Neues Fundstück: Emil Bretschneider entdeckt die Romagna Chinas
Zur Sammlung Perthes erscheinen im Blog regelmäßig kleinere Beiträge, in denen Forscher ihre besonderen Entdeckungen in der Sammlung vorstellen.
Emil Bretschneider und die chinesische Romagna
„Seit der Zeit, wo Peking die Residenz der Chinesischen Kaiser geworden, haben diese hier ihre Luftschlösser angelegt und vaste Klöster erbauen lassen und mit jenem architektonischen Luxus ausgestattet, vor welchem selbst unsere durch Kunstgenuss verwöhnten westlichen Reisenden mit Bewunderung stehen bleiben. Doch viele der alten kostbaren Baudenkmäler auf diesem klassischen Boden, auf dieser Chinesischen Romagna liegen gegenwärtig nur als malerische Ruinen umher und nur wenige der einst so prachtvollen Klöster werden gegenwärtig noch in gutem Zustande erhalten.“ (Anm. 1)
Diese Textpassage stammt aus einer geographischen Abhandlung, die der Asien- und insbesondere China-Forscher Emil Bretschneider (1833–1901) im Januar 1875 samt einem Konvolut mit Forschungsergebnissen an den Kartographen August Petermann nach Gotha sandte; verbunden mit der Bitte, diese nach Möglichkeit in den von Petermann herausgegebenen „Mitteilungen aus Justus Perthes‘ Geographischer Anstalt“ zu veröffentlichen. Gegenstand der den Manuskripten vorangegangenen Untersuchungen Bretschneiders waren Stadt und Umland Pekings sowie die angrenzenden Gebirge. In seiner Studie berichtete er nicht nur über Oro- und Hydrografie der Pekinger Ebene, sondern auch über Hinterlassenschaften menschlicher Siedlung und Kultur und lieferte so eine detaillierte Beschreibung der dortigen Kulturlandschaft, die ihn mit ihren malerischen Bauruinen an die historische Landschaft der norditalienischen Romagna erinnerten.
Ein Ergebnis von Bretschneiders Forschungen ist eine Karte der untersuchten Region, zu der drei handgezeichnete Teilskizzen gehören, von denen heute nur noch eine im Gothaer Arbeitsnachlass des Sinologen erhalten ist. Diese zeigt eine schematische Darstellung der Stadt Peking und Teile ihres nordöstlichen Umlands entlang des vierzigsten Breitengrades und zwischen 116° 10 und 30 Minuten östliche Länge. Eingezeichnet sind neben Flüssen, Seen und Bergen die zahlreichen kleinen Ortschaften, Klöster und Parkanlagen, die die chinesische Hauptstadt umgeben und in Bretschneiders Abhandlung wortgewaltig beschrieben werden. Auch das Innere Pekings ist verzeichnet. Auffällig ist dabei, dass keine Straßen zu sehen sind. Vielmehr wurde die Hauptstadt auf die Stadtmauern und einige wenige Gebäude reduziert. So sind unter anderem die kaiserlichen Paläste sowie die Hotels europäischer Gesandtschaften zu erkennen.
Eine dieser Gesandtschaften ist die des Russischen Reichs, in der Bretschneider ab 1866 als Gesandtschaftsarzt arbeitete. Der Baltendeutsche stammte aus Riga und absolvierte sein Medizinstudium unter anderem in Berlin und Paris. Ab 1878 bereiste er die Mongolei, wo er sich vorwiegend auf botanische Studien konzentrierte. Auch beschäftigte er sich intensiv mit der Strukturierung und Erweiterung von Forschungen, die europäische Reisende seit dem Mittelalter in Nordchina und der Mongolei unternommen haben. Sein bedeutendstes Werk ist eine Karte ganz Chinas, die er zur Illustration seiner Untersuchungen anfertigt und welche die bis dahin detaillierteste Karte Chinas europäischen Ursprungs darstellt (Anm. 2).August Petermann entsprach schließlich der Bitte Bretschneiders, so dass „Die Pekinger Ebene und das benachbarte Gebirgsland“ im darauffolgenden Jahr in Petermanns „Geographischen Mitteilungen erschien. Zudem fanden weitere Forschungsarbeiten Bretschneiders in den „Mitteilungen“ Erwähnung. Auch bestand mit deren Redaktion bis zum Tode Bretschneiders eine rege Korrespondenz, die im Archiv der Sammlung Perthes erhalten ist.
Anm. 1: Emil Bretschneider, Die Pekinger Ebene und das benachbarte Gebirgsland, in: Mittheilungen aus Justus‘ Perthes Geographischer Anstalt über wichtige neue Forschungen auf dem Gesammtgebiete der Geographie von Dr. A. Petermann, Ergänzungsheft Nr. 46 (1876), S.16.
Anm. 2: Art. „Bretschneider“, in: Dietmar Henze, Enzyklopädie der Entdecker und Forscher der Erde. Band 1, Neuausgabe der Ausgabe Graz 1978, Darmstadt 2011, S. 352.
Autor: Luca Pabst, derzeit Bachelorstudent der Geschichtswissenschaften / Nebenfach Chinastudien an der Freien Universität Berlin