Zur Hauptreisezeit . . . Vom Ertrag des Reisens

/ Juni 26, 2023

Heinrich Barths Reisen und Entdeckungen in Nord und Central-Afrika

Anspruchslos lege ich meinen Bericht dem Publikum vor, mir selbst bewusst, wie weit er hinter dem hehren Vorbilde zurückbleiben muss, welches der gegenwärtige Nestor der Wissenschaft, der Herr Baron von Humboldt, jedem Reisenden vorgesteckt hat.1Barth, Reisen, S. XVI.

Mit diesen Worten leitete Heinrich Barth sein opulentes Reisewerk ein, das eine der spektakulärsten Expeditionen Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieb. Im Auftrag der britischen Regierung reiste er ab 1849 zusammen mit James Richardson, Alfred Overweg und Eduard Vogel von Tripolis durch die Sahara zum Tschadsee und schließlich nach dem Tod seiner Gefährten allein weiter ins sagenumwobene Timbuktu. Nach fünfeinhalbjähriger Reise kehrte er nach gut 20.000 zurückgelegten Kilometern und mit unzähligen Notizen seiner Beobachtungen im Gepäck schließlich zurück nach Europa. Vom einzigen Überlebenden einer mit großer medialer Aufmerksamkeit verfolgten Expedition erwartete man nun die Abfassung des Reiseberichts. Schon zwei Monate nach seiner Heimkehr schloss Barth mit den Verlagshaus Justus Perthes in Gotha einen Vertrag über die Herausgabe der deutschen Originalausgabe seiner Reisen und Entdeckungen in Africa,2SPA ARCH MFV 012, Bl. 1. die nur kurz nach der englischen Ausgabe erscheinen sollten.

Noch im November begann er mit der Arbeit. In fünf dickleibigen Bänden lieferte Barth einen bis dato ungewöhnlichen Blick auf Afrika, bediente nicht die zeitgenössischen Stereotypen über einen geschichtslosen Kontinent, sondern zeigte seinem Publikum einen Erdteil mit Historie und Literarität. Seine Schilderungen konzentrierten sich auf genaue und differenzierte Beobachtung der durchreisten Regionen anstelle von abenteuerlichen Erzählungen, die nur hin und wieder am Rande auftauchen.

Abb. 1: Heinrich Barth, Einzug in Timbuktu (SPA 4° 00295 (04), Taf. 48.

Von Beginn an plante Barth die Ausstattung der Bände mit Illustrationen. Neben 153 kleineren Holzschnitten bereichern 60 ganzseitige Chromolithographien des Münchner Malers Johann Martin Bernatz, der Afrika aus eigener Anschauung kannte, die Bände. Bernatz setzte nach den Vorgaben Barths dessen detailgetreue aber mitunter etwas unbeholfene, vor Ort gefertigte Skizzen um. Dabei gestaltete er die afrikanische Landschaft nach den Prinzipien der europäischen Landschaftsmalerei und bediente so den romantischen Orientalismus seines Publikums. Zu den besten Illustrationen gehörte wohl der Einzug in Timbuktu (Abb. 1). Barth ist hier selbst in Szene gesetzt und reitet vor der Kulisse der Stadt mit wehendem weißem Mantel dem Begrüßungskommando entgegen.

Hingegen waren dem Fachpublikum die 16 beigefügten Karten weitaus wichtiger als die Abbildungen. Tatsächlich arbeitete Barth mit größter Akribie an seinen Kartenskizzen und Routenaufnahmen, deren Exaktheit seinen wissenschaftlichen Anspruch bekräftigen sollten. Seine Aufnahmen basierten dabei eher auf Beobachtung und gemessener Bewegung als auf systematischer Vermessung. Für die Verarbeitung und Umsetzung seines kartographischen Materials stand ihm August Petermann als Chefkartograph des Perthes Verlages zur Seite.

Trotz des großen Lobes über das opulente Werk sparten die zeitgenössischen Rezensenten nicht mit Kritik. Die ausladenden Exkurse, die langatmigen Schachtelsätze, der phantasielose Stil waren ihre Haupteinwände. So resümierte der Geograf Karl Andree:

Abb. 2: Vertrag zwischen Heinrich Barth und Bernhard Perthes (SPA ARCH MFV 012, Bl. 1r.

