Internationale Zusammenarbeit als kartografische Herausforderung

/ September 19, 2023

Der VEB Hermann Haack und die Karta Mira / Weltkarte 1:2.500.000

Die Herstellung von Karten ermöglicht es, verschiedene Länder oder Regionen nebeneinander zu betrachten und zu vergleichen, auch wenn sie weit voneinander entfernt liegen. Die Geschichte der Kartografie weist zahlreiche Vorhaben auf, die das Ziel verfolgten, Vergleichbarkeit durch geeignete kartografische Darstellungsmethoden zu erreichen. Prominente Beispiele sind Berghaus‘ Physikalischer Atlas, der bei Perthes in Gotha seit Ende der 1830er Jahre erschien, und dem Betrachter weltumspannende Zusammenhänge geografischer Phänomene vor Augen führt(e); oder die Idee einer Internationalen Weltkarte (IWK) im Maßstab 1:1.000.000, mit der seit Ende des 19. Jahrhunderts die Hoffnung einherging, ein standardisiertes Kartenwerk für sämtliche Landflächen der Erde zu erstellen. Obwohl kartografische Agenturen zahlreicher Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Blätter der IWK produzierten, wurde sie nie fertiggestellt und viele publizierte Blätter wichen von den vereinbarten Richtlinien ab.

Diese unbefriedigende Erfahrung muss als wesentlicher Impuls dafür angesehen werden, dass Geografen und Kartografen aus mehreren sozialistischen Ländern seit den späten 1950er Jahren die Konzeption einer Weltkarte 1:2.500.000 vorantrieben. Der VEB Hermann Haack Geographisch-Kartographische Anstalt Gotha war an der Entwicklung und an der Produktion der ersten Blätter maßgeblich beteiligt, da die DDR-Regierung das Gothaer Verlagshaus wegen seiner hohen Reputation auf dem Gebiet der Kartografie aufgefordert hatte, von ostdeutscher Seite an diesem internationalen Projekt mitzuwirken. Zwischen 1958 und 1962 entwickelten Geografen und Kartografen hauptsächlich aus Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei sowie aus Polen, Bulgarien, Rumänien und der Sowjetunion die inhaltlichen und formalen Grundlagen des Kartenwerks. In den folgenden Jahren wurden die Blätter des Kartenwerks in den beteiligten Ländern gedruckt, so dass die erste Auflage mit 234 Blättern 1975 vorlag. Da Kartentitel und Legende des Kartenwerks in Englisch und Russisch ausgeführt war, setzte sich in der Fachwelt die Bezeichnung „Karta Mira“ (russ.: Karte der Welt) für dieses Werk durch.

Die Karta Mira ist nicht nur für die Kartografiegeschichte von Interesse, weil sie das erste international erarbeitete Weltkartenwerk ist, das tatsächlich fertiggestellt wurde. Vielmehr geben die Aushandlungsprozesse über Inhalt und Gestaltung der Karta Mira sowie die Arbeitsabläufe von Herstellung und Vertrieb der Kartenblätter Einblicke in zahlreiche Facetten der Geschichte des 20. Jahrhunderts. So mussten bspw. die beteiligten Kartografen und Redakteure Ausgangsmaterialien verarbeiten, die hinsichtlich des Umfangs und der benutzten Kategorien derart verschieden waren, dass sie sich nur mit Mühe in einen einheitlichen Zeichenschlüssel für die Karta Mira übertragen ließen. Die Geschichte der Karta Mira ist daher auch eine Geschichte von Übertragungsprozessen: Geografisches Wissen über andere Weltregionen wurden in Standards übersetzt, die in erster Linie europäische Kartografen entwickelt hatten. Außerdem zeigt sich in der Karta Mira die Konkurrenz zwischen Ost und West im Kalten Krieg, beispielsweise durch die Auswahl der dargestellten (und der nicht dargestellten) Grenzen oder durch die Schreibung geografischer Namen auf den Kartenblättern.

Abb. 1: Indexkarte der Karta Mira 1:2.500.000, in: Kluge 1977.

Kartenblätter der Karta Mira (Abb. 1) sind heute in vielen großen Bibliotheken in Deutschland und in anderen Ländern der Welt verfügbar. Da mehrere Länder an der Karta Mira mitarbeiteten, befindet sich das Archivmaterial zur Entstehungsgeschichte in zahlreichen Archiven, u.a. in der Sammlung Perthes Gotha, im Bundesarchiv Berlin, im Ungarischen Staatsarchiv Budapest (Magyar Nemzeti Levéltár Országos Levéltára) und im Nationalarchiv in Prag (Národní Archiv).

Weitere Informationen beim Vortrag in der Reihe „Perthes im Gespräch“: „Sozialistische Globalisierung. Der VEB Hermann Haack und die internationale Zusammenarbeit an der Karta Mira/Weltkarte 1:2.500.000 (1956‒1989)“ am 27. September 2023, 18 Uhr, im Perthes-Forum (Ahnensaal).

Zum Weiterlesen

Empfehlungen zum Weiterlesen

  • W. Kluge (Hrsg.): Beiträge zur Weltkarte 1:2.500.000. Erfahrungen der internationalen Zusammenarbeit bei der Schaffung großer kartographischer Werke. Leipzig 1977 (Arbeiten aus dem Vermessungs- und Kartenwesen der DDR 37).
  • Übersicht über die Kartenblätter der Karta Mira: https://www.herder-institut.de/karten/id/465931359 (letzter Zugriff: 18. September 2023)

Christian Lotz (Marburg)

Christian Lotz war 2014 Herzog-Ernst-Stipendiat des Forschungszentrums Gotha. Gemeinsam mit dem Herder-Institut für historische Ostmitteleuropa-Forschung in Marburg und dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) in Leipzig entwickelt er derzeit ein Projekt zur Erforschung der Karta Mira.

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