Von Dürer bis Theremin

/ September 21, 2023

50. Jubiläumstreffen der Pirckheimer-Gesellschaft in Gotha (22.-24. September 2023)

Im Januar 1957 erschien im Ostteil Berlins ein unscheinbares Heftchen von 16 Seiten Umfang: „Marginalien – Blätter der Pirckheimer-Gesellschaft“. Was sich da um „Buchmenschen“ wie Wieland Herzfelde, Arnold Zweig und Werner Klemke gegründet hatte, war eine kleine Sensation: ein Hort für Büchersammler, Grafik- und Exlibrisfreunde, kurz für Bibliophile. Ein Wort und eine Tradition, die die junge DDR eigentlich als vermeintlichen Auswuchs bürgerlichen Dünkels ablehnte. Doch die Gesellschaft wuchs und blieb, nach dem Mauerfall auch gesamtdeutsch. Sie vereint heute über 600 Sammler und Künstler von Büchern, Grafik und Exlibris. Darunter sind viele, die sich seit Jahren dem Thema Buchkunst in all ihren Facetten widmen: Inhalt, Verlagsgeschichte, Typografie, Illustration, Einbandgestaltung. Neben dem Sammeln und Bewahren des „alten Buches“ pflegen und unterstützen die „Pirckheimer“ moderne Buchkunst und Grafik und arbeiten mit jungen Buchgestaltern und Künstlern zusammen, was sich in exklusiven Grafikeditionen und Buchjahresgaben niederschlägt. Das ist auch auf regionaler Ebene spürbar, wo die Pirckheimer-Gesellschaft mit ihren Gruppen aktiv ist – von Hamburg bis Leipzig, von Bayern bis Berlin, von Rhein-Main bis Thüringen.

Abb. 1: Cover der aktuellen Jubiläums-»Marginalien«-Ausgabe, Heft 250

Mit den „Marginalien“ gibt sie viermal im Jahr die älteste noch bestehende Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie in Deutschland heraus, mittlerweile pro Ausgabe 128 Seiten und eine Originalgrafik zeitgenössischer Künstler umfassend (Abb. 1). Künstler wie Klaus Ensikat, Bernhard Heisig, Karl-Georg Hirsch, Klaus Süß, Strawalde, Susanne Theumer, Moritz Götze, Thomas Ranft, Ottographic, Frank Eißner, Volker Pfüller, ATAK haben bereits manches Sammlerherz erfreut – egal ob als Siebdruck, Radierung, Holzschnitt, Kupferstich oder wie jüngst von Christian Ewald von Hand benäht.

Die Redaktion der Zeitschrift, bestehend aus Verlegern, Grafikern, Journalisten, Schriftstellern und Bibliothekaren, erkundet neben dem Bewahrenswerten der Vergangenheit verstärkt aktuelle Tendenzen der Buchkunst. In den jüngsten Ausgaben gedachte Christoph Hein des Verlegers Elmar Faber, verfolgte Christoph Links Spuren nichtstaatlicher Verlage der DDR, stellte Jörg Sundermeier die Kurt Wolff Stiftung vor, schufen Schriftsteller wie Georg Klein oder Buchkünstler wie Rainer Ehrt Kurzgeschichten für unsere von Matthias Gubig gestaltete Typografische Beilage, verfolgte Matthias Wehry die Spuren von Asbestpapier im 18. Jahrhundert, berichtete Michaela Scheibe über die Privatpresse Friedrich des Großen, erstellte Barbara Beisinghoff ein subjektives Abecedarium der Papierkunst, schaute Axel Bertram kritisch auf die Schriftkultur am Bauhaus, erkundete Silvia Werfel die Trends des Letterpress, warf Helmut Kronthaler ein Schlaglicht auf Lynd Wards Holzschnittbücher des Art déco, stellte Ernst Falk die surrealistische Kunstzeitschrift „Minotaure“ vor, erzählten wir von Atelierbesuchen bei Horst Hussel, Gertrud Zucker, Kay Voigtmann, Max Uhlig, der Künstlerinnengruppe augen:falter, von den bibliophilen Schätzen der Moldauklöster Rumäniens oder kalligrafierenden Grafikern in Bahrain, stellten Verlage und Editionen vor wie Edition Maldoror, Wehrhahn, The Bear Press, Kleinheinrich, Edition Balance, die Katzengrabenpresse, Naturkunden, spiegelten sich Aktivitäten der Regionalgruppen in Artikeln und Berichten.

