Postkarten aus der Neuen Welt!
Einblicke in das Leben eines Auswanderers
Auswanderungen in die USA sind bis heute ein spannendes und aktuelles Thema.1Vgl. Goudarzi 2024. Hierbei sind nicht nur die statistischen Fakten interessant, sondern ganz besonders die einzelnen Schicksale der Menschen, die sich für eine Auswanderung entschieden haben. Das Leben der Migrantinnen und Migranten ist besonders dank der Briefe in die Heimat rekonstruierbar. Ihre Briefe und Postkarten sind so interessant, weil wir mit ihnen eine historische Quelle des Blicks „von unten“ haben, die sich sonst nicht erhalten hat. Menschen, die sonst keinen Anlass zum Schreiben von Briefen hatten, schrieben jetzt ihren Verwandten und Freundinnen und Freunden in der Heimat über ihr Leben.2Lehmkuhl 2011; Ospelt 2017, S. 13, 16.
Selbst so kurze Texte, wie auf den Postkarten des Auswanderers Karl Hoffmann, geben einen Einblick in das Leben ihrer Schreiberinnen und Schreiber. Diese Karten wurden der Forschungsbibliothek Gotha kürzlich geschenkt und bereichern unsere Sammlung von Auswandererbriefen, die mit ihren über 11.000 Briefen eine der umfangreichsten überhaupt darstellt. Die Karten sind also bislang unerschlossen und der Forschung nicht bekannt. Ihr ästhetischer Reiz und die Kürze der darauf notierten Texte machten die Erschließung dieser Schenkung zur idealen Aufgabe, die im Rahmen eines kurzen Praktikums im November 2024 bearbeitet werden konnte. Was passiert mit so einer Schenkung in bibliothekarischer Hinsicht? Wie wird ein solcher Neuzugang inhaltlich erfasst?
Die Postkartenserie
Die Serie v. d. Straten/Hoffmann besteht aus 45 originalen Postkarten, der größte Teil davon ist beschrieben. Der Absender, Karl Hoffmann, schrieb in einem Zeitraum von 1900 bis 1915 an seine Familie, besonders an seine Nichte in Deutschland. Ein Großteil der Motive zeigt New York City, allerdings gibt es auch ein paar Motive von bekannten Schiffen und europäischen Städten.
Die Postkarten enthalten vordergründig kaum Informationen über den Briefschreiber oder seine Familie. Die vorhandenen Informationen können aber dabei helfen, die Lebensdaten des Briefschreibers und seiner Frau zu recherchieren. Anhaltspunkte hierbei waren der Vorname des Verfassers (Karl) und seiner Ehefrau (Marie), die Namen des Vaters (August Hoffmann, Sr.), des Bruders (August Hoffmann, Jr.) und der Nichte (Charlotte Himmler), außerdem ist die Adresse der Familie in Deutschland bekannt (ehemaliges Herzogtum Braunschweig, Beierstedt, bei Jerxheim). Die Annahme, dass Karl Hoffmann von dort stammte, liegt nahe.
Rekonstruktion der Lebensdaten
Diese Informationen waren hilfreich, Näheres über den Schreiber herauszufinden, wobei besonders die digitalisierten Listen der Einwanderer von Ellis Island in New York3Das Ellis Island Archive bietet mit seiner Datenbank nur eine kostenpflichtige Suchfunktion. Deshalb wurde hier zu der kostenneutralen FamilySearch-Plattform verlinkt. geholfen haben. Glücklicherweise sind diese Digitalisate so gut erschlossen, dass man nach Namen suchen kann und einzelne Scans erhält, die diesen Namen enthalten. Da die Namen und die Adresse des nächsten Verwandten4Vgl. List or Manifest of Alien Passengers for the United 1911. Nr. 4: Hoffmann, Karl. miterfasst wurden, konnte relativ schnell der richtige Karl Hoffmann ausgemacht werden. Aber was kann man mit diesen Informationen anfangen? Wie kommen wir weiter an unser Ziel, das Leben des Karl Hoffmann zumindest ein Stück weit zu rekonstruieren?
