Zweitältester Lehrplan der Thomasschule Leipzig entdeckt
Die zur Universität Erfurt gehörende Forschungsbibliothek Gotha hat bei Tiefenerschließungen der nachreformatorischen Handschriften aus dem Nachlass der Theologen Johann und Johann Ernst Gerhard den zweitältesten Lehrplan der Thomasschule in Leipzig entdeckt. „Vor dem Hintergrund des 800-jährigen Bestehens der Schule in diesem Jahr ist der Fund ein besonderer Glücksfall“, erklärt der Entdecker des Schriftstückes, Dr. Daniel Gehrt, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bibliothek. „Der Lehrplan bereichert unser Wissen über den Schulunterricht im 16. Jahrhundert um eine weitere Facette.“
Der in lateinischer Sprache verfasste handschriftliche Lehrplan, der in den handschriftlichen Sammlungen der Gerhards aufgefunden wurde, lässt sich auf das Jahr 1577 datieren und ergänzt die bisher bekannten ältesten Lehrpläne aus den Jahren 1574 und 1592. Er steht im Zusammenhang mit den Kirchen- und Schulüberprüfungen aus dieser Zeit, die der Theologe und Kirchenlieddichter Nikolaus Selnecker (1530–1592) als damaliger Superintendent und Ordinarius der theologischen Fakultät Leipzig durchführte. Der Lehrplan veranschaulicht die große Monotonie des Unterrichts der Lateinschulen dieser Zeit, der ganz von dieser Gelehrtensprache beherrscht war. Hinzu kam als zweiter Schwerpunkt der Musikunterricht, den Selnecker ausdrücklich begrüßte. Die Förderung des schon zu dieser Zeit berühmten Thomanerchors durch die Reformation galt dabei nicht nur der Ehre Gottes, sondern hatte durchaus auch pädagogische Absichten. Die Vernachlässigung des muttersprachlichen Unterrichts wie auch das Fehlen der naturkundlichen Fächer machen deutlich, warum es im frühen 17. Jahrhundert zu umfassenden Reformen im Bildungsbereich kam. Dabei versuchte man auch den Bedürfnissen der Schüler nach einem abwechslungsreichen Unterricht Rechnung zu tragen.
Die Forschungsbibliothek Gotha besitzt eine umfangreiche Sammlung von Handschriften und Alten Drucken zur Schul- und Universitätsgeschichte Deutschlands, die für eine Erforschung der frühneuzeitlichen Bildungslandschaft von großer Bedeutung ist. Darunter befinden sich Statuten, Gesetze, Schul- und Universitätsordnungen, Rektoratsmandate, Bekanntmachungen, Vorlesungen, Disputationen, Reden sowie weitere Zeugnisse. Besonders dicht ist das Material für die Universitäten und höheren Schulen aus Leipzig, Rostock, Tübingen, Wittenberg, Frankfurt/Oder, Marburg, Jena, Helmstedt, Straßburg und Herborn.
Das Projekt zur Katalogisierung der nachreformatorischen Handschriften aus dem Nachlass der Theologen Johann und Johann Ernst Gerhard in der Forschungsbibliothek Gotha wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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Dr. Kathrin Paasch
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