Zwischen Konsolidierung und Neuausrichtung

/ Juni 16, 2023

Zum 230. Geburtstag von Wilhelm Perthes.

Wilhelm Perthes erblickte am 18. Juni 1793 als siebtes von elf Kindern des Buchhändlers Justus Perthes und seiner Frau Ernestine in Gotha das Licht der Welt. Er wuchs in den bescheidenen kleinbürgerlichen Verhältnissen der thüringischen Residenzstadt auf, die ganz unter dem Eindruck der Französischen Revolution stand. Nach dem Besuch des Gothaer Gymnasiums sollten vor allem zwei Ereignisse prägend für sein weiteres Leben sein. Als ältester Sohn sollte Wilhelm das väterliche Geschäft weiterführen und dafür eine solide kaufmännische Ausbildung erfahren. So verließ er im April 1811 die Beschaulichkeit seiner Heimatstadt und betrat die Handelsmetropole Hamburg. Dort begann er seine Lehrzeit in der Buchhandlung seines Cousins Friedrich Christoph Perthes (1772 — 1843). Dieser war nicht nur verlegerisch in der Hansestadt tätig, sondern engagierte sich zudem publizistisch und politisch. Wilhelm wurde hier mit neuen Ideen konfrontiert, dem Wunsch nach gesellschaftlichen Reformen und nationaler Erweckung. 1813 nahm er dann aktiv am Kampf gegen Napoleon teil. Mit der Hanseatischen Legion kämpfte er in Hamburg, Mecklenburg und Holstein. Auf Wunsch des Vaters kehrte er dann im August 1814 nach Gotha zurück und trat ins väterliche Unternehmen ein.

Abb. 1: Portrait Wilhelm Perthes (1793—1853)

Mit dem Tod von Justus Perthes 1816 übernahm Wilhelm die Geschäfte der Firma und führte vorerst das angestammte Sortiment fort, allen voran den Gothaer Hofkalender (bzw. Almanach de Gotha), den er im Laufe der Jahre zu einem Adelslexikon weiterentwickelte. Wilhelm setzte aber auch neue Akzente und baute den Verlag zunehmend zu einer geografischen Anstalt um. Die Basis hierfür bildete die Zusammenarbeit mit dem Gothaer Hofbeamten Adolf Stieler (1775 — 1836), mit dem er zusammen einen Hand-Atlas über alle Theile der Erde nach dem neuesten Zustande und über das Weltgebäude herausgab. Es war eine Partnerschaft auf Augenhöhe, bei der Stieler „das Wissenschaftliche und Geographische“ organisierte und alles „Commerzielle und Pecuniäre besorgt Herr Perthes“. Kosten und Gewinne wurden geteilt und im Falle des Todes eines Geschäftspartners übernahm der jeweils andere die Rechte am Atlas.1SPA ARCH MFV 20/1, Bl.4-7 Diese Vertragsklausel und der frühe Tod Stielers sicherten dem Perthes Verlag letztendlich anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg. Die Karten des Stieler Handatlas wurden sämtlich in Kupfer gestochen und per Hand koloriert. Sie verbanden eine wissenschaftliche Darstellung mit einer ästhetischen Ausführung.

Ab den 1830er Jahren findet man fast nur noch kartografische Publikationen im Verlagsrepertoire. So begann Karl Spruner 1837 mit der Herausgabe seines Historisch-Geographischen Handatlas. Ab 1838 erschien der von Heinrich Berghaus konzipierte Physikalische Atlas – das erste thematische Kartenwerk in Deutschland –, der die Arbeiten Alexander von Humboldts kartographisch umsetzte. Ergänzt und erweitert wurde dieses Dreigestirn aus Stieler, Spruner und Berghaus schließlich durch die Arbeiten Emil von Sydows, der eine ganze Reihe von schulgeographischen Erzeugnissen (Wandkarten, Atlanten) im Verlag auflegte.

Abb. 2: Verlagshaus Gotthardstraße 4 (1822—1856)

Bei all diesen weitreichenden Veränderungen und Neuerungen war Wilhelm Perthes doch ein Verleger im klassischen Sinne. Er unterhielt keine technischen Einrichtungen, alle anfallenden Herstellungsarbeiten hatte er an Subunternehmer (Kupferstecher, Lithographen, Drucker, Setzer, Buchbinder) vergeben. Er selbst verstand sich eher als Organisator und Koordinator der Arbeiten. Dieses Wirtschaftsmodell war erfolgreich – dies zeigt nicht zuletzt der Umstand, dass sich der Unternehmenswert während seiner Geschäftsführung verzehnfachte.

Seine Aufmerksamkeit galt aber nicht nur dem Unternehmen. Perthes engagierte sich auch für das Gemeinwohl seiner Heimatstadt. Fast zehn Jahre war er als Stadtverordneter tätig. 1848 wurde er sogar einmal kurz in den Landtag des Herzogtums gewählt und lange Zeit hatte er die Stelle des Armenpflegers inne.

Als Wilhelm Perthes am 10. September 1853 vor 170 Jahren starb, hinterließ er seiner Ehefrau Agnes – der Tochter seines ehemaligen Lehrherrn – und seinen vier Kindern (darunter seinem Nachfolger Bernhardt) ein konsolidiertes Unternehmen, das mit seinen kartografischen Publikationen und dem Gothaer Hofkalender auf einer soliden Basis stand und auf dem Weg war, einer der bedeutendsten Kartenverlage des 19./20. Jahrhunderts zu werden.

Sven Ballenthin

Sven Ballenthin betreut als Historiker das Archiv der Sammlung Perthes. 20 Jahre Sammlung Perthes sind Anlass, Bilanz zu ziehen. Über das Jahr hinweg werden in einer Serie Schätze der Sammlung Perthes vorgestellt, mit Berichten über deren Bewahrung, Erschließung, Digitalisierung und Präsentation.

Literatur

  • Bryś, Jenny: Justus Perthes Gotha – die Profilierung zum kartographischen Verlag 1816 bis 1853, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 74 (2019), S. 19-54.
  • Köhler, Franz: Gothaer Wege in Geographie und Kartographie. Gotha. Haack 1987.
  • [Perthes, Bernhardt]: Justus Perthes in Gotha 1785–1885. Gotha [1885].
  • Weigel, Petra: Die Sammlung Perthes Gotha, Forschungsbibliothek Gotha. Hrsg. von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit der Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha. Berlin 2011.
  • Fünf Generationen Justus Perthes 1785–1935. Gotha 1935.
  • Zum Andenken an Wilhelm Perthes. Gotha [1853].

Die Abbildungen stammen aus dem Archiv der Sammlung Perthes:

  1. Portrait Wilhelm Perthes (1793—1853)
  2. Verlagshaus Gotthardstraße 4 (1822—1856)
Share this Post