In der genannten Liste wird auch das Alter festgehalten, was bedeutet, dass wir sein ungefähres Geburtsjahr errechnen können. Laut der Liste von 1911 war Karl bei seiner Einreise 45 Jahre alt, woraus sich das Geburtsjahr 1866 ermitteln lässt. Dadurch ließ sich auch seine Heirats- und Sterbeurkunde in den digitalen Archiven von New York ausfindig machen.
Karl Hoffmann wurde demnach am 25.02.1866 in Deutschland geboren und war als Buchhalter tätig. Am 08.08.1903 ist er in die USA mit dem Schiff „S.S. Zeeland“ aus Antwerpen gekommen.5Vgl. Passport Application [Vorderseite] 1921. Seine Frau Marie Hoffmann reiste ein Jahr später in die USA ein und war Hausfrau. Sie wurde am 11.11.1866 geboren. Über sie wissen wir, dass sie in Deutschland bereits einmal verheiratet war. Die beiden werden in den Zensuslisten der 1910er Jahre als „Head“ (dt.: Kopf; hier Oberhaupt der Familie) und „Wife“ (dt.: Ehefrau) beschrieben. Es liegt allerdings nur eine Heiratsurkunde von 1918 vor.
Durch die Postkarten können wir sagen, dass auch damals das Leben in der Großstadt als stressig empfunden wurde. „Ich habe leider wenig Zeit, einen langen Brief zu schreiben. Tag und Nacht und auch Sonntags wird fest gearbeitet.“6Postkarte vom 15.10.1912. Zeit für kleine Ausflüge7Vgl. Postkarte vom 18.08.1913. (Abb. 1 & 2) (z.B. nach Klein Deutschland8Klein Deutschland, in Englisch “Little Germany”, ist ein Stadtviertel auf der Lower East Side, Manhattan, in New York City.) muss aber auch gewesen sein. In den Postkarten ist immer wieder die Rede von Briefen, die verschickt wurden oder für die leider keine Zeit zum Schreiben war. Das lässt mich annehmen, dass die Postkarten besonders geeignet waren, zwischendurch Kontakt mit der Heimat zu halten, ohne lange Briefe zu schreiben.
Über was berichten die Postkarten?
Die Karten handeln meist von ähnlichen Themen. Darunter sind Geburtstagswünsche, Grüße zu Feiertagen und kurze Informationen zu den Gebäuden9Bsp. Postkarte vom 04.09.1908. (Abb. 3), die auf den jeweiligen Postkarten abgebildet sind und natürlich wird sich immer wieder für erhaltene Briefe bedankt. Das könnte daran liegen, dass Postkarten offensichtlich wenig Platz für Text bieten. Anhand der Sprache der Karten kann man aber trotzdem vermuten, dass Karl Hoffmann eine höhere Bildung genossen haben muss. Sie enthalten kaum Fehler, hier und da vermisst man ein Wort. Außerdem schreibt er eine Karte auf Englisch10Vgl. Postkarte vom 23.07.1914. und eine auf Französisch11Vgl. Postkarte vom 09.03.1913..
Aus vier ausführlicheren, zur Zeit des Ersten Weltkrieges geschriebenen Postkarten vom 26.09.1914, adressiert an Miss Charlotte Himmler12Mappe: an Nichte Charlotte Himmler. erfährt man etwas mehr über die Zeitgeschichte und die Schwierigkeiten der Kommunikation. Karl Hoffmann freut sich, dass er von seiner Schwester und Nichte gehört hat, vermutet aber, dass seine Briefe in die Heimat nicht angekommen sind. Außerdem bittet er darum, das Senden von Zeitungen vorerst einzustellen, da er die neue Adresse seines „Commisionärs“ noch mitteilen müsse. Zudem seien die Geschäfte mit Deutschland völlig zum Erliegen gekommen. Die amerikanischen Zeitungen würden nur von deutschen Niederlagen berichten – Nachrichten, denen er nicht mehr glauben will. Zuletzt bittet er darum, für den nächsten Kontakt nur Karten zu verwenden, da er vermutet, dass Briefe vorerst nicht zugestellt werden können.
