„Er lebt und regiert bis hierher“. Zum Stammbuch Herzog Johann Casimirs von Sachsen-Coburg (1564–1633)
Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 47
Anlässlich des 390. Todestages Johann Casimirs von Sachsen-Coburg am 16. Juli 1633
Die ernestinischen Residenzen Gotha und Coburg sind seit jeher historisch eng miteinander verbunden. Diese Verflechtungen lassen sich noch heute in den jeweiligen Sammlungen entdecken. So ist das Wirken Johann Casimirs, Herzog von Sachsen-Coburg (1564–1633; Abb. 1), auch in der heutigen Forschungsbibliothek Gotha greifbar. Davon zeugt unter anderem ein Stammbuch des Herzogs, das in der Bibliothek überliefert ist.
Zunächst ein Blick auf den Herzog, den Stammbuchhalter: Johann Casimir wurde 1564 als dritter Sohn von Johann Friedrich dem Mittleren von Sachsen und Elisabeth, Tochter des späteren Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz, in dessen Hauptresidenz Schloss Grimmenstein in Gotha geboren. Die sich verdichtenden konfessionellen Konflikte in einer Zeit der fortschreitenden Reformation, der Verlust der Kurwürde 1547 und der damit verbundene soziale und politische Abstieg der Ernestiner sowie der innerernestinische Streit um die Durchsetzung konfessionspolitischer Ziele prägten das Leben Johann Casimirs von Kindheit an.
Nach seinem Studium an der kursächsischen Universität Leipzig von 1578 bis 1581 und dem Tod seines Vormundes Kurfürst August von Sachsen übernahm Johann Casimir 1586 zusammen mit seinem Bruder Johann Ernst die Regierung von Sachsen-Coburg-Eisenach. Nach der Teilung des Herzogtums 1596 erhielt Johann Casimir die Regentschaft in Coburg. Johann Casimir war zweimal verheiratet: Nach dem Scheitern seiner Ehe mit der kursächsischen Prinzessin Anna war er seit 1599 mit Margarete von Braunschweig-Wolfenbüttel verbunden.
Die Rehabilitierung der Familienehre und der Einsatz für das „wahre Luthertum“ lagen dem politischen Agieren und dem dynastisch-politischen Selbstverständnis Johann Casimirs zugrunde. Stand dessen Herrschaft unter einer Legitimitätsproblematik, suchte er dieser durch verwaltungspolitische Aktivitäten sowie durch Macht- und Herrschaftsinszenierungen zu begegnen. Akzente setzte er beispielsweise in der Bildungspolitik und gründete 1605 die Landesschule Casimirianum Academicum. Außerdem untermauerte er seine Herrschaftsinszenierung mit umfangreicher Bautätigkeit und Kunstförderung.
Im Laufe des Dreißigjährigen Krieges verfolgte Johann Casimir zunächst eine Neutralitätspolitik, die er 1631 mit dem Kriegseintritt aufgab. Coburg wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Wenige Jahre später, am 16. Juli 1633, starb Johann Casimir in Coburg. Er wurde in der Stadtkirche zu St. Moritz beigesetzt. Da er ohne Nachkommen blieb, fiel das Erbe zunächst an seinen jüngeren Bruder Johann Ernst und nach dessen Tod 1638 an die Altenburger Linie der Wettiner.
Mit dem Führen eines Stammbuchs stand Johann Casimir in einer Reihe mit zahlreichen anderen Herrschaftsträgern der Zeit. Das Album ist Teil einer über 90 Stammbücher umfassenden Sammlung der Forschungsbibliothek Gotha. Sie besteht vor allem aus Studenten-, Gelehrten-, Adels- bzw. Fürstenstammbüchern aus dem Herzoghaus Sachsen-Gotha-Altenburg und dokumentiert eine äußerst vielfältige Stammbuchkultur mit milieuspezifischem Zitier- und Motivkanon.
