Seltene Spuren eines längst vergangenen Schulalltags
Die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt hat bei Tiefenerschließungen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts zur Katalogisierung der nachreformatorischen Handschriften im Nachlass des Jenaer Theologieprofessors Johann Gerhard (1582–1637) die Schulhefte aus dessen Jugendzeit in Quedlinburg am Ende des 16. Jahrhunderts entdeckt. „Es handelt sich hierbei um seltene Spuren eines vergangenen Schulalltags“, erklärt Dr. Daniel Gehrt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bibliothek, „da so alte Überlieferungen von Schulheften aus dieser Zeit ansonsten nicht bekannt sind.“
Die Schulhefte vermitteln einen tiefen Einblick in die tatsächlichen Lehrinhalte und Lehrmethoden am Ende des 16. Jahrhunderts, bei denen mittelalterliche, reformatorische und humanistische Bildungstraditionen bzw. -impulse ineinandergriffen. Die handschriftlichen Dokumente hat Gerhard von 1595 bis 1598 im Alter zwischen 13 und 16 Jahren als Schüler des Gymnasiums in Quedlinburg angefertigt. Bei den ältesten Eintragungen handelt es sich um eine allgemeine Einführung in die (lateinische) Sprachlehre sowie um Abschriften von Musterversen des römischen Dichters Vergil. Hinzu kommen umfassende Aufzeichnungen zur Rhetorik und Dialektik, die als die fundamentalen Unterrichtsfächer in der Frühen Neuzeit anzusehen sind. Interessant ist dabei, dass Gerhard viele Übungen parallel in Latein, Griechisch und Deutsch durchführte. Dies könnte ein Hinweis auf eine verstärkte Unterrichtung auch in der deutschen Muttersprache sein. Dass die lateinische Tradition mit ihrem Wissensschatz aber vorherrschend blieb, wird aus anderen Notizen Gerhards deutlich. So belegt eine Skizze zu den Klimazonen der Welt (siehe Foto), dass die wenigen praktischen Kenntnisse ebenfalls anhand der klassischen Autoren vermittelt wurden.
Die nunmehr erschlossenen Schulschriften Gerhards, dessen 375. Todestag sich am 17. August dieses Jahres jährt, ergänzen die einzigartige Sammlung der Forschungsbibliothek Gotha zum Schulwesen in der Frühen Neuzeit. Dank des vorherrschenden Interesses des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Gotha wurde Gotha in der Mitte des 17. Jahrhunderts zum Zentrum der reformpädagogischen Bemühungen in Deutschland, mit denen man den muttersprachlichen und naturkundlichen Schulunterricht verstärken wollte. Verschiedene Aspekte dieser Bildungsinnovationen wird im nächsten Jahr die Ausstellung „Gotha macht Schule – Bildung von Luther bis Francke“ beleuchten, die von der Forschungsbibliothek Gotha gemeinsam mit der Stiftung Schloss Friedenstein durchgeführt werden wird. Auch Gerhards Schulhefte werden dort zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.
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Dr. Sascha Salatowsky
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