Kochrezepte aus mittelalterlichen arabischen Handschriften
Die sechsteilige Al Jazeera Dokumentation „Speisen der Vorfahren“
In sechs Episoden rekonstruiert Elmozafar Kotoz Abdelhafiz (Katholieke Universiteit Leuven) in seiner arabischsprachigen Dokumentation „Speisen der Vorfahren“ (Mawāʾid al-aǧdād) unter der Regie von Husām Sarḥān die historische arabische Küche anhand handschriftlicher Überlieferungen. Zwei arabische Handschriften der Forschungsbibliothek zum Thema Kulinarik stehen dabei im Zentrum.
„Speisen der Vorfahren“ lautet der Titel der jüngst auf dem Al Jazeera Documentary Channel ausgestrahlten sechsteiligen Dokumentation in arabischer Sprache, die unter anderem an der Forschungsbibliothek Gotha gedreht wurde. Der Produzent, Elmozafar Kotoz Abdelhafiz von der Katholieke Universiteit Leuven, ist ein ehemaliges Mitglied des nun abgeschlossenen Forschungsprogramms MIDA („Mediating Islam in the Digital Age“), an dem auch die Forschungsbibliothek beteiligt war. Seine Dokumentation beleuchtet anhand der ältesten handschriftlich erhaltenen Werke in arabischer Sprache zum Thema Speisen und Küche das arabisch-islamische kulinarische Erbe.
Neben Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha standen auch Werke an der Zentralbibliothek Oodi in Helsinki und der Staatsbibliothek Berlin im Zentrum der Dokumentation. Sie repräsentieren jeweils verschiedene geographische Regionen: Während Handschriften in Helsinki und Berlin Licht auf Speisen im abbasidischen Irak und in Andalusien werfen, war ursprünglich geplant, dass an der Forschungsbibliothek Gotha das wichtigste Werk der ägyptischen Küche den Höhepunkt bilden sollte. Doch es kam anders als geplant: Im Zuge der Vorbereitungen zu den Filmaufnahmen wurde an der Forschungsbibliothek das wohl wichtigste Werk der syrischen Küche – speziell der Küche Aleppos – identifiziert: Das „Buch des Weges zum Herzen des Geliebten durch die Beschreibung von Aromen und Düften“ (Kitāb al-Wuṣla ilā l-ḥabīb fī waṣf aṭ-ṭayyibāt wa-l-ṭīb, Ms. orient. A 1346).
Kulinarik erschöpft sich nicht in den Speisen selbst, das zeigt die Dokumentation. Was Menschen in der Vergangenheit im arabischen Raum aßen, stand in historischen und sozioökonomischen Zusammenhängen. Mit dem Essen waren zudem Sitten und Bräuche wie Singen und poetische Wettbewerbe verbunden; man benutzte bestimmte Parfüms oder folgte Dresscodes. In jeder der sechs Episoden wurde für die Zuschauer*innen darüber hinaus auch ein in den Handschriften überliefertes Rezept nachgekocht. Kommentiert wurden die Episoden von mehreren renommierten Kennern der arabischen Küche und Geschichte, darunter insbesondere Nawal Nasrallah, Historikerin, Autorin und Übersetzerin, und Daniel Newman, Professor an der Durham University in Großbritannien und Experte auf dem Gebiet der „food history“ (Kulinarik) im arabischen Raum. Der bekannte Koch Fādī Qaṭṭān moderierte die Gespräche der Expert*innen, darunter auch Professor Umar Ryad (KU Leuven) und Ḫālid ʿAzab (Universität Kairo). Von Seiten der Forschungsbibliothek nahm der wissenschaftliche Referent für die orientalische Handschriftensammlung, Dr. Feras Krimsti, teil.
Von den Beständen der Forschungsbibliothek wurde zunächst in Episode vier die „Schatzkiste des Bekömmlichen und der kulinarischen Vielfalt“ (Kanz al-fawāʾid wa-tanwīʿ al-mawāʾid, Ms. orient. A 1345), ein bedeutendes Werk der ägyptischen Küche, fokussiert. „Dreiundzwanzig Kapitel mit vielen verschiedenen Dingen,“ beschreibt Professor Newman das Werk, „Getränke, Speisen, Parfüms, Puder zum Händewaschen – es gibt von allem etwas –, auch medizinische Rezepte.“ Er weist unter anderem auf ein Rezept für Couscous hin, ein „reisendes Gericht“, das aus dem Maghreb nach Ägypten gebracht wurde.
Ein an der Forschungsbibliothek aufbewahrtes Werk ohne Titel, das die Aufmerksamkeit des Produzenten erregte, konnte von Nawal Nasrallah als das „Buch des Weges zum Herzen des Geliebten“ identifiziert werden. Die 62 Folios sind einst – vermutlich aufgrund ihrer praktischen Verwendung in der Küche – durcheinandergeraten, was bislang die Identifikation erschwerte. Dieser „Bestseller“ der arabischen Küche beinhaltet 625 Rezepte und wird dem aleppinischen Historiker und Biographen Ibn al-ʿAdīm (1192–1262) zugeschrieben. Die meisten der heute erhaltenen Kopien des Werks sind recht spät datiert. Das Kolophon in der Handschrift der Forschungsbibliothek verrät, dass die Kopie im Jahr 738 der Hidschra, also im Jahr 1338, fertiggestellt wurde. Sie gehört somit zu den drei ältesten Handschriften des Werkes aus dem 14. Jahrhundert. Diesem bedeutenden Fund sind ein Teil der fünften und der sechsten Episode der Dokumentation gewidmet.
Gekocht wird für die Zuschauer*innen der Dokumentation zum Beispiel aus dem „Buch des Weges zum Herzen des Geliebten“ das Gericht Maʿšuqa – wörtlich übersetzt, „die sehnsuchtsvoll Geliebte“. Es handelt sich um eine Speise mit honig- und pistaziengefüllten Datteln, die mit Fleisch in der Pfanne gegart und mit Rosenwasser abgelöscht werden. Ein Gaumenschmaus im vormodernen Aleppo, der zum Nachmachen anregt!
Die Dokumentation zeigt, wie bedeutsam die arabische Handschriftentradition für die Bewahrung auch des immateriellen Kulturerbes ist. Wissen wie das um die Zubereitung von Speisen wird hier neugierigen Zuschauer*innen sehr anschaulich nahegebracht. Und nebenbei wirft die Dokumentation auch wissenschaftliche Fragen auf, wie die nach der praktischen Verwendung der Handschriften oder die nach ihrem Weg in europäische Bibliotheken.
Feras Krimsti
Feras Krimsti ist promovierter Historiker und Islamwissenschaftler sowie wissenschaftlicher Referent für die orientalische Handschriftensammlung an der Forschungsbibliothek Gotha.