebericht eingefügt (Abb. 2).

Eingeheftet im Handschriftenband ist auch ein Kupferstich mit Frankreichkarte, auf dem die Reiseroute mit rotem Stift eingezeichnet ist (Abb. 3). Dort kann die Rundreise in Frankreich von Metz über Marseille und La Rochelle bis nach Paris und schließlich nach Calais für die Schiffüberfahrt verfolgt werden. Nicht zu sehen auf der Karte ist die Weiterreise über Cambridge, Oxford, Windsor und Hampton nach London. Nach dem zweiten Aufenthalt in Paris führte der Weg über Brügge und Gent nach Antwerpen, das am Kartenrand liegt, und dann weiter nach Brüssel, Löwen, Rotterdam, Leiden, Amsterdam und Utrecht. Von Köln aus traten Johann Ernst und sein Gefolge ihre Heimreise an.

Abb. 3: Kupferstich mit Frankreichkarte und eingezeichneter Reiseroute

Der Reisebericht und die Übersicht über die Reisekosten sowie andere Artefakte zum Reisen in der Vergangenheit sind in der Ausstellung „Vom Fremden erzählen. Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten“ im Spiegelsaal der Forschungsbibliothek Gotha noch bis zum 11. Juni 2023 zu bewundern.

Daniel Gehrt, 10.05.2023

Daniel Gehrt ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften an der Forschungsbibliothek Gotha.

Informationen zur Ausstellung mit Link zum Flyer

Quelle

Johann Wilhelm Neumair von Ramsla: Des Durchlauchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn/ Herrn Johann Ernsten des Jüngern/ Hertzogen zu Sachsen … Reise In Franckreich/ Engelland und Niederland …, Leipzig 1620 (VD17 23:237923M)
Volldigitalisat

Literatur

  • Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 2011, S. 9–11.
  • Frank Boblenz: Johann Wilhelm Neumair von Ramsla und seine Beziehungen zum Weimarer Hof, in: Jörg Jochen Berns und Detlef Ignasiak (Hrsg.): Frühneuzeitliche Hofkultur in Hessen und Thüringen. Erlangen und Jena 1993, S. 200–232, hier S. 213f.
  • Holger Kürbis: Zwischen ständischer Konvention und dynastischer Tradition. Ernestinische Prinzenreisen im 17. Jahrhundert, in: 200 Jahre Victoria & Albert. Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 64 (2020), S. 329–355, hier S. 332f.
  • Monika E. Müller (Hrsg.): Vom Fremden erzählen. Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten. Katalog zur Ausstellung der Forschungsbibliothek Gotha auf Schloss Friedenstein vom 16. April bis 11. Juni 2023. Gotha 2023, S. 82–85 und S. 104f. (Beitrag von Daniel Gehrt).
  • Andrea Voß: Reisen erzählen. Erzählrhetorik, Intertextualität und Gebrauchsfunktionen des adligen Bildungsreiseberichts in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2016, S. 215–248, 287.

Abbildungsnachweis

Abb. 1: Porträt von Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar. FB Gotha, Theol 2° 27/9, Bl. 6r.
Abb. 2: Federzeichnung des Pont du Gard. FB Gotha, Chart. A 542, Bl. 25v.
Abb. 3: Kupferstich mit Frankreichkarte und eingezeichneter Reiseroute. FB Gotha, Chart. A 542, Bl. 5ar.

 

 

 

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