„In Tusculano tuo“ : Das Sommerdomizil des Gothaer Kirchenrats Ernst Salomon Cyprian in Wechmar

/ September 7, 2023

Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 50

Abb. 1: Rokokosaal im Studnitzer Landhaus in Wechmar.

Unweit von der herzoglichen Residenzstadt Gotha liegt das Dorf Wechmar. Die Ortschaft ist aus kulturhistorischer Sicht bekannt als die „Wiege“ der berühmten Musikerfamilie Bach. Hinzu kommt unter anderem das Landhaus, dessen Innenräume der Oberhofmarschall Hans Adam von Studnitz (1711–1788) Mitte des 18. Jahrhunderts im Rokokostil prachtvoll einrichten ließ (Abb. 1). Über die Geschichte des Hauses unter dem Vorbesitzer Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) (Abb. 2) war bis zur neuerlichen Erschließung des Nachlasses dieses Gothaer Kirchenrats wenig bekannt. Einzelne Briefe und Dokumente geben Aufschluss über die Bedeutung und Nutzung des damals noch schlichten Gebäudes.

Abb. 2: Christian Schilbach: Ölgemälde mit Porträt von Ernst Salomon Cyprian

Ernst Salomon Cyprian, ein europaweit vernetzter Gelehrter, der zu den bedeutendsten deutschen Kirchenhistorikern seiner Zeit gehörte, kam auf Berufung Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1676–1732) 1713 nach Gotha. Neben seinem Hauptamt als Kirchenrat nahm er mehrere Kompetenzen am Hof wahr, einschließlich der zweiten Leitungsposition des Gothaer Oberkonsistoriums und der Direktion der Herzoglichen Bibliothek, des Münzkabinetts und der Waisenhäuser.

Was bewegte Cyprian 1732, das Haus in Wechmar zu kaufen? Zunächst stellt sich die Frage, ob es sich hier um den Haupt- oder Nebenwohnsitz handelt. Ist Cyprian 1732 von Gotha nach Wechmar, ungefähr neun Kilometer entfernt von seiner Hauptwirkungsstätte Schloss Friedenstein, gezogen? Das wäre in der damaligen Zeit für das tägliche Pendeln eine beachtliche Strecke gewesen. Bemerkenswert ist, dass der Hauskauf in das Jahr des Regierungswechsels der Gothaer Herzöge fällt. Bis dahin hatte Cyprian unter Herzog Friedrich II. große Förderung sowie zum Teil auch Handlungs- und Gestaltungfreiraum beim Wahrnehmen seiner Kompetenzen in der Landeskirche, im Schulwesen, in der sammlungsbezogenen fürstlichen Repräsentation auf Schloss Friedenstein und in der Religionspolitik des Herzogs auf Reichs- und europäischer Ebene genossen. Im Gegensatz dazu bestand ein sehr gespanntes Verhältnis zwischen Cyprian und dem neuen Herrscherpaar, Friedrich III. (1699–1772) und Luise Dorothea (1710–1767). Beide hatten zum einen Schwierigkeiten mit Cyprians Person. Der Kirchenrat selbst beschrieb sich als einen sehr temperamentvollen – in seinen frühen Jahren gar jähzornigen –, sittlich strengen Menschen mit festen Grundhaltungen. Zum anderen pflegte das Herrscherpaar andere geistige Vorlieben und Interessen. Es stand der Aufklärung aufgeschlossener gegenüber als Cyprian, der in einigen geistigen Strömungen seiner Zeit eine Gefahr für die Gesellschaft und das Fortbestehen der lutherischen Kirchen in Europa zu erkennen glaubte. Mit Blick auf die persönlichen Spannungen war der Kauf eines Hauses 1732 außerhalb der Residenzstadt eine sicherlich von beiden Seiten begrüßte Möglichkeit, mehr Abstand vom Hof zu nehmen.

Abb. 3: Brief von Georg Grosch an Cyprian in Wechmar, Friedrichroda, 17. Mai 1741.

Aus dem ersten Testament, das Cyprian am 9. Februar 1740 verfasste (Chart. A 1380, Bl. 11r–19v), geht jedoch deutlich hervor, dass die Gothaer Herzöge ihm eine Wohnung in der Residenzstadt Gotha zur Verfügung gestellt hatten. Die genaue Lage ist bisher nicht bekannt. Dort befand sich auch seine weit mehr als 8.000 Druckschriftenbände umfassende Privatbibliothek, die in den Räumlichkeiten des kleinen Hauses in Wechmar – damals vor dem Anbau der beiden Flügel unter Studnitz – kaum gepasst hätte. Wozu diente denn das Haus unweit von Cyprians Hauptwohnort? Hinweise auf die Antwort zu dieser Frage finden sich in seiner Korrespondenz.

