„Aber die Seele fehlt dem Geschäft“ – Zum 165. Todestag von Bernhardt Wilhelm Perthes I

/ Oktober 27, 2022

Abb. 1: Bernhardt Wilhelm Perthes I

Der 165. Todestag von Bernhardt Perthes I (1821–1857) am 27. Oktober ist Anlass, an sein kurzes, für den Justus Perthes Verlag jedoch nachhaltiges Wirken zu erinnern (Abb. 1).

Bernhardt Perthes trat 1845 als Teilhaber in den Verlag, den er zusammen mit seinem Vater Wilhelm bis zu dessen Tod 1853 gemeinsam führte. Vorausgegangen war ein familien- und verlagstypischer Ausbildungsweg, der Bernhardt Perthes über eine frühe praktische Tätigkeit im Verlag seines Vaters, eine buchhändlerische Lehre in den Buchhandlungen engerer Verwandter – bei Wilhelm Besser in Berlin und Perthes-Besser und Mauke in Hamburg – und Auslandsaufenthalten zurück nach Gotha geführt hatte.1Dieser Beitrag basiert in seiner Konzeption weitgehend auf Fünf Generationen, S. XIV-XVII. Für die Verwandtschaftsbeziehungen siehe Schmidt-Ewald, Die Gothaer Perthes.

1857, nur vier Jahre später, starb Bernhardt Perthes. Sein Onkel Clemens Perthes (1809–1867), damals Jurist an der Universität Bonn, rief gegenüber dem späteren preußischen Kultusminister Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795–1877) seinem Neffen nach:

„Er war ein ungewöhnlicher Mensch, immer entschlossen, rasch und ebenso ausdauernd: in dem weiten und bedeutenden Lebenskreise, in dem er sich bewegte, traf er fast immer das Rechte und Richtige ohne viel Wissen, jedoch durch eine Naturkraft geleitet. Er fügte über bedeutende Mittel, war ihrer Herr und freute sich ihres Gebrauches; aber die Mittel blieben ihm durchaus nur Mittel zum Wirken und Schaffen: oftmals hat er großartig geopfert, wenn es galt, etwas wirklich Bedeutendes zu erreichen. Sein Geschäft, dessen Umfang und Großartigkeit nur wenige kennen, hat so gute und zuverlässige Mitarbeiter aller Art und ist in solider und geordneter Bewegung, dass eine Stockung und Störung im Laufenden nicht zu besorgen ist. Aber die Seele fehlt dem Geschäft und diese ist unersetzlich.“2Zitiert nach Fünf Generationen, S. XVII.

Wer war Bernhardt Perthes?

Der Nachruf zeichnet das Bild eines intuitiv geleiteten, energetischen Menschen, dem das Wohl seines Unternehmens und seiner Mitarbeiter am Herzen lag. Er war ein „Macher“, wenn man „Naturkraft“ so verstehen möchte.

Wie bettet sich seine kurze Verlegertätigkeit in die Geschichte des Justus Perthes Verlages ein und in eine Familie, die in ungebrochener Tradition über sieben Generationen hinweg den Verlag Justus Perthes vom späten 18. bis in das letzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu einem der großen europäischen Kartenverlage machte?

Bernhardt Perthes gewann nach tastenden „Anwerbungsversuchen“ seines Vaters 1854 den damals noch in London als freien Kartografen tätigen August Petermann (1822–1878) als Chefkartograf des Verlages.3Siehe die Blogbeiträge zum 200. Geburtstagsjubiläum von Petermann: https://blog-fbg.uni-erfurt.de/?s=Petermann; https://blog-fbg.uni-erfurt.de/2022/04/200-jahre-august-heinrich-petermann-kartograph-manager-netzwerker/ Er gewährte ihm weitgehend freie Hand. An die Spitze der Flottille des profilierten kartografischen Verlagsprogramms setzte Petermann seit 1855 mit seinen Mittheilungen aus Justus Perthes Geographischer Anstalt ein Flaggschiff, das die weltweite Wahrnehmung des Gothaer Unternehmens als wissenschaftlicher Kartenverlag bis weit in das 20. Jahrhundert prägen sollte.4Smits, Petermann’s Maps; Demhardt, Der Erde ein Gesicht geben.