Die Stammbuchpraxis bildete sich im 16. Jahrhundert in humanistisch-reformatorischen Kreisen heraus. Das als Stammbuch oder Album amicorum firmierende Freundschafts- und Erinnerungsbuch etablierte sich in der Folge als eigenes, ständeübergreifendes Ausdrucks- und Kommunikationsmittel in der Frühen Neuzeit. Vor allem in den deutschsprachigen Gebieten wurden in den auf Reisen, bei Universitätsbesuchen oder geselligen Zusammenkünften mitgeführten Stammbüchern Autographen und Widmungen von Freunden, Bekannten und geschätzten Persönlichkeiten gesammelt. Für den Blick auf die bedeutungsstiftende Funktion emblematischer Motive oder die Untersuchung von Rezeptionsvorgängen, sozialen Netzwerken etc. dienen die frühneuzeitlichen Alba amicorum heute als herausragende kultur- und sozialhistorische Quelle.
Innerhalb der von Adligen geführten Stammbücher bildeten die Fürstenstammbücher eine Sondergruppe. Sie kamen gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf und wurden meist in einem späteren Lebensalter begonnen. In erster Linie zielten sie auf Repräsentationszwecke. Handschriftliche Einträge spielten eine deutlich geringere Rolle als die Malereien, der Fokus lag auf auserlesenem Wappen- und Miniaturenschmuck.
Dieser Befund gilt auch für das Stammbuch Johann Casimirs, dessen Einträge von 1609 bis 1636 reichen (FB Gotha, Chart. B 982). Als Album diente ein durchschossenes Exemplar der „Ovidii Metamorphoseon librorum figurae“ von Wilhelm Salzmann, das 1607 in Köln herausgegeben wurde. Der Illustrationszyklus zu Ovids Metamorphosen wurde vom Kupferstecher Crispijn de Passe erstellt. Das Stammbuch umfasst 405 Blätter, ist mit einem Ledereinband mit Goldprägung versehen und weist einen dreiseitigen punzierten Goldschnitt auf. Die Gebrauchsspuren zeugen von einer intensiven Nutzung des Bandes: Die Initialen I. C. H. Z. S. (Johann Casimir Herzog zu Sachsen) auf dem vorderen Buchdeckel mit seinem Wahlspruch E. N. S. W. T. H. (Elend nicht schadet, wer Tugend hat) und das Jahr 1609 auf dem hinteren Buchdeckel mit dem dazugehörigen Wappensupralibros sind stark abgegriffen (Abb. 2). Wie häufig auch in anderen Stammbüchern blieben viele Blätter leer.
Dem Album auf den ersten Seiten vorangestellt sind die in Gouache gemalten Wappen von Johann Casimir und seiner Gattin Margarethe von Sachsen-Coburg. Wie bei anderen Fürstenalben trugen sich mehrheitlich ranggleiche Einträger ein. Unter ihnen dominieren insgesamt Verwandte Johann Casimirs, beispielsweise der Braunschweig-Lüneburger Linie, der Kursachsen oder auch der Kurpfalz.
In dem Arrangement von Text und Bildschmuck spiegelten sich die Repräsentationsbedürfnisse der Inskribenten, die sich mit ihrem Eintrag zugleich in den Kreis der amici des Albumeigners einschrieben. Die Alben boten zudem Gelegenheit zur Inszenierung der eigenen Memoria. Die Einträge umfassen dabei Sentenzen, Devisen oder Bibelzitate und sind meist mit illustrativen Beigaben versehen. Neben den üblichen Wappendarstellungen reicht das Spektrum der Ikonographie von allegorischen oder mythologischen Szenen bis hin zu kosmologischen, biblischen sowie militärischen Bezügen.
Erster Eintrag der insgesamt 27 Einträge ist 1610 von Kurfürst Christian II. von Sachsen (1583–1611) mit einem Wappen und dem Spruch „Initium sapientiae timor Dominis“ (Der Anfang der Weisheit ist die Ehrfurcht vor dem Herrn). Der Pfalzgraf Johann II. von Pfalz-Zweibrücken-Veldenz (1584–1635) greift 1611 das lutherische Motto und den Wahlspruch der Ernestiner auf: „Verbum Domini manet in aeternum“ (Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit; Jes 40,8; Petr 1,25), seine Wappenminiatur ist ornamental reich verziert.