In der letzten gesendeten Postkarte dieser Serie, stellt Karl Hoffmann seine Meinung zum Krieg und dessen Ausgang dar. Die Munitionsfabriken in den USA blühen auf, was ein Nachteil für die „brave[n] deutsche[n] Soldat[en]“13Postkarte vom 01.11.1915. (Abb. 4 & 5) sei. Seine Erwartung über den Ausgang des Krieges ist relativ eindeutig: „Trotz alledem aber wird der Sieg auf der verbündeten Seite sein.“14Postkarte vom 01.11.1915. Auffällig hierbei ist, dass Karl Hoffmann nicht über die Hintergründe des Krieges reflektiert.
Gründe für die Auswanderung?
Die Postkarten lassen leider nicht auf die Umstände und persönlichen Gründe seiner Auswanderung schließen. Die allgemeinen Bedingungen von deutschen Auswanderern, besonders aus dem Herzogtum Braunschweig, sind jedoch ganz gut bekannt. Seit 1830 wurde die Auswanderung aus dem Herzogtum toleriert.15Dittmann 2020, S. 5. Ein ausschlaggebender Grund dafür war das rasante Bevölkerungswachstum. Zwei Jahre später wurde das Recht zur Auswanderung auch im Gesetz festgeschrieben, was allerdings auch Bedingungen mit sich brachte, wie z.B., dass alle Verpflichtungen dem Staat und Privatpersonen gegenüber erfüllt sein mussten, vor dem Reiseantritt. Gründe zur Auswanderung waren besonders die durch die angestiegene Bevölkerungszahl fehlenden Arbeitsplätze, demzufolge fehlendes Geld und die Hoffnung auf Aufstiegschancen.16Pohlmann 2002, S. 82-97. Aus Karl Hoffmanns Mitteilungen geht allerdings keine finanzielle Not hervor, vielmehr konnte er sich mehrere Reisen zurück in die alte Heimat leisten.
Dank dieser wenigen Postkarten ließ sich doch Einiges über das Leben des Schreibers rekonstruieren, die im Rahmen dieses kurzen Projekts – wie bei Neuzugängen in die Sammlung üblich – auch transkribiert und konservatorisch versorgt wurden. Sicher gibt es in den Karten noch mehr zu entdecken, wie generell in der Auswandererbriefsammlung der Forschungsbibliothek Gotha. Im Rahmen der Recherche haben sich auch noch weitere Fragen aufgetan, z.B. nach dem Versandsystem der damaligen Zeit. Auf manchen Postkarten werden Schiffe genannt, mit denen die Postkarten wahrscheinlich transportiert wurden (Bsp.: „Per S.S. „Bretagne“17Bsp. Postkarte vom 15.11.1911.) (Abb. 6). Auch die Postkarten selbst sind sehr interessant. Wie wurden die Motive aufgenommen und empfunden? Zu Karl Hoffmann und seiner Familie gibt es bestimmt noch mehr herauszufinden, was über den Stammbaum hinaus geht. Aber das ist Stoff für weitere Recherchen, die durch die bevorstehende bibliothekarische Erfassung dieser Ergebnisse in unseren elektronischen und digitalen Findmitteln sowie die Digitalisierung leicht möglich werden.
Anja Röding
Anja Röding studiert an der Universität Erfurt Literaturwissenschaft und Geschichtswissenschaft im Bachelor-Studiengang. Sie absolvierte ein studienbegleitendes, sechswöchiges Praktikum in der Forschungsbibliothek Gotha.
Literatur
- Dittmann, Manfred: Lebenswege Harzer Auswanderer. Auswanderung im 19. Jahrhundert. Nordhausen 2020.
- Lehmkuhl, Ursula: Auswandererbriefe als kommunikative Brücken. Wege und Formen der (Selbst-) Verständigung in transatlantischen Netzwerken, in: Zeitschrift für mitteldeutsche Familiengeschichte/Arbeitsgemeinschaft für Mitteldeutsche Familienforschung 52 (2011), 2 (4/6), S. 65–84.
- Ospelt, Lukas (Hg.): Über den Atlantik. Private Korrespondenz zwischen liechtensteinischen Amerika-Auswanderern und den Daheimgebliebenen, 1877–1925. Zürich 2017.