Vor allem aber interessierten den naturwissenschaftlich aufgeschlossenen Bernhardt Perthes – Experimente kosteten ihm 1837 ein Auge – die Technologien der Kartenproduktion, hauptsächlich grafische Vervielfältigungstechniken und deren Modernisierung. Der Perthes Verlag hatte seit seinem Einstieg in die Kartenproduktion um 1810 an traditionellen Verfahren der Kartenherstellung wie Kupferstich, Kupferdruck und Handkolorierung festgehalten. Das weiche Kupfer ermöglichte eine schnelle Aktualisierung der Druckvorlagen, um mit exakten Karten auf dem Markt zu bestehen. Doch der wachsende Kartenhunger des 19. Jahrhunderts verwandelte diesen Qualitätsanspruch in einen für Perthes marktwirtschaftlichen Nachteil. Denn die Geschmeidigkeit des Kupfers schränkte eine auflagenstarke Kartenproduktion in Kupferpressen erheblich ein. Perthes drohte überholt zu werden von Verlagen, die für ihre hohen, preiswerten Auflagen andere Techniken wie Lithografie und Stahlstich einsetzten.5Für alle hier erwähnten Vervielfältigungstechniken von Kartenvorlagen siehe Bosse, Kartentechnik II. Für den Kupferstich siehe auch Weigel, Kupferplatten.

Eine Lösung versprach die seit den frühen 1830er Jahren als Vervielfältigungsverfahren entwickelte Galvanoplastik. Das Verfahren erlaubte auch die Replizierung von Kupferplatten, so dass größere Auflagen produziert werden konnten. 1842 richtete der Gothaer Kupferstecher Ludwig Michaelis in seiner Kupferdruckerei eine Galvanische Anstalt ein. Sie war auf das engste mit den Bedürfnissen des Perthes Verlags verknüpft, denn Michaelis war einer der wichtigsten Partner des Verlages. Nahezu alle in Kupfer ausgeführten Perthes-Karten jener Zeit tragen den Vermerk „L. Michaelis sc. in Gotha“, mit dem sich Michaelis als Stecher auszeichnete6Sc. = sculpsit = er hat es gestochen.. Stolz berichtete Wilhelm Perthes 1847 über die positiven Effekte dieser Neuerung: verbilligte Produktion und Preissenkungen für den Stieler Handatlas als dem Prestigeprodukt und Aushängeschild des Unternehmens.

„Mit Anwendung der wichtigen Entdeckung des galvanoplastischen Verfahrens zur Vervielfältigung gestochener Kupferplatten ist nunmehr für den Hand-Atlas ein neuer bemerkenswerther Zeitabschnitt eingetreten, indem damit der zwiefache Vortheil erreicht wird, erstens, dass es nun leichter möglich ist, wie früher, eine große Menge gleichguter Abdrücke herzustellen, und zweitens, dass die Möglichkeit gegeben ist, die bedeutenden auf den Stich der Platten verwendeten Kosten auf eine minder beschränkte Zahl von Abdrücken zu vertheilen, mithin die Preise zu ermäßigen, was denn nun auch für den Hand-Atlas mit Erscheinen der 1845 lieferungsweise ins Publikum gebrachten neuen Ausgabe Statt gehabt hat, indem die Preise der drei verschiedenen Ausgaben […] um ein Viertel gegenüber früher erniedrigt werden konnten, die Preise der einzelnen Karten sogar um ein Drittel.“7Perthes, Bericht zu Stieler’s Hand-Atlas, S. III–IV; Fünf Generationen, S. XVI.

Es spricht vieles dafür, dass Bernhardt Perthes der Motor dieser drucktechnischen Innovationen war. Nach dem Tod seines Vaters vergab er zunehmend Aufträge an den Gothaer Lithografen Carl Hellfahrt, so dass neben den mühevoll handkolorierten Kupferdrucken erstmals auch vielfarbige Steindrucke im Portfolio des Verlages erschienen. Vor allem aber stellte Hellfahrt die im billigen Verfahren der Autografie ausgeführten Karten der Geographischen Mitteilungen her. Zudem experimentierte Bernhardt Perthes mit der Chemitypie als Vervielfältigungsverfahren. Vergleichbar der Galvanischen Anstalt von Michaelis entstand vor 1855 bei dem Gothaer Kupferstecher Wilhelm Behrens eine Chemietypische Anstalt, in der das Verfahren an Auflagen von Emil von Sydows Schulatlas erprobt wurde, aber scheiterte.

Um 1850 kam der Perthes Verlag an seine räumlichen Kapazitäten. Das ältere System aus dem eigenen Haus heraus zu verlegen, war veraltet. Wollte man mit Karten Gewinn machen, musste in eigenständige Verlagsgebäude investiert werden. Bernhardt Perthes tat es, in dem er 1856 außerhalb der familiären Wohnung in der damaligen Friedrichsallee (heute Justus-Perthes-Straße) ein Funktionsgebäude errichten ließ. Es vereinte Kontor, Redaktion und Büros für die Kartografen. Diese „Keimzelle des Verlages“8Fünf Generationen, S. XIV. ist infolge der Überbauungen des späten 19. Jahrhunderts im heutigen Perthes-Forum verborgen, aber an den Baufugen der Fassade und im Ahnensaal der Sammlung Perthes bis heute sichtbar (Abb. 2).

