Neues Fundstück: Der Atlas der Meteorologie – Hermann Berghaus und Julius von Hann
Zur Sammlung Perthes erscheinen im Blog regelmäßig kleinere Beiträge, in denen Forscher ihre besonderen Entdeckungen in der Sammlung vorstellen. Arne Menck, Student des Master-Studiengangs „Sammlungsbezogene Wissens- und Kulturgeschichte“ an der Universität Erfurt, gibt in diesem Fundstück Einblicke in den in der Sammlung Perthes bewahrten Arbeitsnachlass des Meteorologen Julius von Hann, den er während eines Praktikums an der Forschungsbibliothek Gotha erschlossen hat.
Der Atlas der Meteorologie – Hermann Berghaus und Julius von Hann
Als ich das erste Mal die Treppenstufen zur Sammlung Perthes hinaufging, stand ich wie gebannt vor einem vergrößerten Druck der Chart of the World, der die Wand zwischen erstem und zweitem Stock schmückt. Es ist die elfte Auflage von 1886. Der Kartograph Hermann Berghaus (1828-1890) war federführend an der Entwicklung dieser Meisterleistung beteiligt, die 1863 in erster Auflage veröffentlicht wurde.
Eine andere bemerkenswerte Veröffentlichung, mit der er sich in den 1880er Jahren befasste, ist die dritte Auflage von Berghaus‘ Physikalischem Atlas. Diese erschien 1886 bis 1892. Die Kartenblätter wurden dem Käufer ungebunden in Mappen zugeschickt. Beim Atlas der Meteorologie handelt es sich um Abteilung III. Die gebundene Ausgabe konnte als separater Einzelband erworben werden. Das gilt auch für die übrigen Abteilungen: Geologie, Hydrographie, Erdmagnetismus, Pflanzenverbreitung, Tierverbreitung und Völkerkunde. Das Konzept, sowohl physisch- als auch kulturgeographische Inhalte in einem Weltatlas darzustellen und dabei auf Einheitlichkeit zu achten, hat sich durchgesetzt und ist heute jedem geläufig. Hermann Berghaus übernahm neben der Abteilung Hydrographie die Karten anderer Abteilungen. Außerdem oblag ihm die Planung sowie die abschließende Redaktion (Anm. 1). Die Karten basierten auf Kupferstichen, die handkoloriert wurden. Das Illuminieren wurde in den Kolorieranstalten des Verlages Justus Perthes ausgeführt.
Hermann Berghaus, ab 1850 Mitarbeiter im Verlag, absolvierte seine Ausbildung zum Kartographen an der Geographischen Kunstschule seines Onkels Heinrich Berghaus (1797-1884) in Potsdam. Mit der dritten Auflage des Physikalischen Atlas führte er die Pionierarbeit seines Onkels weiter, der für die ersten beiden Auflagen dieses ersten thematischen Weltatlas zuständig gewesen war. Heinrich Berghaus hatte sich in diesem Zusammenhang bereits im Jahre 1829 an Wilhelm Perthes (1793-1853) gewandt. Die Idee ging jedoch auf Alexander von Humboldt (1769-1859) zurück, dessen Werk Kosmos die Karten im Physikalischen Atlas illustrieren sollten.
Die Neuausgabe stellte eine Herausforderung dar, begründet in der enormen Zunahme von Wissen in den Disziplinen der Naturwissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Für die einzelnen Abteilungen wurden Sachverständige hinzugezogen. Diese nutzten ihre Netzwerke, um an Datenmaterial zu gelangen, wobei auch die Geographische Anstalt Justus Perthes einen Knotenpunkt in der globalen wissenschaftlichen Kommunikation darstellte. Sie beschafften und erstellten Kartenvorlagen und unterstützten die Gothaer Kartographen mit ihrer Expertise. Für die Abteilung Meteorologie war dies der bedeutende Wissenschaftler Julius Ferdinand von Hann (1839-1921), einer der Begründer der modernen Meteorologie.
Er war Direktor der Kaiserlich-Königlichen Zentralanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus in Wien und hatte hervorragende internationale Kontakte, beispielsweise zu anderen meteorologischen Diensten. Aufgrund der Fortschritte in der Telegrafie konnten Informationen schnell weitergegeben werden. Selbstverständlich waren an den beteiligten Einrichtungen weitere Mitarbeiter in die Arbeit eingebunden. Hann nennt beispielsweise seinen Assistenten, Herrn Wařeka, in den Vorbemerkungen zum Atlas der Meteorologie (Anm. 2).
