Ein neues Büchermagazin für die Forschungsbibliothek Gotha.
Ein Bericht über die Diskussion am 14. Juni 2022 im Herzog-Ernst-Kabinett
Die Ausstellung „Bücher bewegen“ anlässlich des 375. Gründungsjubiläums der Forschungsbibliothek Gotha (10. April bis 19. Juni 2022) wirft auch einen Blick in die Zukunft der traditionsreichen Büchersammlung. In einem gesonderten Raum wurden die Ergebnisse eines studentischen Entwurfsprojekts präsentiert, das die Bibliothek im Wintersemester 2021/22 mit Prof. Dipl. Ing. Jörg Springer/Lehrstuhl Entwerfen und komplexe Gebäudelehre und neun Studierenden der Bauhaus-Universität Weimar durchgeführt hat. Ausgangspunkt des Projektes war der Auszug von mehr als 300.000 Bänden der seit 1698 im Ostturm von Schloss Friedenstein Gotha aufgestellten Büchersammlung aufgrund der anstehenden Sanierung des Schlosses. Schon jetzt ist sicher, dass ein großer Teil dieser historischen Bestände sowie weitere Bücher nach der Sanierung nicht wieder in den Ostturm einziehen dürfen. Gründe dafür sind die Statik und der Denkmalschutz. Die Forschungsbibliothek Gotha benötigt einen Magazinneubau. Die im Weimarer Seminar entstandenen Entwürfe waren als Modelle und Abbildungen und in einem Stadtmodell von Gotha kontextualisiert in der Ausstellung „Bücher bewegen“ zu sehen.
Am 14. Juni 2022 stellten Jörg Springer und die beiden Studenten Felix Balling und Leonard Weber zusammen mit der Bibliotheksdirektorin Dr. Kathrin Paasch das Projekt und seine Ergebnisse dem zahlreich erschienenen Publikum im Herzog-Ernst-Kabinett der Bibliothek vor und kamen mit den Interessierten ins Gespräch.
Mit dem derzeit laufenden Umzug der Bücher in ein Ausweichmagazin wird, so Kathrin Paasch in ihrer Einleitung, der 300 Jahre währende Zusammenhang zwischen dem Ostturm als der baulichen Hülle der Bibliothek, den historischen Räumen, den Büchern und den sie nutzenden Besucher*innen zerrissen. Gerade dieser Zusammenhang sei einmalig und mache nicht zuletzt für viele Forschende den Reiz dieser Sammlung aus. Die Forschungsbibliothek benötigt als Ersatz für den bisherigen Wissensspeicher im Ostturm dringend einen neuen Magazinbau auf hohem sicherheits- und klimatechnischem Niveau. Dieser muss sich in unmittelbarer Nähe der Forschungsbibliothek in Schloss Friedenstein befinden, um die Wege zwischen Buch und Nutzenden kurz zu halten. Denn schließlich solle nach der Sanierung die gesamte erste Etage des Ostflügels und des Ostturms zum Studienzentrum der Bibliothek umgestaltet, neue Arbeits- und Begegnungsmöglichkeiten in den historischen Räumen geschaffen werden und ein größerer Lesesaal entstehen.
Jörg Springer führte im Anschluss über die Aufgabenstellung für die angehenden Architekt*innen aus. Auch wenn die Bibliothek, so Springer, in erster Linie einen Magazin-Neubau benötigt, seien ihm und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Sebastian Schröter bei einem Besuch von Schloss Friedenstein rasch weitere Desiderate deutlich geworden: Zwar ist der Friedenstein mit seinen zwei markanten Türmen bereits von weitem zu sehen und bei Anreise von Süden gleichsam eine Landmarke in der hügeligen Region um Gotha. Doch beim Betreten des riesigen Schlosshofes stelle sich jedem Besuchenden ungeachtet der Hinweisschilder die Frage: Wo ist die Bibliothek? Ein Magazin-Neubau habe daher auch die Sichtbarkeit der Bibliothek und das Bewusstsein für die in ihr aufbewahrten Schätze deutlich zu erhöhen. Das könne durch die Integration von Räumen ermöglicht werden, die kulturellen Austausch und Begegnung fördern wie eine Wandelhalle oder ein Café.
Die Studierenden erhielten zu Beginn des Projekts drei verschiedene Orte bezeichnet, an denen sie den Neubau entwickeln konnten:
- im Rosengarten zwischen Schloss Friedenstein und dem Herzoglichen Museum bzw. zwischen den beiden Schlosstürmen im Süden in unmittelbarer Nähe zur Bibliothek und in Verbindung beider Schlossflügel gelegen
- neben der Wasserkunst vor dem Nordflügel des Schlosses am oberen Ende der Gothaer Innenstadt oder
- westlich des Schlossparks, an der Einmündung der Schlossparkallee in die Bergallee, oberhalb des Gymnasiums Ernestinum und neben der Studnitz-Pyramide gelegen.
Den drei Grundstücken gemein war die Herausforderung, dass sich der Magazinneubau mit dem Äußeren des Schlosses auseinanderzusetzen und die Wirkung der Türme doch unangetastet lassen sollte. Topographisch fällt ins Gewicht, dass das Gelände bzw. der Park jenseits des Schlossplatzes jeweils stark abschüssig ist und bei der Planung starke Höhenunterschiede berücksichtigt werden müssen.