Abb. 2: Grafikgabe zum 50. Jahrestreffen, Gotha 2023, von Thomas Offhaus: „ein Buch, das ich träumte“, 2023 (Tiefdruck)

In Gotha nun trifft sich die Gesellschaft vom 22. bis 24. September zu einem Jubiläum. Die Bücherfreunde feiern ihr 50. Jahrestreffen. Nicht ohne Grund in Gotha: Einer ihrer Mitgründer, Max Frank, war in den 1960er Jahren Direktor der Forschungsbibliothek Gotha, und schon in eben jener erwähnten Auftaktausgabe der „Marginalien“ stellte man anlässlich der sowjetischen Rückgabe der Kriegsbestände nach Thüringen eine Vermutung an: „Ihrem Charakter nach wird die Gothaer Bibliothek Schwerpunktaufgaben übernehmen, die weder in der Deutschen Demokratischen Republik noch in der Bundesrepublik gepflegt wurden. Sie wird einen Typ erneuern, der bisher als abgetan galt: die Gelehrtenbibliothek.“ Wie steht es denn nun um diese „Gelehrtenbibliothek“ 66 Jahre später? Dieser Frage gehen die Teilnehmer des Treffens unter anderem nach. Die Bibliothek öffnet exklusiv ihre Türen zu Schätzen wie orientalischen Handschriften islamischer Gelehrsamkeit, mittelalterlich illuminierten Handschriften und seinem UNESCO-gefeierten Weltdokumentenerbe. In mehreren Gruppen führen Mitarbeitende der Bibliothek durch die Sammlungen.

Auf dem Programm steht noch mehr: Mit einem Harfen-Konzert in der Schlosskirche tauchen Besucher am Freitag, dem 22.9., ein in die Musik der Zeit Willibald Pirckheimers, Namenspatron der Gesellschaft. Der Nürnberger Humanist und Büchersammler war enger Freund Albrecht Dürers. Dieser porträtierte Pirckheimer mehrfach, schmückte auch, wie jüngst wiederentdeckt und in Oldenburg ausgestellt, dessen Bücher mit Originalzeichnungen. Der Künstler Thomas Offhaus stellt im Kunstforum seine für das Treffen geschaffene Grafik vor, unter anderem mit einer Performance am Theremin (Abb. 2), dem sphärisch-klingenden Avantgarde-Instrument der 1920er Jahre, vielen nur noch aus Soundtracks utopischer Filme ein Begriff. Die Teilnehmer besichtigen eine Ausstellung über die japanische Papierfalttechnik des Origami in der Stadtbibliothek und durchstreifen die Gothaer Altstadt, begrüßt durch Oberbürgermeister Knut Kreuch.


Abb. 3a: p.f. Neujahrsgrafik (Holzstiche) von Egbert Herfurth

Abb. 3b: p.f. Ausschluss von Postbeförderung

Abb. 4: Baldwin Zettl: »Melancholie II (Bahnhof)« trifft in Gotha auf Grafiken von Albrecht Dürer

Zwei weitere Programmpunkte sind offen für jeden Interessierten: Am Samstag, dem 23.9. um 14:30 Uhr eröffnet der Gothaer Professor Peter Arlt die von ihm kuratierte Ausstellung originalgrafischer Neujahrsgrüße (Abb. 3a-b) im Spiegelsaal von Schloss Friedenstein mit Grafiken von Künstlern wie Albrecht Dürer, Klaus Süß, Baldwin Zettl (Abb. 4) oder Hans Ticha. Und im Anschluss führen ab 15:30 Uhr der Darmstädter Physik-Professor Norbert Grewe und seine Frau Christiane im Vortrag durch ihre in 50 Jahren entstandene gemeinsame Sammlung an Buchkunst von Jugendstilillustration über Künstlerbücher und Pressendrucken bis Science-Fiction. Für Pirckheimer sind Bücher nicht nur Wissensspeicher. Sie sind auch Zeugen – von Epochen, Haltungen, Gestaltungsmoden und Vorbesitzern. Bücher atmen lebendige Geschichte. Die Pirckheimer lieben Bücher genau aus diesen Gründen. Eine lebendige Gesellschaft von Kunstinteressierten feiert in Gotha Wirkung und Ästhetik des Buchs in Zeiten digitalen Wandels.

Mehr zu Programm und Teilnahmebedingungen finden sich auf der Webseite der Pirckheimer: www.pirckheimer-gesellschaft.org.

Till Schröder

Till Schröder, Chefredakteur der „Marginalien – Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie“

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