Die dazu im Arbeitsnachlass von Hermann Berghaus vorhandene Korrespondenz umfasst die Jahre 1882 bis 1887. Die Briefe und Postkarten stammen bis auf ein Briefmanuskript von Hann, allerdings hat Berghaus auf ihnen viele handschriftliche Notizen sowie Markierungen und Unterstreichungen hinterlassen. Auf Basis dieser Niederschriften werden einige inhaltliche Aspekte beleuchtet, um zu zeigen, wie aufwendig es war, zur damaligen Zeit solche Karten zu entwerfen, insbesondere wenn man sich nicht am gleichen Ort befand und die Arbeitsmaterialien, wie Karten- oder Koloriervorlagen, auf dem Postweg hin- und hergeschickt werden mussten.
Allgemein war das Quellenmaterial natürlich ein bestimmendes Thema. Hierbei wurden sowohl meteorologische Stationen als auch Fachpublikationen, veröffentlicht oder noch unveröffentlicht, genannt. Hann widmete sich bis 1883 ebenfalls seinem Handbuch der Klimatologie, das er in den Briefen häufig erwähnte. Es nahm ihn zwar zeitlich sehr in Anspruch, allerdings war dessen Ausarbeitung den Karten zuträglich (Anm. 3). Im Rahmen seiner klimatologischen Forschungen trug er dafür die weltweit verfügbaren meteorologischen Erhebungen zusammen, um die Datenreihen auszuwerten. Deshalb kann der Atlas der Meteorologie als eine „Ergänzung zu dieser Klimatologie“ betrachtet werden (Anm. 4). Ein Zitat vom 19. März 1887 verweist auf seine Passion und Arbeitsmoral:
Mir ist eigentlich jede Arbeit verbothen, ich soll nicht lesen oder schreiben. Wozu ist aber dann unsereiner noch auf der Welt! (Anm. 5)
Leider kam es aufgrund eines Augenleidens mehrmals zu Verzögerungen.
Nun werden zwei Textpassagen herausgegriffen, die dokumentieren, mit welchen Schwierigkeiten Hann hinsichtlich der Mittelwertberechnung für die Isothermen- und Isobarenkarten konfrontiert war. In einem Brief vom 10. November 1885 ging er auf die Frage ein, wie groß das Risiko war, dass eine Karte nicht richtig wäre, falls neu erscheinende Publikationen die Sinnhaftigkeit ihrer Veröffentlichung schmälerten:
Eine Karte muss einmal abgeschlossen werden […] es ist ganz unmöglich fortwährend zu ändern. Ich habe damals viele Temp[eratur-]Mittel neu gerechnet[,] jetzt ist allerdings wieder Material hinzugekommen – namentlich in Ost[-]AfrikaAsien. Vieles wäre neu gewesen damals – jetzt natürlich nicht mehr. Es wäre eine Sysh Sysiphus[-]Arbeit fortwährend neue Mittel zu rechnen, die alt werden bevor sie zur Publikation gelangen. Natürlich gilt dies nur von Ländern die keine regelmäs[s]igen Publikationen liefern oder wo neue Beob[achtungs-]Netze entstanden sind.
Ich rechne jetzt seit Monaten all meine freie Zeit neue Luftdruckmittel für die Isobaren namentl[ich] Australien, Westindien, Ost[-]Asien etc[.]. Es kann sehr leicht sein, dass, wenn ich fertig bin, eine neue Arbeit erscheint, die meine Mühe zum Theil vergeblich macht. (Anm. 6)
Die Verfügbarkeit von Daten meteorologischer Stationen beziehungsweise deren geographische Verteilung bereitete Probleme, wie Hann am 13. November 1884 aufzeigte:
Hiermit folgt eine Liste der mittleren Jahresminima der Temperatur in den östl[ichen] Vereinigten Staaten, so vollständig als ich sie herstellen konnte. Leider ist die Verthei[lung] der Stationen höchst ungleichmässig – im Osten vom Mississippi fehlen Daten fast ganz – (es ist nicht viel besser mit den Temp[eratur-]Mitteln selbst)[.]
