Alexander Merensky – zwei Karten eines Missionars aus Deutsch-Ostafrika
Als der Missionar Alexander Merensky (1837-1918) im Mai 1891 als Leiter einer kleinen Missionsexpedition in die Kolonie Deutsch-Ostafrika aufbrach, unterhielt er bereits seit einigen Jahren einen Briefwechsel mit dem Justus Perthes Verlag in Gotha. Im Zuge dieser im Auftrag der Gesellschaft zur Beförderung der evangelischen Mission unter den Heiden (Berlin I) ausgeführten Reise entstanden durch seine Hand zwei Karten, die sich noch heute im Bestand der Schriftleitung der seit 1855 im Verlag herausgegebenen geographisch-kartographischen Fachzeitschrift Petermanns Geographische Mitteilungen befinden (Anm. 1).
Die erste Karte traf am 30. Juni 1892 in Gotha ein, nachdem Merensky sie zusammen mit einem umfangreicheren Schreiben am 28. März desselben Jahres von der Missionsstation Wangemannshöh aus abgeschickt hatte (Anm. 2). Sie zeigt das Missionsgebiet, welches im Norden des Nyassas, des heutigen Malawisees, lag. Ziel der Missionsexpedition war es, freundliche Kontakte mit den dort lebenden Volksgruppen zu knüpfen und durch eine erste Stationsgründung der Berliner Gesellschaft ein günstiges Arbeitsfeld für ihr künftiges Wirken in der Kolonie zu schaffen. Dieses Ziel wurde am 2. Oktober 1891 mit Gründung der Station Wangemannshöh erfüllt (Anm. 3). Um geeignetes Missionsland zu finden, wurden immer wieder Erkundungsmärsche unternommen, bei denen das Land genauestens untersucht und verzeichnet wurde.
Auf seinem handgezeichneten Entwurf notierte Merensky Angaben zur Vegetation, Entfernungen, Höhen und die Werte seiner mit dem Siedethermometer durchgeführten Höhenmessungen sowie zwei seiner Reiserouten. Der Gothaer Kartograph Bruno Hassenstein trug dann auf dem Entwurf Merenskys mit Bleistift Koordinaten nach und ergänzte ihn im Druck um das Land westlich des Sees sowie um eine Reiseroute der gleichzeitig missionierenden Herrnhuter Brüdergemeine. Die Karte wurde schließlich 1892 in der Zeitschrift „Petermanns Geographische Mitteilungen“ veröffentlicht. Sie wird von einem Artikel der Redaktion begleitet, der einen Auszug aus einem Tagebuch Merenskys wiedergibt, in welchem er seine Reise zu dem Häuptling Merere zur Jahreswende 1891/92 beschreibt. Das Tagebuch sandte Merenskys Frau am 15. Oktober 1892 leihweise an die Gothaer Redaktion. Für die zweite Karte wird der Verlag noch einmal Notizen und Tagebücher des Missionars als Leihgabe erhalten (Anm. 4).
Die Korrespondenz enthält noch eine zweite, gedruckte Karte. Sie zeigt den Lauf des Shireflusses, der dem Malawisee entspringt und in den Sambesi mündet. Hierbei handelt es sich um das vorläufige Probeexemplar derjenigen Karte, welche im Juliheft der „Petermanns Geographischen Mitteilungen“ von 1894 gedruckt wurde (Anm. 5). Bis zur Veröffentlichung war es jedoch ein weiter Weg. Das schon im September 1891 noch in Ostafrika abgeschickte Original ging verloren. Im Mai 1893 schickte Merensky daher aus Berlin eine neue Skizze, auf deren Grundlage der Kartograph Hassenstein noch im selben Monat selbst eine Karte zeichnete. Die Karte wurde aber nicht veröffentlicht. Erst im April 1894, als sich Merensky entschied, die Karte doch nicht in seinem eigenen Buch zu verwenden, wird der Druck in Angriff genommen und die beiden tauschten ihre Skizzen aus. Im Mai entsteht dann unser Exemplar, die in der Korrespondenz überlieferte erste Druckversion, welche nochmals zur Prüfung an Merensky ging und schließlich in Schwarz die Korrekturen des Missionars und in Rot die Korrekturen Bruno Hassensteins vereint.
