Fundstück: Briefgedicht für Melanchthon

/ Juli 8, 2014

csm_Gedicht_Clajus_Melanchthon_Ilf_8_II_02931_Titelblatt_f529930b90csm_Gedicht_Clajus_Melanchthon_Ilf_8_II_02931_3r_0abd327b35csm_Gedicht_Clajus_Melanchthon_Ilf_8_02931_4r_01_43bf06627ccsm_Gedicht_Clajus_Melanchthon_Ilf_8_II_02931_3v_081fd784e2
Gedrucktes griechisches Briefgedicht von Clajus: „An Philipp Melanchthon auf seiner Heimkehr von Worms“. FBG, Ilf II 8° 2931, Bl. P3r-4r. © Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt.

Die Forschungsbibliothek Gotha hat bei der Erschließung des Nachlasses des Wittenberger Theologen Paul Eber (1511-1569) in ihrem Besitz ein bisher unbekanntes gedrucktes griechisches Briefgedicht aus der Feder des Pädagogen, Theologen und Grammatikers Johannes Clajus (1535-1592) an den Reformator Philipp Melanchthon (1497-1560) entdeckt. Der Brief, von dem offensichtlich keine handschriftliche Überlieferung existiert, ist das dritte von insgesamt vierzehn Briefgedichten an bedeutende Vertreter des schlesischen und mitteldeutschen Protestantismus, darunter eben Paul Eber und der Leipziger Griechisch-Professor Joachim Camerarius (1500-1574), die Clajus 1570, zehn Jahre nach Melanchthons Tod, neben weiteren griechischen Gedichten in Wittenberg drucken ließ.
Da dieser Druck sich weltweit nur in fünf Exemplaren nachweisen lässt, von denen sich eines heute in der Forschungsbibliothek Gotha befindet, blieb das Gedicht der Melanchthon-Forschung bisher verborgen. Clajus nimmt darin auf Melanchthons kürzlich verstorbene Ehefrau Katharina und dessen Rückkehr vom Wormser Religionsgespräch, einem erfolglosen interkonfessionellen Einigungsversuch, Bezug, so dass als Abfassungszeit der Dezember 1557 anzusetzen ist.
Mit der Veröffentlichung warb Clajus bei Kurfürst August um finanzielle Unterstützung für sein theologisches Studium in Wittenberg, das ihm den Weg zu einer Pfarrstelle ebnen sollte. Die Briefe wiesen ihn als Kenner des Griechischen aus, neben Hebräisch und Latein eine der drei „heiligen Sprachen“, und unterstrichen zugleich seine guten Kontakte ins sächsische Bildungswesen. Damit ist Clajus‘ Werk Ausdruck einer im frühneuzeitlichen Bildungsbetrieb weit verbreiteten Praxis, in dem die Empfehlung durch eine bekannte Persönlichkeit oft zur erwünschten Anstellung verhalf. Die Rechnung ging auf. Nach Abschluss seines Studiums konnte Clajus bald die lang ersehnte Pfarrstelle im nordthüringischen Bendeleben antreten, wo er bis zu seinem Lebensende wirkte und unter anderem eine der ersten Grammatiken der deutschen Sprache veröffentlichte.
Neben dem Clajus-Gedicht besitzt die Forschungsbibliothek Gotha einen beachtlichen Teil der überlieferten Korrespondenz Melanchthons in zeitgenössischen Abschriften und Autographen. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkannte der Gothaer Generalsuperintendent Carl August Bretschneider die Bedeutung der damals noch Herzoglichen Bibliothek für die Melanchthon-Überlieferung, als er mit den Arbeiten an der ersten modernen Gesamtausgabe der Briefe des Reformators begann. Der Nachlass Paul Ebers, der nach Melanchthons Tod im Jahre 1560 zur führenden Figur an der Leucorea wurde, spielt hierbei eine besondere Rolle, handelt es sich doch um den einzigen geschlossen überlieferten Quellenfundus eines Wittenberger Reformators.
(Text: Philipp Knüpffer, Paul A. Neuendorf)

Share this Post