Historia magistra Principum: Das Schulheft zur Universalgeschichte Friedrichs II. von Sachsen

/ Oktober 13, 2016

Friedrich II. (1676-1732), der spätere Herzog von Sachsen Gotha und Altenburg, war vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, als sein Lehrer ihn die Grundlagen der Universalgeschichte in ein kleines Taschenbüchlein im Oktavformat eintragen ließ, dessen braunen Ledereinband in goldenen Lettern die Inschrift „Historica FHZS [= Friedrich Herzog zu Sachsen] 1691“ ziert. Dass es sich tatsächlich um das Schulheft des Prinzen handelt, und nicht etwa um eine Arbeit seines gleichnamigen Vaters Friedrich I. (1646-1691), legen verschiedene Indizien nahe. Zum einen entspricht die sprachlich stark vereinfachte und leicht fehlerhafte Darstellung der allerersten Grundlagen der Universalgeschichte ungefähr dem, was von einem jugendlichen Anfänger in diesem Fach zu jener Zeit zu erwarten ist, zum anderen war es nicht ungewöhnlich, auch die Söhne von regierenden Herzögen bereits mit deren Titel anzureden. In der Mitte des Buches liegt außerdem noch ein Zettel, auf dem in verschmierter Kinderhandschrift die Worte „Fridericus Dux“ zu lesen sind.

 

Erziehung am Gothaer Hof

Die Ausbildung des gothaischen Erbprinzen begann im Alter von sieben Jahren. (1) Zum Hofmeister bestimmte sein Vater den Geheimrat Ludwig Christian von Schönberg (1651-1699); den eigentlichen Unterricht erteilten u.a. verschiedene hochrangige Hofbedienstete: Die Hofprediger Heinrich Fergen (1643-1708) und Gottfried Rosenthal (1644-1711) gaben Religion, Mathematik der Hof- und Kammerrat Künhold (1639-1709), Französisch der Sprachmeister du Prat (2), Jura Georg Andreas Mancinus (1639-1708). Für den Latein- und Geschichtsunterricht, aus dem das Prinzenschulheft hervorgegangen ist, war als Informator Justinus Kirsten (1643-1702) zuständig, den wahrscheinlich sein früherer Zögling Friedrich August von Sachsen-Eisenach (1663-1684) nach Gotha vermittelt hatte. (3) Am Gymnasium in Gotha und an der Universität Kiel ausgebildet, wo unter anderem Samuel Reyher (1635-1714) zu seinen Professoren gehörte, hatte Kirsten in der Folgezeit bereits langjährige Erfahrung als Lehrer junger Adeliger und deren Begleiter auf Kavalierstouren durch ganz Europa sammeln können, bevor er 1680 die Anstellung am Gothaer Hof erhielt. Die Tatsache, dass Kirsten nicht eigentlich Historiker war, sondern eher der Mathematik zuneigte, zeigt, wie wenig spezialisiert das höfische Unterrichtswesen der Zeit noch war.

 

Zum Inhalt des Schulheftes

Auf den ersten Seiten des in einem Frage-Antwort Schema ausgeführten lateinischen Textes werden zunächst die Grundlagen der Universalgeschichte erörtert, indem die Historie als Erzählung geschehener Dinge und ihrer Gründe definiert wird. Die Geschichte sei den Menschen aller Stände nützlich, vor allem aber den Regenten; sie gleiche einem Spiegel und die Herrscher könnten aus ihr lernen, was es nachzuahmen (ut imitentur) und was zu vermeiden (ut evitant) gelte. Es folgt ein kurzer Abriss der ersten drei von vier in der Bibel prophezeiten Weltmonarchien, beginnend mit der ersten Monarchie der Babylonier bzw. Assyrer, die von der Monarchie der Perser abgelöst wird. Den Persern wiederum folgt das Alexanderreich mit seinen Nachfolgestaaten, den Diadochenreichen, nach. Die Darstellung endet mit dem Sieg des Augustus in Ägypten, der die letzte Ptolemäerherrscherin Kleopatra in den Selbstmord getrieben haben soll.

Nach mehreren Leerseiten erscheint im Buch ferner eine Liste römischer und byzantinischer Kaiser samt den ihnen zugeschriebenen „Wahlsprüchen“ (Symbola heroica). So soll Vespasian zum Motto gehabt haben Lucri odor bonus ex re qvalibet (= Der Geruch des Profites – egal aus welcher Sache – ist immer gut). Aus zwei Gründen kam solchen Kaiserreihen eine große Bedeutung in der damaligen Adelspädagogik zu: Erstens sahen sich die regierenden Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation immer noch als legitime Nachfolger der römischen Imperatoren. Zweitens galten die moralischen Ansichten und die Schicksale der Letzteren als anregendes Lehrmittel zur Reflektion von Herrschertugenden. Auf einem beiliegenden Zettel in seinem Schulheft führte Prinz Friedrich außerdem noch chronologische Berechnungen durch, mit denen er verschiedene Stile der Zeitrechnung, nämlich die griechischen Olympiaden, das römische ab urbe condita und das christliche anno mundi miteinander abglich.

 

Aus der Schulstube in die große Politik

Noch bevor Friedrich seinen ersten allgemeinen Durchlauf durch die Weltgeschichte absolvieren konnte, zerrten ihn die Ereignisse der Zeitgeschichte aus dem geschützten Raum seiner Jugenderziehung direkt auf das politische Parkett. Noch 1691, dem Jahr der Entstehung des Schulheftes, stirbt sein Vater Friedrich I.; im Jahr darauf schicken ihn seine beiden als Vormunde fungierenden Onkel Heinrich von Sachsen-Römhild (1650-1710) und Bernhard von Sachsen-Meiningen (1649-1706) auf Kavalierstour in die Niederlande und nach England, wo er bereits diplomatische Funktionen zu erfüllen hat. (4). Lehrer Kirsten begleitet ihn, auch weiterhin Geschichtsunterricht erteilend, auf dieser Tour. Bei Friedrichs Rückkehr im August 1693 erklärt Kaiser Leopold I. (1640-1705) den erst siebzehnjährigen Ernestinerprinzen für volljährig und regierungsfähig. Aufgrund der so entstandenen neuen Herausforderungen kam Friedrich II. wohl nicht mehr dazu sein Schulheft zur Universalgeschichte weiterzuführen.

 

(Text: Jens Nagel)

Literatur

Quellen und Literatur

Das gesamte Heft findet sich hier

  1. Alle folgenden Informationen zur Ausbildung Friedrichs II. aus: Christian Ferdinand Schulze: Leben des Herzogs von Sachsen=Gotha und Altenburg Friedrich II. Ein Beitrag zur Geschichte Gothas beim Wechsel des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Gotha 1851. S. 8-19.
  2. Lebensdaten nicht auffindbar.
  3. Alle Informationen zur Biographie Justinus Kirstens aus.: Eva Bender: Justinus Kirsten (1643-1702). Ein Thüringer Gelehrter zwischen Karriere und Heimat, in: Leben in Leichenpredigten 11/2011, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Onlineausgabe. [Abrufdatum: 18.11.2015].
  4. Vgl. Schulze, S.12-13.

 

 

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