Es ist in der That allemal eine schwere Arbeit, Barths Schriften zu lesen. Für eine plastische Darstellung fehlte es ihm an der erforderlichen Sinnlichkeit; er beobachtete treu, verknüpfte verständig und klar das Nächste mit dem Nächsten und damit begnügte er sich. Philosophische Durchdringung, ästhetische Formgebung und das Zusammenfassen der Dinge in großem Styl, Eigenschaften also, welche Humboldt in so glänzender Weise bethätigte, fehlten ihm. Und so wird er allerdings von nur wenigen gelesen, aber die Männer der Wissenschaft können den vollen Werth dieses großen Reisenden und ausgezeichneten Gelehrten würdigen, und wir Deutschen dürfen stolz darauf sein, daß Heinrich Barth uns angehört!3Karl Andree, Dr. Heinrich Barth, in: Globus 9 (1866), S. 190.

Der Perthes Verlag war sich des verlegerischen Risikos wohl bewusst, als er Barth unter Vertrag nahm (Abb. 2), der durch seine Expedition international berühmt wurde. In Petermanns Mitteilungen der verlagseigenen Zeitschrift erschienen seit 1855 immer wieder Berichte zur Afrikareise Barths, mit denen die Leserschaft in Erwartung gehalten wurde. Als im Mai 1857 der erste Band der Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika veröffentlicht wurde, verkaufte sich nahezu die gesamte Startauflage von 1.500 Exemplaren in einem Monat. Auch die Folgebände, die zwischen Juli 1857 und Dezember 1858 auf den Markt kamen, erzielten ähnliche Verkaufszahlen.4SPA ARCH FFA VA 01, Bl. 5–7. Die Bände wurden in zweierlei Ausstattung angeboten: eine fünfbändige Oktavausgabe zu 30 Talern und die „Pracht-Ausgabe in Lexicon-Format“, gebunden in blauen Kaliko mit Goldprägung zu 60 Talern (Abb. 3).5Perthes 1859, S. 32. Damit zählte Barths Reisewerk zu den kostspieligeren Publikationen, war jedoch fraglos eine der bestverkauften monographischen Veröffentlichungen des Gothaer Verlages. Schon im Erscheinungsjahr erlebten die ersten beiden Bände eine zweite Auflage. 1859 erschien dann sogar eine zweibändige Ausgabe mit Auszügen aus dem Reisebericht, gedacht für ein breiteres Publikum.

Trotz der anfänglich guten Verkaufszahlen in Deutschland konnte sich Barths Reisewerk aufgrund dieser Mängel nicht gegen die Konkurrenz aus England durchsetzen und erschloss sich lange Zeit nur einem gelehrten Publikum.

Abb. 3: Heinrich Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Tagebuch seiner im Auftrag der Britischen Regierung unternommenen Reise, Gotha 1857–1858.

Das fünfbändige Werk brachte seinem Autor übrigens 3.500 Taler ein – ein horrender Betrag, wenn man bedenkt, dass der Chefkartograph August Petermann als bestbezahlter Mitarbeiter des Hauses zu jener Zeit ein Jahressalär von 1.000 Talern bezog. Hinzukamen dann noch weitere Zahlungen für die zweite und die gekürzte Ausgabe.

Barths Beispiel zeigt, dass neben dem wissenschaftlichen auch der monetäre Ertrag einer Expedition ein wesentliches Motiv des Forschers bildete, denn über die Herausgabe seines Erlebnisberichtes refinanzierte er zumeist seine Unternehmung. Ein gut verkaufter Reisebericht sicherte nicht nur öffentliche Aufmerksamkeit und wissenschaftliche Reputation, sondern auch finanzielles Auskommen.

Sven Ballenthin

Sven Ballenthin betreut als Historiker das Archiv der Sammlung Perthes.

Literatur

  • Karl Andree, Dr. Heinrich Barth, in: Globus 9 (1866), S. 188–190.
  • Heinrich Barth, Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855. Tagebuch seiner im Auftrag der Britischen Regierung unternommenen Reise, Gotha 1857–1858.
  • Imre Josef Demhardt, Aufbruch ins Unbekannte. Legendäre Forschungsreisen von Humboldt bis Hedin, Darmstadt 2011.
  • Christoph Marx, Von Berlin nach Timbuktu. Der Afrikaforscher Heinrich Barth, Göttingen 2021.
  • Achim von Oppen, The painting and the pen. Approaches to Heinrich Barth and his African heritage, in: Mamadou Diawara/Paulo Fernando de Moraes Farias/Gerd Spittler (Hgg.), Heinrich Barth et l’Afrique. Köln 2006, S. 105–132.
  • Verlag von Justus Perthes in Gotha, Ostermesse 1859. Gotha 1859.
  • Bernd Wiese, WeltAnsichten. Illustrationen von Forschungsreisen deutscher Geographen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Graphik, Malerei, Photographie. Die Wirklichkeit der Illustration, Köln 2011.
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