Der Missionar hatte den Fluss auf der Hinreise der Missionsexpedition vom 6. bis 13. September 1891 stromaufwärts und auf der Rückreise vom 7. bis 9. Juli 1892 stromabwärts befahren. Die Erreichbarkeit über den Schifffahrtsweg war überhaupt ein entscheidendes Argument für die Wahl des Missionsgebietes am Nordende des Nyassasees. Die Karte verzeichnet auch die Routen einiger englischer Missionare. Merensky verwendete also auch fremde Aufzeichnungen, u.a. diejenigen des deutschen Kapitäns Prager, welche er leihweise vom Auswärtigen Amt erhalten hatte, um sie mit seinen eigenen abzugleichen (Anm. 6). Erschienen ist die Karte mit einem kleinen Artikel Merenskys, in dem Wassertiefen, Flussbreiten, Stromgeschwindigkeiten, die Flussufer, Namen von Dörfern und Bergen und ihre Bedeutungen, aber auch die einheimischen Bewohner und die europäischen Niederlassungen Berücksichtigung finden (Anm. 7).
Die zwei Karten des Archivs der Sammlung Perthes sind die Produkte einer Afrikaforschung, die nicht von einem der großen Forscher oder ausgebildeten Fachwissenschaftler, sondern von einem der weniger bekannten, primär in anderen Tätigkeitsfeldern arbeitenden Akteure in den Kolonien betrieben wurde, welche maßgebliche Beiträge für die Wissensproduktion und -vermittlung der damaligen Zeit beisteuerten. Wissen wurde produziert, transferiert und Bedeutung gegeben. Alexander Merensky nahm eine Rolle in diesen globalen Prozessen ein. Er beförderte den Austausch von Wissen und tritt als Akteur im Wissenstransfer zwischen Afrika und Europa auf (Anm. 8). Für seine wissenschaftlichen Verdienste wurde er zum Ehrenmitglied zahlreicher Gesellschaften ernannt, u.a. der Geographischen Gesellschaft für Thüringen zu Jena, der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin sowie der Kaiserlich-Leopoldinisch-Karolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher in Halle (Anm. 9). In den vielen und vielfältigen Tätigkeiten des Missionssuperintendenten vermischten sich Missionstätigkeit und Wissenschaft zu einer Einheit. Damit steht er auch beispielhaft für alle Missionare, die mit ihrer Arbeit in den Kolonien bedeutende Beiträge zur Geographie und Geologie geleistet haben.
Anm. 1 Vgl. Merensky, Alexander: Deutsche Arbeit am Nyaßa, Deutsch-Ostafrika, Berlin 1894, S. 38; Lehmann, Hellmut: 150 Jahre Berliner Mission, Erlangen 1974, S. 10, 92f.; Kratzenstein, Eduard: Berliner Mission in Süd- und Ostafrika, Berlin 1893, S. 1-4, 414-429.
Anm. 2 Vgl. für das Schreiben FBG SPA ARCH PGM 438/1, Bl. 28 und 29, für die Karte Bl. 30.
Anm. 3 Vgl. Merensky, Deutsche Arbeit, S. 176f. Siehe Kratzenstein, Berliner Mission, S. 419; Richter, Julius: Geschichte der Berliner Missionsgesellschaft 1824-1924, Berlin 1924, S. 634.
Anm. 4 Vgl. für die Briefe der Frau Merensky FBG SPA ARCH PGM 438/1, Bl. 32 und 33. Die Karte findet sich in: PGM 38, Heft XI (1892), Tafel 19 und der zugehörige Artikel dort auf S. 249-256.
Anm. 5 Vgl. PGM 40, Heft VII (1894), Tafel 12. Der Redaktionsschluss war der 18.7.1894.
Anm. 6 Kapitän Prager (1854-1910) war ein Leiter der Wißmann Dampfer-Expedition, einer Expedition des kaiserlichen Gouverneurs von Deutsch-Ostafrika Major von Wißmann, welche den Transport und den Zusammenbau eines Schiffes für den Nyassasee vorsah, vgl. Prager, Max: Die deutsche Dampfer-Expedition zum Nyassa-See, Kiel 1901.
Anm. 7 Dazu Merensky, Alexander: Der Shirefluss, in: PGM 40, Heft VII (1894), S. 165f.
Anm. 8 Siehe zur Globalisierung von Wissen im 19. Jahrhundert den Ansatz einer Kolonial- und Globalgeschichte des Wissens bei Habermas, Rebekka/Przyrembel, Alexandra (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus in der Moderne, Göttingen 2013, S. 9-24. Dazu spezieller: van der Heyden, Ulrich/Feldtkeller, Andreas (Hrsg.): Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert (= Missionsgeschichtliches Archiv, Bd. 19), Stuttgart 2012.
Anm. 9 Vgl. van der Heyden, Ulrich: Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, in: Rebekka Habermas/Alexandra Przyrembel (Hrsg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus in der Moderne, Göttingen 2013, S. 49-60, hier S. 59f.
Autor: Michael Hartmann hat ein Schülerpraktikum in der Sammlung Perthes absolviert und ist derzeit Bachelorstudent in den Fächern Geschichte und Theologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.