Kosmologische Motive, wie sie dem Eintrag Fürst Augusts von Anhalt (1575–1653) beigefügt sind (Abb. 3), gehören zum zentralen Bestand emblematischer Darstellungen. Abgebildet ist die von den Elementsphären (Wasser, Luft, Feuer) und der Sternensphäre umhüllte Erdkugel. Als Sinnbild für die kosmische Ordnung verdeutlicht das Motiv zugleich die Eingebundenheit in die göttliche Schöpfungsordnung – symbolisiert durch die über der Erde schwebende Hand Gottes. Diese Aussage wird zusätzlich durch das über dem Bild befindliche Motto „Omnia in nihil“ (Alles [geht] in nichts) akzentuiert. Hinter den Initialen I.D.F.V. über der Darstellung verbirgt sich der Wahlspruch des Fürsten „In Deo Faciemus Virtutem“ (Mit Gott wollen wir Taten tun). Auch Herzog Julius Friedrich von Württemberg (1588–1635) griff 1618 in seinem Eintrag auf diesen Spruch zurück (Abb. 4). Die Miniaturmalerei zum Eintrag sollte allerdings unvollendet bleiben. Inwiefern der Eintrag bewusst in Bezug zum Kupferstich „Venus und Mars buhlen“ gesetzt wurde, kann nur spekuliert werden.
Die Personifikation der Justitia mit den Attributen Schwert und Waage gehört zum klassischen allegorischen Repertoire. Gerade in Fürstenstammbüchern diente die Tugenddarstellung als Motiv, mit dem sich ein zentrales Element des Herrschaftsverständnisses veranschaulichen ließ. Zugeordnet ist das Motiv dem Eintrag Herzog Christians von Braunschweig-Lüneburg (1566–1633), Administrator des Hochstifts Minden und Bruder Herzogin Margarethes, von 1609 (Abb. 5).
Der letzte Eintrag bleibt vorerst rätselhaft: Entstanden ist er 1636, längst nach dem Tod Johann Casimirs. Der Einträger, Oberst Mathias Jiswitzki, hat die bekannte Devise „Deo Duce, Comite fortuna“ unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges um „pro Religione, et Patria“ ergänzt (dt. Unter Gottes Führung, dem Glück als Geleit, für Religion und Vaterland).
Ab den 1630er Jahren war das Führen von Fürstenstammbüchern längst rückläufig. Der letzte datierte Eintrag in Johann Casimirs Stammbuch zu seinen Lebzeiten war 1619 – weit vor dieser Zeit.
Hendrikje Carius
Hendrikje Carius ist promovierte Historikerin, Leiterin der Abteilung Benutzung und Digitale Bibliothek sowie stellvertretende Direktorin der Forschungsbibliothek Gotha.
Quellen
- Stammbuch Herzog Johann Casimirs von Sachsen-Coburg, 1609–1636, FB Gotha, Chart. B 982.
- Das Stammbuch im Repertorium Alborum Amicorum, URL: https://raa.gf-franken.de/de/suche-nach-stammbuechern.html?permaLink=1609_sachsen
Literatur
- Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2003, S. 311–314.
- Christian Boseckert: Eine politische Biografie Herzog Johann Casimirs von Sachsen-Coburg (1564–1633), Wien u.a. 2022.
Abbildungen
- Porträt Johann Casimir (1564–1633), Öl auf Leinwand, 82 x 64 cm, Anfang 17. Jahrhundert, Friedrich-Schiller-Universität Jena: Kustodie (Kunstsammlung), CC BY SA 4.0.
- Vorderer Einband des Stammbuchs von Johann Casimir, FB Gotha, Chart. B 982.
- Eintrag Fürst Augusts von Anhalt (1575–1653), Gouache mit goldfarbenem Rand, FB Gotha, Chart. B 982, fol. 37r.
- Eintrag Herzog Julius Friedrich von Württemberg (1588–1635), FB Gotha, Chart. B 982, fol. 104v.
- Eintrag Herzog Christians von Braunschweig-Lüneburg (1566–1633), Gouache mit Goldhöhungen, Chart. B 982, fol. 47v.