Antike und Orient: Venezianische Buchgestaltung und Bibliophilie der Frührenaissance
In der Hafenstadt Venedig trafen über den Levantehandel seit dem Mittelalter kulturelle Einflüsse aus Vorderasien mit solchen aus Europa zusammen. Begehrte Handelswaren und unbekannte Materialien kamen auf den Markt, künstlerische Einflüsse wurden adaptiert, neues Wissen und neue Techniken etablierten sich vor Ort und wurden weiter verhandelt. So kommt auch Venedig neben Mainz eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung des frühen Buchdrucks zu. In den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha befinden sich vier reich illuminierte und prächtig gebundene Inkunabeln, die zu den bedeutendsten buchkünstlerischen Erzeugnissen der italienischen Frührenaissance gehören. Gedruckt wurden sie in Venedig von Nicolas Jenson.
Der aus Frankreich stammende Buchdrucker und Stempelschneider hatte sich um 1468 in der Lagunenstadt niedergelassen. Seine Drucke waren geschätzt für ihre hohe Qualität von Edition, Typografie und Layout. Die Antiqua, in der Jenson die klassischen antiken Autoren setzte, gilt als wegweisend für die weitere Entwicklung der Druckschriften. Diese Lettern glichen aus Edelsteinen geschnittenen Juwelen, so ein Zeitgenosse. In jungen Jahren war Jenson in der Münze des französischen Königs in Paris ausgebildet worden, bevor man ihn im Oktober 1458 nach Mainz sandte. Wahrscheinlich hatte er den Auftrag erhalten, bei Johann Fust und Peter Schöffer d.Ä., den ehemaligen Geschäftspartnern von Johannes Gutenberg, die Technik des neu erfundenen Buchdrucks auszukundschaften. Als Jenson 1480 starb, erbte sein enger Freund und Kapitalgeber, der ebenfalls in Venedig ansässige Frankfurter Kaufmann Peter Ugelheimer, die Patrizen. Mit diesen Stahlstempeln schlug man die Mutterformen, die für den Guss von Drucktypen aus Letternmetall erforderlich waren. Sie waren das verschleißfreie typografische Kapital für die vieltausendfache Vervielfältigung von Drucktypen. Der Verkauf von Drucktypen dürfte die eigentliche Grundlage für Jensons wirtschaftlichen Erfolg in Venedig gewesen sein, mehr als seine Druck- und Verlegertätigkeit.
Peter Ugelheimer war nicht nur Finanzier und Buchhändler, sondern muss auch einer der anspruchsvollsten und profiliertesten Bibliophilen seiner Zeit gewesen sein. Er sammelte vorwiegend auf Pergament gedruckte Bücher und Pergamenthandschriften, von denen noch 18 Bände in verschiedenen Bibliotheken erhalten sind. Den im Druck auf Pergament vervielfältigten Text ließ Ugelheimer von norditalienischen Buchmalern mit goldornamentierten Initialen und Miniaturen mit Textbezug ausgestalten. Die jeweils erste Druckseite erhielt üppige Umrahmungen aus Architekturelementen oder illusionistische Malereien von Goldschmiedearbeit als Bordüre. Dargestellt sind neben in Gold gefassten geschliffenen Edelsteinen und Perlen auch gefasste antike Gemmen, Kameen und Münzen, wobei unklar ist, ob konkrete Objekte vorlagen und diese möglicherweise in Ugelheimers eigener Sammlung zu suchen sind.
Auch die originalen Einbände der Bücher aus Ugelheimers Besitz sind spektakulär. Die unbekannten venezianischen Buchbinder kombinierten verschiedene Elemente persischer Einbandornamentik, durchbrochenes Lederfiligran und Heißvergoldung. In die arabeske Komposition integriert wurden auch Abgüsse römischer Münzen aus farbiger Formmasse, ein instruktives Zeugnis für die Antikerezeption in der Einbandkunst. Acht originale für Ugelheimer gefertigte Einbände haben bis heute überdauert; vier davon fanden, wie erwähnt, den Weg in die Herzogliche Bibliothek auf Schloss Friedenstein.
Die enthaltenen kirchenrechtlichen Werke sind auf feinstes Pergament gedruckt und aufwendig illuminiert. Von der Forschung ist auch Peter Ugelheimer selbst als ausführender Künstler in Betracht gezogen worden. Wahrscheinlich gelangten die vier kostbaren Gothaer Ugelheimer-Bände im Dreißigjährigen Krieg als Kriegsbeute aus der Mainzer Dombibliothek in den Besitz von Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar. Nach Bernhards Tod kamen sie schließlich an seinen Bruder Ernst I. von Sachsen-Gotha-Altenburg.
Verfasser: Dietrich Hakelberg, 25. März 2021
Digitalisate:
Gotha, FB, Mon.typ 1477 2° 12: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-156071
Gotha, FB, Mon.typ 1477 2° 13: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-4baec76b-381d-4fa1-bb61-01452ec29caa5
Gotha, FB, Mon.typ 1479 2° 4: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-156081
Gotha FB, Mon.typ 1481 2° 10: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-231681
Digitalisierte Bücher und Handschriften aus dem Besitz von Peter Ugelheimer in anderen Bibliotheken:
Paris, BnF, Vélins 493-494: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k319273g
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 697: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_697
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1497: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1497
Literaturhinweise:
Christoph Winterer (Hrsg.), Hinter dem Pergament: die Welt. Der Frankfurter Kaufmann Peter Ugelheimer und die Kunst der Buchmalerei im Venedig der Renaissance. München 2018.
Lotte Hellinga: Nicolas Jenson, Peter Schoeffer and the Development of Printing Types. In: Dies., Incunabula in Transit. People and Trade. Leiden 2018, S. 40-88.
Abbildungen:
Abb. 1: Gemaltes Frontispiz auf Pergament zu Justinian: Digestum Nova cum Glossa (Venedig: Nicolas Jenson, 1477). In der Mitte unter der Arkade das Wappen von Peter Ugelheimer, eine goldene Fessel, das noch fünf Mal auf kleineren Schilden rund um den Triumphbogen, der wohl Ugelheimer selbst gilt, zu sehen ist. Die Inschrift auf dem Schriftband lautet in deutscher Übersetzung: „Der wohlgeborene Peter Ugelheimer aus Frankfurt hat dieses Buch seinen Nachkommen bestimmt“. FB Gotha, Mon. typ. 1477 2° 13.
Abb. 2. Der Vorderdeckel eines Ugelheimer-Einbandes mit farbigen Abgüssen antiker Münzen (Justinian: Digestum Nova cum Glossa. Venedig: Nicolas Jenson, 1477). Die Belederung des Einbandrückens ist späteren Datums. FB Gotha, Mon. typ. 1477 2° 00013.
Abb. 3: Illuminierte Seite auf Pergament aus dem Decretum Gratiani (Venedig: Nicolas Jenson, 1477), aus dem Besitz von Peter Ugelheimer. Die Miniatur über dem Textanfang zeigt Gratian, wie er dem Papst sein Buch des Kirchenrechts übergibt. Dem Nachruhm Ugelheimers dient der lateinische Hexameter: PERFICE PRINCIPIO FLORENS CELEBERIMA PETRE (Peter, der Du schon am Anfang erblühtest, vollende das Hochberühmte!). FB Gotha, Mon. typ. 1477 2° 12.
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