Vielleicht liesse sich nach den Reports des [U.S.] Signal Service noch einiges nachbenennen – ich möchte aber zuerst Ihr Urtheil über die Verwendbarkeit dieser Daten abwarten. (Anm. 7)
Um die Komplexität der Unternehmung auch nur ansatzweise nachvollziehen zu können, folgt nun die Kopie eines Briefs vom 21. Oktober 1884 (Anm. 8), der unter anderem Einblicke in Ausführung, Kolorierung, Korrekturen und Quellenmaterial der Karten enthält:
Hann wandte sich hinsichtlich der Korrekturen an weitere Experten: Wladimir Köppen und Alexander von Danckelmann werden hier genannt. Hann hat ihnen „den Entwurf der Afrika[-]Isothermen“ zur Überprüfung nach Hamburg geschickt. Köppen (1846-1940), dessen Name noch heute wegen seiner im 20. Jahrhundert veröffentlichten Klimaklassifikation weltbekannt ist, war zu dieser Zeit Leiter des Seewetterdienstes an der Deutschen Seewarte. An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass er auch verantwortlich für den Entwurf der „Regenkarte der Erde – zeitliche Verteilung der Niederschläge“ (Nr. XII) im Atlas der Meteorologie war.
Die Korrekturen der Isothermenkarten hat Hann „mit Bleistift an[ge]deute[t]“. Doch inwiefern konnten solche Ausbesserungen generell anschaulich und nachvollziehbar durchgeführt werden? Bezüglich eigenhändiger Eintragungen brachte er im März 1883 zu Papier:
Ich gehe jetzt demnächst an das Eintragen der reducirten Mitteltemperaturen auf die Karten. Ich lasse mir zu diesem Zweck Pausen machen, auf welche ich, da sie die Ortsnamen durchlesen las[s]en, die Zahlen eintrage. Dies ist viel deutlicher, als sie in die schon mit Namen[,] Schrift u[nd] Terrain gefüllte Karte selbst einzuschreiben. (Anm. 9)
Allerdings wurden nicht alle Darstellungen „neu konstruiert“; es wurden bereits vorliegende Darstellungen, beispielsweise von Léon Philippe Teisserenc de Bort, Heinrich Wilhelm Dove und Heinrich von Wild hinsichtlich der Isanomalen, „mit kleinen Verbesserungen reproduziert“ (Anm. 10). Dove (1803-1879) war von 1849 bis 1879 Leiter des Königlich Preußischen Instituts für Meteorologie in Berlin und „gilt als der Begründer der Meteorologie als selbständige Wissenschaft“ (Anm. 11).
Ein handschriftlicher Entwurf, der von Hermann Berghaus von 1886 bis mindestens „März 1887“ verwendet wurde, bietet eine Übersicht über die zwölf Kartenblätter im Atlas der Meteorologie. Außerdem gibt die Tabellendarstellung Auskunft über die Anzahl der Schritte vom Entwurf bis zum fertigen Kupferstich.
Es handelt sich um eine Auflistung der Karten der ersten drei Abteilungen des Physikalischen Atlas. Auf der linken Seite sind sie nach ihrer Abfolge im Physikalischen Atlas und den einzelnen Abteilungen nummeriert. Auf der rechten Seite sind Spalten, in welchen durch einen Strich kenntlich gemacht wurde, ob lediglich ein „Entwurf“ oder ein „Umriß“ der jeweiligen Karten existierte, die „Zeichnung in Arbeit“, „stichfertig“ oder der „Stich fertig“ war.
Bei der Abteilung „III. Meteorologie“ wurden einzelne Titel leicht abgeändert beziehungsweise verkürzt notiert (Nr. VI, X und XII). Die Abstreichungen in der Spalte „Stich fertig“ wurden bei fast allen Karten durchgeführt, nur die Isobarenkarten (Nr. VI-VIII) waren zu diesem Zeitpunkt lediglich „stichfertig“. Das deckt sich mit der Korrespondenz. Die bevorstehende Veröffentlichung der Kartenblätter Nr. VII und VIII wurde im letzten datierten Brief, den Hann am 6. Mai 1887 an Berghaus geschrieben hat, angesprochen (Anm. 12).
