Warum über ferne Lande berichten?

/ Juni 1, 2023

Brasilien aus der Sicht von Willem Piso, Georg Markgraf und Jakob Bontius

Abb. 1: Guilelmi Pisonis De Indiae utriusque re naturali et medica libri

Der Nutzen für andere Reisende, Hilfe und leichterer Zugang zu entlegenen Regionen in fernen Ländern, außerdem die Suche nach der Wahrheit und Wissenschaft, gehören ausdrücklich zu den Gründen, warum Wilhelm Piso (1611–1678) einen Bericht über seine Erkenntnisse in Brasilien verfasste. Im Gefolge des als Generalgouverneur der Besitzungen der Niederländischen Westindien-Kompanie in Niederländisch-Brasilien amtierenden Graf Johann Moritz von Nassau-Siegen hatte er die Reise auf sich genommen. Doch wer war Wilhelm Piso und was zeichnet seinen Bericht aus?

Willem Piso studierte Medizin, vermutlich u. a. bei dem niederländischen Humanisten Caspar Barlaeus und in Leiden (Niederlande), das seit den Zeiten des Carolus Clusius (1526–1609) als Zentrum für die medizinische Botanik exotischer Pflanzen galt. Zwischen 1637 und 1644 hielt er sich als Leibarzt von Johann Moritz von Nassau-Siegen in Brasilien auf, um sich nach seiner Rückkehr wieder in Leiden einzuschreiben – in einer Zeit, als dort die Wogen wegen William Harvey’s Überlegungen über den Blutkreislauf hochgingen.1Moulin 1979; Pies 2004, S. 17, 37–43.

Abb. 2: Caspar Schmalkalden, Reisen nach West- und Ostindien.

Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er 1648 „De medicina brasiliensi“ zusammen mit Georg Markgrafs Naturgeschichte des Landes in der „Historia naturalis Brasiliae“ sowie 1658 das hier gezeigte Sammelwerk „De Indiae utriusque re naturali et medica libri quatuordecim“2Willem Piso u. a., De Indiae utriusque re naturali et medica libri quatuordecim. Amsterdam 1658 (FB Gotha, Math 2° 130c/4). mit sechs Büchern über brasilianische Medizin und Naturgeschichte sowie zwei Büchern von Georg Markgraf3Brienen 2001. über Topographie, Meteorologie, Lebensgewohnheiten und Sprachen in Brasilien und Chile. Jakob Bontius, Arzt bei der niederländischen Ostindienkompanie in Batavia, trug weitere sechs Bücher über Naturgeschichte und Medizin dazu bei.

Piso widmete den ganzen Band, der als Zusammenfassung des älteren Opus magnum intendiert und ähnlich wie dieser nicht frei vom Interesse an einer kommerziellen Nutzung der vorgefundenen Ressourcen war, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688).

Die Zusammenarbeit von Piso und Markgraf, der bereits 1644 kurz nach seiner Abreise aus Recife in Angola starb, war nicht unproblematisch. Piso bezeichnete Markgraf als seinen „domesticus“, der in Brasilien für die Beschreibung des Äußeren einer jeden natürlichen Kreatur zuständig gewesen sei, während Piso sich selbst als für die Erforschung des Inneren zuständig fühlte. Gleichwohl stand Piso bereits bei den Zeitgenossen und auch später im Verdacht, bei Markgraf abgeschrieben zu haben.4Brienen 2001, S. 90–95. Differenziert bei: Asúa/French 2005, S. 120–123.

Abb. 3: Guilelmi Pisonis De Indiae utriusque re naturali et medica libri

In der in der aktuellen Ausstellung berücksichtigten Ausgabe sind den Beschreibungen einer Pflanze oder eines Tieres im Text häufig Illustrationen zugeordnet (Abb. 1). Dadurch ist das Werk sehr anschaulich und ein Meilenstein in der Entwicklung des Schrifttums über die Neue Welt:5Asúa/French 2005, S. 234; Brienen 2001, S. 98–100. Nicht umsonst sind z. B. die Illustrationen zahlreicher Fische, Landtiere und Pflanzen in Caspar Schmalkaldens Reisebeschreibung (Abb. 2) an Pisos und Markgrafs Opus orientiert.

Das Titelblatt von Pisos Ausgabe von 1658 (Abb. 3) zeigt ein von südamerikanischer Flora und Fauna besiedeltes Ambiente: Meeres- und vor allem Landtiere, die wie der Papagei, der Auerhahn, das Faultier oder das Nashorn mit Blick auf solche zeitgenössischen Titelblätter geradezu ikonisch für die Neue Welt sind, als Ziel- und Augenpunkt der Komposition ein landwirtschaftliches Anwesen. Die beiden muskulösen südamerikanischen

Einwohner im Vordergrund sind durchaus würdevoll und im Kontrapost, gleichwohl kaum authentisch dargestellt und entsprechen wohl vor allem den Sehgewohnheiten bzw. -erwartungen europäischer Betrachter.

Monika E. Müller

Monika Müller ist habilitierte Kunsthistorikerin und Leiterin der Abteilung Sammlungen und Bestandserhaltung, zudem Kuratorin der aktuellen Jahresausstellung „Vom Fremden erzählen – Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten“ in der Forschungsbibliothek Gotha.

Weitere Informationen finden Sie unter https://uni-erfurt.de/go/fbg-ausstellungen.

Verwendete Literatur

  • Miguel de Asúa/Roger French, A new World of Animals. Early Modern Europeans on the Creatures of Iberian America, Florenz 2005.
  • R. P. Brienen, Georg Marcgraf (1610 – c. 1644): A German Cartographer, Astronomer, and Naturalist-Illustrator in Colonial Dutch Brazil, in: Itinerario 25/1 (2001), S. 85–122.
  • D. De Moulin, Medizinische und naturwissenschaftliche Aspekte der Regierungszeit des Grafen Johann Moritz von Nassau als Gouverneur in Brasilien /1637 – 1544), in: Soweit der Erdkreis reicht. Johann Moritz von Nassau-Siegen, Ausst.-Kat., Kleve 1979, S. 33–46.
  • Monika E. Müller (Hg.), Vom Fremden erzählen. Reiseberichte aus fünf Jahrhunderten, Ausst.-Katalog, Gotha 2023.
  • Eike Pies, Willem Piso (1611–1678). Begründer der Tropenmedizin und Leibarzt des Grafen und späteren Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen in Brasilien und den Niederlanden, Wuppertal 2004.

Abbildungsnachweis

  1. Guilelmi Pisonis De Indiae utriusque re naturali et medica libri, III. De animalibus americanis aquatibus (Math. 2° 130c/4, S. 54)
  2. Caspar Schmalkalden, Reisen nach West- und Ostindien. Gotha (?; Chart. B 533, nach 1652, Bl. 122r): Schwertfisch
  3. Guilelmi Pisonis De Indiae utriusque re naturali et medica libri, Amsterdam 1658 (Math. 2° 130c/4): Titelblatt
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