Das Paulus Kal-Fechtbuch der Forschungsbibliothek Gotha
Ein fürstliches Bilderbuch

/ Dezember 7, 2022

Abb. 1: Allegorische Fechtfigur mit Falkenkopf, Löwen auf der Brust und Hirschfüßen. FB Gotha, A 1021, Bl. 2r.

Nur von den wenigsten spätmittelalterlichen Fechtmeistern sind Zeugnisse ihrer Expertise überliefert, wurden doch in den seltensten Fällen Kampftechniken und -strategien zu Papier gebracht. Dennoch ließen einige namhafte Kampflehrer sogenannte „Fechtbücher“ erstellen. Vier solche Handschriften gehen auf den Fechtmeister Paulus Kal zurück, der von 1450 bis 1479 im Dienst des bairisch-pfälzischen Herzogs Ludwig IX. des Reichen stand und dann 1480 als Schirmmeister des Erzherzogs Sigmund von Österreich angestellt wurde. Das entsprechende Buch in der Forschungsbibliothek Gotha mit der Signatur Chart. B 1021 unterscheidet sich von den anderen drei Handschriften dadurch, dass es ein reiner Bilderband ist und dass es keine Darstellungen vom gerichtlichen Zweikampf und Bloßfechten mit Schwert und Buckler enthält. So ist zwar der Umriss eines Spruchbands bei der Darstellung einer allegorischen Fechtfigur nachgezeichnet (Abb. 1), doch fehlen der dazu gehörige Text sowie die erläuternden Kommentare zu den Kampfszenen. Was sagen diese Feststellungen über die Bedeutung und Verwendung dieses Buches aus? Ein Blick auf die Provenienzgeschichte des Bands gibt einige Hinweise.

Abb. 2: Signatur in der Privatbibliothek Herzog Johann Friedrichs II. (F 26). FB Gotha, A 1021, Vorderschnitt.

Die Signatur auf dem Vorderschnitt des Buches – F 26 – erlaubt es, den Band der Privatbibliothek Herzog Johann Friedrichs II. von Sachsen (1529–1595) eindeutig zuzuordnen (Abb. 2). Nach der auf dem Vorderdeckel geprägten Jahreszahl wurde die Handschrift 1542 gebunden. In diesem Jahr erreichte Johann Friedrich das Alter von 14 Jahren, in dem Adelssöhne die ritterlichen Künste lernten und teilweise erste Turniere bestritten. Das Buch war wahrscheinlich ein Geschenk seines gleichnamigen Vaters (1503–1554). Dementsprechend handelt es sich um ein kostbares Objekt mit 96 kolorierten Federzeichnungen. Dargestellt werden Kampf im Harnisch zu Pferd mit Lanzen und Schwertern (Abb. 3) und zu Fuß mit Luzerner Hämmern und Dolchen, Bloßfechten mit langen Schwertern, langen Messern und Dolchen sowie Ringtechniken. Als Geschenk für ein Mitglied des mitteldeutschen Hochadels fehlen bestimmte Szenen, die in den anderen Kal-Fechtbüchern vorkommen: das eher im Zivilbereich zu verortende Kämpfen mit Schwert und Buckler und der gerichtliche Zweikampf, der im mitteldeutschen Raum spätestens zum Ende des 13. Jahrhunderts hin ausgestorben war.

Abb. 3: Kampf im Harnisch zu Pferd mit Schwertern. FB Gotha, A 1021, Bl. 7v–8r.

Abb. 4: Wurftechnik. FB Gotha, A 1021, Bl. 60v.

In der Fechtbuchforschung wird rege darüber diskutiert, inwiefern solche Bücher als Anleitungen zu den Kampfkünsten dienten. Die Gothaer Handschrift zeigt sehr deutlich, dass diese mögliche Funktion nicht immer im Vordergrund stand. So wurde bei der Herstellung der Handschrift kein Wert darauf gelegt, auch die Texte der Vorlage abzuschreiben. Aber die Texte und Bilder in vielen spätmittelalterlichen Fechtbüchern reichten kaum aus, um diese Technik einer Person ohne Vorkenntnisse zu vermitteln. Dies gilt beispielsweise für eine Federzeichnung von Paulus Kal, der seinen Gegner auf dem Rücken trägt (Abb. 4). Es handelt sich hier um eine Wurftechnik, wobei nicht visuell vermittelt wird, wie Kal seinen Gegner in diese prekäre Lage gebracht hat und wie der Wurf vollendet wird. Solch fragmentarische Vermittlung von Bewegungsabfolgen konnte höchstens als Gedächtnisstütze dienen und niemals den Unterricht eines kompetenten Lehrers, den Johann Friedrich sicherlich hatte, ersetzen. So überwog die symbolische Bedeutung des Buches als Geschenk anlässlich des Erwachsenwerdens, wobei die attraktiven Illustrationen Lust zum Erlernen der Kampfkünste anregen konnten.

Daniel Gehrt

Daniel Gehrt ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften an der Forschungsbibliothek Gotha.

Literatur

  • Daniel Gehrt: Fecht-, Ring- und Turnierbücher in den Bibliotheken der Ernestiner, in: Uwe Israel und Christian Jaser (Hg.): Zweikämpfer. Fechtmeister – Kämpen – Samurai. Themenheft der Zeitschrift „Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung“ 19/2 (2014), S. 326–349, hier S. 342–346, 349–351.
  • Daniel Gehrt: Mit Schwert und Degen. Zweikampf in historischen Fechtbüchern. Gotha 2021, bes. S. 11, 14f., 22, 38f., 41, 61, 80, 85, 100 [Link zur Bestellseite]
  • Carsten und Julia Lorbeer und Andreas und Marita Meier: Die Handschriften Paulus Kals. [München] 2006.
  • Thomas Stangier: „Ich hab hertz als ein leb …“. Zweikampfrealität und Tugendideal in den Fechtbüchern Hans Talhoffers und Paul Kals, in: Franz Niehoff (Hg.): Ritterwelten im Spätmittelalter. Höfisch-ritterliche Kultur der Reichen Herzöge von Bayern-Landshut. Landshut 2009, S. 73–93.

Web

  • Digitale Ausstellung der Forschungsbibliothek Gotha „Mit Schwert und Degen. Zweikampf in historischen Fechtbüchern“, Gotha/Jena 2021: Link zur Ausstellung
  • Volldigitalisat des Fechtbuchs (Chart. B 1021): https://dhb.thulb.uni-jena.de/receive/ufb_cbu_00028236
  • Mehr zum gerichtlichen Zweikampf, der hier nur kurze Erwähnung fand, im Blog-Artikel „Wahrheitsfindung oder Faustrecht? Gerichtlicher Zweikampf im Gothaer Fechtbuch von Hans Talhoffer“: Link zum Blogbeitrag
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