“Leichten Schrittes emporsteigen …” – die Wendeltreppen der Herzoglichen Bibliothek

/ Mai 27, 2022

Abb. 1: Die erhaltene Wendeltreppe im Ostturm

Im ersten Obergeschoss des Ostturms von Schloss Friedenstein, in dem die Forschungsbibliothek Gotha eines ihrer Büchermagazine hat, ist noch heute im südöstlichen Bereich eine Wendeltreppe zu sehen (Abb. 1). Sie verband von der Mitte des 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das erste und zweite Obergeschoss des Bibliotheksturms und war Teil einer großen Wendeltreppe, die vom Erdgeschoss bis in das dritte Obergeschoss führte.

Aufgrund eines Brandes im Naturalienkabinett im Nordflügel des Schlosses Friedenstein am 27. August 1860 begann die Gothaer Verwaltung des Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha insbesondere für die Bibliothek und die ihr zugehörige Münzsammlung umfangreiche Brandschutzmaßnahmen. So tauschte man in den folgenden Jahren sämtliche Holztüren zwischen dem Ostflügel und Ostturm gegen eiserne Türen zur Brandabschottung aus. Für den Brandfall des südlichen Treppenhauses im Ostflügel, das den angrenzenden Ostturm erschloss, wurden 1863 Wendeltreppen in alle drei Obergeschosse des Ostturms eingebaut. Sie sollten vor allem der Rettung von Menschen und Büchern dienen. Mit dem Einbau dieser rechtsherum gewendelten Spindeltreppen konnten jedoch nun auch die Büchertransporte zwischen den drei Etagen und damit die internen Arbeitsabläufe der Bibliothek verbessert werden. Um die Brandausbreitung im Turm selbst zu verhindern, waren die Holztreppen mit horizontalen Eisenplatten im Bereich der Geschossdecken verschließbar.

Abb. 2: Karl Joachim Marquardt (1812–1882), Leiter aller Sammlungen auf Schloss Friedenstein; 1862-1882 Direktor der Herzoglichen Bibliothek

Den Wendeltreppeneinbau verdankt die Bibliothek dem Direktor der Herzoglichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaften Gotha Karl Joachim Marquardt (1812–1882; Abb. 2). Zeitgleich mit der Leitung aller Sammlungen auf Schloss Friedenstein hatte Marquardt 1862 auch die Direktion der Herzoglichen Bibliothek übernommen, die er 20 Jahre innehatte. Im Hauptamt war Marquardt Gymnasiallehrer für Latein und Griechisch sowie Direktor des Gymnasium Ernestinum. Von ihm stammen zahlreiche Kathederblüten, unabsichtlich komische Äußerungen, die auch veröffentlicht wurden.

Seht, eine neue Treppe hat die Bibliothek, welche drei Etagen durchläuft und sich dabei, wie eine Schlange, in Kreisen windet, dichtete im Jahr des Einbaus in lateinischen Versen der Bibliotheksmitarbeiter und Lehrer am Gothaer Herzoglichen Gymnasium Philipp Heinrich Welcker (1794–1871). Die 50 Stufen zählende Treppe beanspruchte durch ihre Form nur wenig Platz. Wie ergötzlich ist es, sich hier geschwinde hinab zu bewegen zu den unteren Räumen! Wie ergötzlich, von dort leichten Schrittes emporsteigen zu können!, dichtete Welcker weiter. Er feierte Marquardt zugleich als Schöpfer der Treppe.

Abb. 3: Zeichnung der Wendeltreppe von Albin Reinhold (1869–1950), Gothaer Hofbauinspekteur

Ob die Nutzung der 80 Zentimeter breiten Treppenstufen mit Büchern auf den Armen wirklich so einfach war, darf bezweifelt werden. Sie war jedoch bei den großen Entfernungen im Ostturm zeitsparend.

Um 1900 baute man auch in dem für die Bibliothek hergerichteten Turmerdgeschoss eine Wendeltreppe ein. Außerdem sollte die gesamte Treppe 1901 eine feuersichere Verkleidung in Form einer fünf Zentimeter starken Rapitzwand erhalten, wie auf der Zeichnung des Gothaer Hofbauinspektors Albin Reinhold (1869–1950; Abb. 3) zu sehen ist. Beim so genannten Rabitz, 1878 vom Maurermeister Carl Rabitz zum Patent angemeldet, handelt es sich um Drahtputz, der aus einer metallenen Unterkonstruktion, dem so genannten Rabitzgitter als Putzträger und Putzmörtel besteht. Der Rabitz galt als feuersicher und wurde in der Regel für Deckenputz und leichte Zwischenwände genutzt. Das Gothaer Vorhaben wurde jedoch nicht ausgeführt.

 

Kathrin Paasch

Die hier beschriebenen Exponate sind in der Jubiläumsausstellung der Forschungsbibliothek Gotha „Bücher bewegen. 375 Jahre Forschungsbibliothek Gotha“ zu sehen, die noch bis zum 19. Juni 2022 im Spiegelsaal von Schloss Friedenstein läuft. Im Kapitel „Bauen. Gestalten“ ist auch das Gedicht von Welcker auf den „Treppenerbauer“ Marquardt in lateinischer und deutscher Sprache zu hören. Die lateinische Originalfassung trägt Ralf Tschentscher, die von Ralf Tschentscher übersetzte deutsche Fassung trägt Kathrin Paasch vor.

Literatur

  • Marquardtiana. Geistesblitze im Gewande der Komik. Gotha 1909.
  • Friedrich Mielke, Handbuch der Treppenkunde, Hannover 1993.
  • Kathrin Paasch, Udo Hopf: Die wenigen Bibliothekare kommen nicht von den Treppen und Leitern. Zur Bau- und Bibliotheksgeschichte des Ostturms von Schloss Friedenstein Gotha (1647–1946). In: Kathrin Paasch (Hg.), Bücher bewegen. 375 Jahre Forschungsbibliothek Gotha. Gotha 2022, S. 83–101.
  • Albin Reinhold, Herstellung einer feuersicheren Verkleidung der Wendeltreppe im Schlosse Friedenstein. Ansicht und Grundriss. Gotha, 1901 (Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Gotha, Hofbaumeister und Bauverwaltung Nr. 63, f. 27).
  • Philipp Heinrich Welcker, Ad virum illustrissimum et doctissimum, marquardtum, qui nostris praeest gymnasiis. [Gotha, 1863] (Forschungsbibliothek Gotha Chart. B 1900, o.S.).
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