Drei Briefe aus den Jahren 1734, 1738 und 1741 sind bekannt, die Cyprian in Wechmar schrieb bzw. erhielt. Besonders aufschlussreich ist der letzte. Georg Grosch (1698–1771), Cyprians langjähriger Assistent, beginnt den Brief mit den Worten: „Rogo DEUM, ut in Tusculano TUO eam valetudinis TUAE recreationem sentias, […]“ (Ich bitte Gott, dass Du in Deinem Tusculanum die Erholung Deiner Gesundheit spürst […]; Abb. 3). Da Grosch hier auf einen Brief von Cyprian aus Wechmar antwortet, wird deutlich, dass sich das Wort „Tusculanum“ auf dessen dortiges Haus bezieht.

Abb. 4: Louis Gurlitt: Ölgemälde der Albaner Berge, 1850.

Seit der späten Republik wohnten viele wohlhabenden Römer in der Albaner Berglandschaft um die südöstlich von Rom gelegene Stadt Tusculum (Abb. 4), darunter Caesar und Cicero. Dort verfasste Letzterer seine philosophische Schrift „Tusculanae disputationes“ (Gespräche in Tusculum). Der Begriff „Tusculanum“ für ein Landgut bei Tusculum oder der Stadtname selbst wurde später auf behagliche Wohnsitze und beliebte Aufenthaltsorte übertragen. Damit verbunden sind auch Vorstellungen von Orten, die Rückzug und Muße für die eigene literarische und geistige Erbauung und Entfaltung bieten. Da die drei genannten Briefe mit Bezug auf Wechmar in den Monaten Mai und Juni entstanden und Grosch das Haus als Ort der Erholung charakterisiert, benutzte Cyprian es vermutlich als eine Art Sommerdomizil. Ähnlich machte der nachfolgende Besitzer Studnitz das Haus zu seiner Nebenresidenz.

Am 3. September 1745, sieben Tage vor dem Tod seiner Frau Anna Sophia (1706–1745) und sechszehn Tage vor seinem eigenen Tod, setzte Cyprian ein neues Testament auf (Chart. A 1379a, Bl. 1r–20v). Im Unterschied zum ersten Testament von 1740 wird das Haus in Wechmar explizit erwähnt, denn Cyprian – ohne direkte Erben – vermachte der Kommission zur Vollstreckung seines letzten Willens 600 Taler und das Haus als Entschädigung für ihre Mühe (Bl. 16r). Am 26. Oktober 1745 reiste diese Kommission nach Wechmar. Als die drei Männer durch die einzelnen Räume gingen, verzeichneten sie die Gegenstände, die sie jeweils dort vorfanden (Chart. A 1379a, Bl. 166v–171r). Sie sollten nach Cyprians testamentarischer Verfügung das Haus liquidieren, damit sie sich den monetären Wert teilen könnten. Im ungünstigen Fall sollten die Öfen herausgenommen und das Haus dem Verfall überlassen werden. 1747 fand die Kommission glücklicherweise einen neuen Käufer am Gothaer Hof: den mehrfach erwähnten Oberhofmarschall Hans Adam von Studnitz, der das bescheidene Domizil zu einem repräsentativen und opulenten Landhaus ausbaute.

Daniel Gehrt

Daniel Gehrt ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften an der Forschungsbibliothek Gotha.

Literatur

  • Daniel Gehrt: Ernst Salomon Cyprians „Tusculanum“ in Wechmar. Das Sommerdomizil eines europäischen Gelehrten, in: Knut Kreuch (Hrsg.): Das Wunder von Wechmar. 275 Jahre Landhaus Studnitz. Gotha 2022, S. 46–55.
  • Marion Giebel: Treffpunkt Tusculum. Literarischer Reiseführer durch das antike Italien. Stuttgart 1995, S. 31-45 (zweites Kapitel: Cicero in Tusculum).
  • Katalog der Handschriften aus dem Nachlass Ernst Salomon Cyprians (1673–1745). Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft sowie aus den Beständen des Landesarchivs Thüringen – Staatsarchiv Gotha und der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Gotha, Augustinerkloster (Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha 5), beschrieben von Daniel Gehrt. Wiesbaden 2021.
  • Ernst Bernhard von Studnitz: Der Gothaer Oberhofmarschall Hans Adam von Studnitz und sein Wechmarer Landhaus, in: Knut Kreuch (Hrsg.): Im Tal des wilden Wassers. Chronik der Ortschaften Günthersleben und Wechmar. Wechmar 2001, S. 293–297.

Abbildungsnachweis

  1. Rokokosaal im Studnitzer Landhaus in Wechmar. CC BY-SA 3.0
  2. Christian Schilbach: Ölgemälde mit Porträt von Ernst Salomon Cyprian, [vor 1733]. FB Gotha, Inv.-Nr. 817.
  3. Brief von Georg Grosch an Cyprian in Wechmar, Friedrichroda, 17. Mai 1741. FB Gotha, Chart. A 443, Bl. 291r.
  4. Louis Gurlitt: Ölgemälde der Albaner Berge, 1850. Staatliche Museen zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz. Alte Nationalgalerie, W.S. 64. Public Domain Mark 1.0
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