Als Schlusswort noch ein Auszug aus den Vorbemerkungen des 1887 erschienenen Atlas der Meteorologie, in dem sich Hann zu seinen Vorlagen und der Zusammenarbeit mit Berghaus äußerte:
Es erübrigt mir schließlich die angenehme Pflicht, Herrn Prof. Dr. H[ermann] Berghaus meinen herzlichsten Dank auszusprechen für die grosse Mühe, die er aufgewendet hat, meinen in technischer Beziehung oft höchst unvollkommenen Vorlagen jene vollendete Form zu geben, durch welche alle Werke seiner Hand seit langer Zeit als unübertrefflich anerkannt sind. Ich habe meist als Vorlagen Spezialkarten in grossem Maßstabe geliefert, deren Reduktion und Zusammenpassen erst Prof. Dr. Berghaus vorzunehmen hatte; desgleichen sorgte er für das zweckmäßige Arrangement der vielen kleinen Darstellungen, worin er ja eine besondere Meisterschaft besitzt. (Anm. 13)
Autor: Arne Menck M.Sc., Student des Master-Studiengangs „Sammlungsbezogene Wissens- und Kulturgeschichte“ an der Universität Erfurt.
Anmerkungen:
Anm. 1: O.V.: Die neue Ausgabe von Berghaus‘ Physikalischem Atlas. In: Petermanns Geographische Mitteilungen 32 (1886), S. 321-322. Hier: S. 321.
Anm. 2: Berghaus, Hermann (Hrsg.): Atlas der Meteorologie (Berghaus‘ Physikalischer Atlas, Abteilung III), 12 kolorierte Karten in Kupferstich mit 61 Darstellungen, bearbeitet von Dr. Julius Hann, Gotha 1887, S. 12.
Anm. 3: Ebd., S. 4. Das Handbuch der Meteorologie erschien 1883.
Anm. 4: Hammerl, Christa: Die Geschichte der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, URL: https://austria-forum.org/af/AEIOU/Zentralanstalt_für_Meteorologie_und_Geodynamik%2C_ZAMG (Abrufdatum: 10.08.2017).
Anm. 5: Brief Julius von Hann an Hermann Berghaus, Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH MFV 19B/01, Bl. 134r, 19.03.1887.
Anm. 6: Ebd., Bl. 91v, 10.11.1885.
Anm. 7: Ebd., Bl. 55r-56r, 13.11.1884.
Anm. 8: Ebd., Bl. 44-45, 21.10.1884.
Anm. 9: Ebd., Bl. 15r, 22.03.1883.
Anm. 10: Berghaus, Hermann (Hrsg.): Atlas der Meteorologie (Berghaus‘ Physikalischer Atlas, Abteilung III), S. 4.
Anm. 11: https://www.hu-berlin.de/de/ueberblick/geschichte/rektoren/dove (Abrufdatum: 10.08.2017).
Anm. 12: Brief Julius von Hann an Hermann Berghaus, Forschungsbibliothek Gotha, SPA ARCH MFV 19B/01, Bl. 140r, 06.05.1887.
Anm. 13: Berghaus, Hermann (Hrsg.): Atlas der Meteorologie (Berghaus‘ Physikalischer Atlas, Abteilung III), S. 12.
Literatur:
Espenhorst, Jürgen: Andree, Stieler, Meyer & Co – Handatlanten des deutschen Sprachraums (1800 – 1945) nebst Vorläufern und Abkömmlingen im In- und Ausland, bibliographisches Handbuch, Schwerte 1994.
Espenhorst, Jürgen: Petermann’s Planet – A Guide to German Handatlases And Their Siblings Throughout the world 1850-1950, Vol. 1: The Great Handatlases, Schwerte 2003.
Güttler, Nils: Unsichtbare Hände: die Koloristinnen des Perthes Verlags und die Verwissenschaftlichung der Kartographie im 19. Jahrhundert, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Vol. 68 (2013), S. 133-153.
Güttler, Nils: Das Kosmoskop. Karten und ihre Benutzer in der Pflanzengeographie des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2014.
Siegel, Steffen, Weigel, Petra: Der „Mercatorgeist“ des 19. Jahrhunderts – Reflexionen der globalen Ordnung in Hermann Berghaus‘ „Chart of the World“ (1863-1924). In: Brakensiek, Stefan, Schneider, Ute (Hrsg.): Gerhard Mercator – Wissenschaft und Wissenstransfer, Darmstadt 2015, S. 197-230.
Weigel, Petra: Die Sammlung Perthes Gotha (= Patrimonia 254, herausgegeben von der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit der Universität Erfurt/Forschungsbibliothek Gotha), Gotha 2011.
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