Abb. 2: Frontansicht des Verlagsgebäudes in der Friedrichsallee, Bauzeichnung, vor 1856,

Weichenstellungen für den Verlag

Erst der spätere Blick lässt die Bedeutung dieser in der Mitte des 19. Jahrhunderts für den Verlag getroffenen Entscheidungen erkennen. Bernhardt Perthes gewann mit Petermann einen hochtalentierten Wissenschaftler, der das internationale Profil des Verlages formte. Mit der Weiterentwicklung von grafischen Techniken tarierte er Qualitätsansprüche und marktwirtschaftliche Interessen sensibel aus. Nachhaltig investierte er in die Infrastruktur seines Unternehmens. All das macht Bernhardt Perthes zu einem zentralen Scharnier einer immer noch nicht geschriebenen Geschichte des Perthes Verlages. Offen dabei bleibt, ob eine Strategie oder eine „Naturkraft“ des Verlegers diese Entwicklungen bestimmten.

Abb. 3: Minna Perthes mit ihrem Sohn Bernhard und ihren Töchtern Marie, Gertrud und Elisabeth 1867

Nur mit seinem frühen Tod konnte Bernhardt Perthes nicht rechnen. Als er am 27. Oktober 1857 starb, schien er keinen Erben zu haben, weil familiären Erbregelungen entsprechend der Verlag immer nur an männliche Nachfahren übereignet werden konnte. So übernahmen für die nicht geschäftsfähige Witwe engste Verwandte und Vertraute die Weiterführung des Verlages – Rudolf Besser (1811–1883) und Adolf Müller (1820–1880), deren Wirken mit der Ära Petermann zusammenfällt.

Diese kritischste Phase in der Geschichte des Verlages hätte nach dem Tod dieser Geschäftsführer einen völlig anderen Verlauf nehmen können, wenn nicht Bernhardt Perthes I acht Monate nach seinem Tod ein Sohn geboren worden wäre (Abb. 3).

Bernhard Wilhelm Justus Perthes II (1858–1919) überstand anders als seine zwei älteren Brüder das Kindheitsalter, behütet durch die intensivste Fürsorge seiner Mutter Minna und seines Umfeldes. 1881, als altersbedingt bzw. infolge Todes die Geschäftsführer Besser und Müller ausschieden, übernahm er den Verlag. Vielfach knüpfte er an die Ideen seines Vaters an und führte den Verlag mit einer industrialisierten Kartenherstellung in die Moderne des 20. Jahrhunderts. Bernhard Perthes II sollte mit 38 Jahren der am längsten agierende Verleger des Perthes Verlages werden. Doch das sind andere Geschichten. Das Geschäft hatte jedoch, anders als Clemens Perthes 1857 befürchtete, seine Seele behalten.

Petra Weigel

Petra Weigel ist promovierte Historikerin und betreut seit 2008 die Sammlung Perthes der Forschungsbibliothek Gotha.

Abbildungsnachweis

  1. Bernhardt Wilhelm Perthes I, Fotografie, vor 1850, Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH Bildarchiv
  2. Frontansicht des Verlagsgebäudes in der Friedrichsallee, Bauzeichnung, vor 1856, Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH Bauakten 01
  3. Minna Perthes mit ihrem Sohn Bernhard und ihren Töchtern Marie (1849–1928), Gertrud (1851–1870) und Elisabeth (1855–?) 1867, Fotografie 1867, Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH Bildarchiv

Literatur

  • Heinz Bosse: Kartentechnik II: Vervielfältigungsverfahren. Gotha 1951.
  • Imre Josef Demhardt: Der Erde ein Gesicht geben. Petermanns Geographische Mitteilungen und die Entstehung der modernen Geographie in Deutschland. Gotha und Erfurt 2006.
  • Wilhelm Perthes: Vorwort zum Bericht zu Stielerʼs Hand-Atlas nebst ausführlichen Erläuterungen einzelner Karten. Gotha 1847.
  • Walter Schmidt-Ewald: Die Gothaer Perthes. Ein deutsches Buchhändler-Geschlecht. Gotha 1935.
  • Jan Smits: Petermannʼs maps. Carto-bibliography of the maps in Petermanns Geographische Mitteilungen 1855-1945. ʼt Goy-Houten 2004.
  • Petra Weigel: Die Kupferplatten der Sammlung Perthes, in: Steffen Siegel, Petra Weigel (Hrsg.): Die Werkstatt des Kartographen. München 2011, S. 205–228.
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