Nach diesen Ausführungen stellten Felix Balling und Leonard Weber ihre Modelle und Überlegungen vor. Balling ließ bei seiner Planung die Vorstellung zu, Schloss Friedenstein weiterzubauen. Sein Entwurf sieht vor dem eigentlichen Schlosshof einen neuen Hof vor, einem Umgang und einem geschützten Ort gleich, der nach Norden hin auf den alten Umgang trifft und für die Bibliothek auch eine neue Eingangssituation aufweist. Der Archivbereich soll prägnant und wie das Schloss in vertikale Achsen gegliedert sein, ohne die Türme in ihrer Erscheinung zu beeinträchtigen. Leonard Weber projektierte seinen Archivbau hingegen im Bereich des sog. Rosengartens, aus einem Kubus mit funktionalem Archiv und einem Zylinder mit Veranstaltungssaal und Café bestehend. Webers Konzept fügt sich sehr gut in die Landschaft und die topographische Situation. Der von Sharoun oder – wie Weber selbst äußerte – mittelalterlichen Marktzelten inspirierte Rundbau setzt dabei auf harmonische Weise ein markantes Zeichen, das die Türme von Schloss Friedenstein gleichfalls bestehen lässt.
Anschließend erläuterte Jörg Springer weitere Entwürfe, das im Rosengarten freistehende Archivgebäude von Arthur Helmecke, das durch seine isolierte Position in Konkurrenz zum Schloss tritt, außerdem das durch die Säulengliederung ephemer wirkende Projekt von Lucas Holscher, das im heutigen Parkplatzbereich von Schloss Friedenstein lokalisiert wäre. Wie Springer erläuterte, konzipierte Diego Elias Kühle-Ramos seinen Entwurf als Kubus, ohne Zusammenhang mit der heutigen Bibliothek im Schloss, der vom Kontrast „Last“ und „Raum“ für die Arbeit der Benutzenden geprägt ist. Marie-Alix von Knebel Doeberitz schlägt einen fingerartig an der Wasserkunst gelegenen, in die Höhe ragenden Archivbau vor, Laura Valentina Mayer-Steudte an gleicher stadtwärts gelegenen Stelle einen ebenfalls deutlich aus dem Formenschatz hochkragender Archivbauten schöpfenden Ansatz.
In der konstruktiven Diskussion zeigten sich die Teilnehmenden angetan von den Entwürfen und lobten die intensiven Überlegungen und prägnanten Umsetzungen. Jörg Springer betonte, dass Schloss Friedenstein kein abgeschlossenes Denkmal sei. Schließlich habe es schon längst seine Funktionalitäten des 17. bis 19. Jahrhunderts verloren und wurde seit der Gründung des Herzoghauses 1640 mehrfach baulich verändert. Auch wenn die noch vorhandenen historischen Raumfolgen im musealen Kontext natürlich sichtbar bleiben sollten, müsse die Bibliothek – ebenso wie die musealen Sammlungen – mit ihren heutigen Aufgaben sichtbar und erlebbar gemacht werden. Ein Bibliotheksneubau in hoher Qualität, der für Jahrzehnte gültig bliebe, muss das Ziel sein. Kathrin Paasch formulierte den Wunsch, zwischen der historischen Bausubstanz und dem Neubau eine Verbindung herzustellen. Die studentischen Entwürfe seien dafür ergebnisoffene Denkanstöße. Sie hoffe, dass sich nun eine breite Diskussion zum Depotneubau entwickle. Wann mit dem Neubau begonnen werden kann und wer ihn finanziert, ist, so Paasch, noch unklar. Fragen und Anregungen aus dem Publikum zielten auf einen möglichen unterirdischen Magazinneubau sowie auf die Integration und Harmonisierung eines Magazinneubaus mit der bestehenden Schlossarchitektur ab – nicht nur hinsichtlich der architektonischen Formensprache und der Disposition, sondern auch hinsichtlich der Gestaltung der Außenhaut – Aspekte, die vor allem bei den Projekten von Lucas Holscher, Arthur Helmecke, Felix Balling und Leonard Weber gegeben sind.
Die Diskussion anhand des studentischen Entwurfsprojekts zeigte nicht nur das rege Interesse der Gothaer Bürger*innen an den Vorüberlegungen zur Planung eines Magazinneubaus. Die Ausstellung „Neues Büchermagazin für die Forschungsbibliothek Gotha. Eine architektonische Recherche“ und die dazugehörige Diskussionsveranstaltung zeigte eindrücklich, wie wichtig es ist, die Forschungsbibliothek Gotha im Zusammenhang mit den anderen Sammlungen und Gebäuden des Gothaer Schlossareals und dem städtischen Raum für die Zukunft gut aufzustellen und weiterzuentwickeln.
Monika E. Müller
Zum Weiterlesen:
- Jörg Springer, Neues Büchermagazin für die Forschungsbibliothek Schloss Friedenstein. Eine architektonische Recherche, in: Bücher bewegen. 375 Jahre Forschungsbibliothek Gotha. Katalog zur Jubiläumsausstellung auf Schloss Friedenstein Gotha, hg. von Kathrin Paasch, Gotha 2022, S. 192–197.