- Pohlmann, Cornelia: Die Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im Kräftespiel staatlicher Einflußnahme und öffentlicher Resonanz 1720–1897. Stuttgart 2002.
Onlinepublikationen und -quellen
- Goudarzi, Maryam: Projekt Migration. Ein Bericht über das Gothaer Bibliotheksstipendium 2023, in: Blog der Forschungsbibliothek Gotha, URL: https://blog-fbg.uni-erfurt.de/2024/02/projekt-migration/ (Stand:10.12.2024).
- List or Manifest of Alien Passengers for the United (18.02.1911). Aufnahme 452 von 1271; United States. National Archives and Records Administration, in: FamilySearch, URL: https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3Q9M-C9TQ-29QS?view=index (Stand: 5. Dez. 2024).
- Passport Application [Vorderseite] (16.08.1921). Von Marie Hoffmann, Aufnahme 779 von 820; United States. National Archives and Records Administration, in: FamilySearch, URL: https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-9981-779F-5?view=index (Stand: 5. Dez. 2024).
- Passport Application [Rückseite] (16.08.1921). Von Marie Hoffmann, Aufnahme 780 von 820; United States. National Archives and Records Administration, in: FamilySearch, URL: https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:3QS7-9981-779F-5?view=index (Stand: 5. Dez. 2024).
- The Statue of Liberty – Ellies Island Foundation, Inc. Passenger Search, in: The Statue of Liberty, URL: https://heritage.statueofliberty.org/passenger (Stand: 11.12.2024).
Postkarten FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, Serie v. d. Straten/Hoffmann
- Postkarte vom 15.10.1912, adressiert an Herrn Aug. Hoffmann Jr. (Mappe: Bruder).
- Postkarte vom 18.08.1913, adressiert an Herrn August Hoffmann (Mappe: Eltern [und Bruder]).
- Postkarte vom 04.09.1908, adressiert an Herrn Aug. Hoffmann Sr. (Mappe: „nur“ Vater).
- Postkarte vom 23.07.1914, adressiert an Miss Charlotte Himmler (Mappe: an Nichte Charlotte Himmler).
- Postkarte vom 09.03.1913, adressiert an Fräulein Charlotte Himmler (Mappe: an Nichte Charlotte Himmler).
- Postkarte vom 01.11.1915, adressiert an Fräulein Charlotte Himmler (Mappe: an Nichte Charlotte Himmler).
- Postkarte vom 15.11.1911, adressiert an Herrn Aug. Hoffmann Jr. (Mappe: Bruder).
Abbildungsnachweis
- Glen Island, Long Island Sound, N.Y. [Bildseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Straten/Hoffmann, Postkarte vom 18.08.1913, adressiert an Herrn August Hoffmann (Mappe: Eltern [und Bruder]).
- Postkarte von Karl Hoffmann an seine Eltern und Bruder vom 18.08.1913 [Textseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Straten/Hoffmann, Postkarte vom 18.08.1913, adressiert an Herrn August Hoffmann (Mappe: Eltern [und Bruder]).
- Park Row Building, New York, N.Y., mit Text von Karl Hoffmann [Bildseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Straten/Hoffmann, Postkarte vom 04.09.1908, adressiert an Herrn Aug. Hoffmann Sr. (Mappe: „nur“ Vater).
- Heuernte [Bildseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Straten/Hoffmann, Postkarte vom 01.11.1915, adressiert an Fräulein Charlotte Himmler (Mappe: an Nichte Charlotte Himmler).
- Postkarte von Karl Hoffmann an seine Nichte vom 01.11.1915 [Textseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Straten/Hoffmann, Postkarte vom 01.11.1915, adressiert an Fräulein Charlotte Himmler (Mappe: an Nichte Charlotte Himmler).
- Postkarte von Karl Hoffmann an seinen Bruder vom 15.11.1911 [Textseite]. FB Gotha, Auswandererbriefsammlung, v. d. Staten/Hoffmann, Postkarte vom 15.11.1911, adressiert an Herrn Aug. Hoffmann Jr. (Mappe: Bruder).