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Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 41![]() Kirchengeschichte mit europäischem Blick. Die Vorreiterrolle des Gothaer Historikers Ernst Salomon CyprianVerfasser: Dr. Daniel Gehrt, Forschungsbibliothek Gotha 1745 erschien der erste Band einer umfassenden Kirchengeschichte unter dem Titel „Nothwendige Verthaidigung der evangelischen Kirche wider die Arnoldische Ketzerhistorie“ ![]() Abb. 1: Titelblatt des Buches „Nothwendige Verthaidigung der evangelischen Kirche“ (1745). FBG, Theol 2° 269/4 (3). Es war das Lebenswerk des Gothaer Kirchenrats, Bibliothekdirektors und Historikers Ernst Salomon Cyprian (1673–1745), das sein langjähriger Assistent Georg Grosch 1740 übernommen und wenige Monate vor Cyprians Tod veröffentlicht hatte. Einer der ersten Rezensenten dieses Werks hob hervor, dass die Darstellung von der Verbreitung des Protestantismus durch Europa in ihrer Ausführlichkeit und in ihrem systematischen Ansatz beispiellos gewesen sei. Wo erhielt der Gothaer Historiker die Inspiration für einen solchen weiten und wegweisenden Blick? ![]() Abb. 2: Christian Schilbach: Ölgemälde mit Porträt von Ernst Salomon Cyprian (vor 1733). FBG, Inv.-Nr. 817. Sein Bildungswerdegang begann in den Schulen in Salzungen und Schleusingen. 1692 wurde er an der Universität Leipzig und im Sommer des gleichen Jahres an der Universität Jena immatrikuliert. Hatte er den Schwerpunkt seiner Studien anfangs auf die Medizin gesetzt, verlegte er diesen Ende 1693 auf die Theologie. Im Laufe der Jahre wandte er sich zunehmend der Kirchengeschichte zu. 1698 ging er nach Helmstedt, wo er im folgenden Jahr eine außerordentliche Professur für Geschichte und Logik erhielt. Cyprian hatte sich durch seine Kritik an der „Unpartheyischen Kirchen- und Ketzerhistorie“ früh einen Namen als Historiker gemacht. Dieses bahnbrechende und zugleich heiß umstrittene vierteilige Werk hatte der radikale Pietist Gottfried Arnold (1666–1714) 1699 bzw. 1700 in zwei imposanten Bänden publiziert. Es gilt als das erste monumentale Geschichtswerk, das von einem konfessionell unabhängigen Standpunkt aus verfasst wurde. Grundsätzlich richtete Arnold seine Kritik gegen die institutionell und rechtlich etablierte sowie dogmatisch und liturgisch verfestigte römisch-katholische, lutherische und reformierte Kirche. Nach Arnold verlief die Kontinuitätslinie des wahren Christentums von der apostolischen Zeit bis zur Gegenwart nur bedingt über die sichtbare Kirche. Eine solch tragende Rolle spielten seiner Meinung nach vor allem einzelne Personen und kleinere Gruppierungen, auch diejenigen, die in den Augen der etablierten Kirchen als Ketzer oder Heterodoxe galten. Arnold wandte sich prinzipiell gegen die Verketzerung von Menschen sowie gegen Bekenntnis- und Gewissenszwang. Cyprian hatte Europa auch als Kirchenrat am Gothaer Hof stets im Blick, denn er spielte eine Schlüsselrolle in der gesamtlutherischen Schutzpolitik seines Landesherrn Friedrich II. Aus Cyprians umfangreicher Korrespondenz geht hervor, dass der Gothaer Hof sich bemühte, Informationen über den Zustand der lutherischen Kirchen im Deutschen Reich und in den Königreichen Dänemark-Norwegen und Schweden zu sammeln und isolierte Gemeinden im Russischen Reich, in Großpolen, Schlesien, West- und Nordungarn, Genf, den Niederlanden und London zu unterstützen. Die Aufforderung an die lutherischen Gemeinden in ganz Europa, sich aktiv an den Feierlichkeiten zur Zweihundertjahrfeier der Reformation 1717 zu beteiligen, und die Dokumentation dieser Feierlichkeiten in einem umfangreichen Druck mit dem Titel „Hilaria evangelica“ sind herausragende Beispiele dieser Politik. Eine weitere Inspiration für Cyprians umfangreiche Darstellung der Ausbreitung des Luthertums in Europa war vermutlich der niederländische Naturrechtstheoretiker Hugo Grotius (1583–1645). Neben dem Rationalismus bildeten die Zeugnisse der Geschichte eine wichtige Säule seiner Argumentationsstrategie. Dazu gehörten auch Wunder, wie sie von Christus und den Aposteln vollbracht worden seien. Ausgehend von der Prämisse, dass die beste oder wahre Religion diejenige ist, die am weitesten verbreitet ist, stellte Grotius die explosionsartige Ausbreitung der christlichen Religion in den ersten Jahrhunderten ihres Bestehens als ein Wunder oder Manifestation der göttlichen Vorsehung dar. Analog dazu bezeichnete Cyprian in seiner Geschichte des Augsburger Bekenntnisses die Ausbreitung des „gereinigten“ Wortes Gottes in ganz Europa im 16. Jahrhundert und dann nach Indien und in die Neue Welt als „wunderbar“ oder „wundersam“ im Sinne, dass sie wie durch ein Wunder geschehen sei. Er sah dies als Beweis dafür an, dass Gott seine schützende Hand über die reformatorische Bewegung gehalten und ihr Gedeihen gefördert habe. Aus diesem Grund bemühte sich Cyprian bei jeder Gelegenheit, die weite Ausbreitung, Stärke und Festigkeit der lutherischen Kirchen zu betonen. Dies war zum Beispiel einer der Hauptbeweggründe für die bereits erwähnte ausführliche Dokumentation der Feierlichkeiten zum zweihundertjährigen Reformationsjubiläum. Der weite Blick des Gothaer Historikers ist auch in den heutigen Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha deutlich zu sehen. Die dort aufbewahrten Quellen zur Kirchengeschichte von der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert bis Mitte des 18. Jahrhunderts sind stark europäisch ausgerichtet. veröffentlicht 06.04.2022 Literatur
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