Augenzeugenbericht der Luthersache auf dem Reichstag zu Worms 1521

/ April 18, 2021

Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 29

Der Prozess gegen Martin Luther (1483–1546) auf dem Reichstag zu Worms erreichte seinen Höhepunkt am 18. April 1521 mit einer Stellungnahme des umstrittenen Wittenberger Theologieprofessors zu dessen kirchenkritischen Schriften. Sie endete mit den berühmt gewordenen Worten:

„Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, dass sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“1Dt. Reichstagsakten, Jüngere Reihe, Bd. 2, Nr. 80, S. 581f.

Abb. 1: Luther auf dem Reichstag zu Worms, 1521, mit den nicht verbürgten Worten: „Hie stehe ich, Ich kan nicht anders, Got, helffe mir Amen.“

Seit dem 17. Jahrhundert wird in dieser Rede ein historischer Meilenstein auf dem Weg zur Selbstverständigung von Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gesehen. Dennoch lag Luthers Verständnis von der „Freiheit eines Christenmenschen“ fernab von modernen Vorstellungen, die auch die Autonomie des Individuums und gegenseitige Toleranz fordern.

Die Forschungsbibliothek Gotha bewahrt in ihren umfassenden Druck- und Handschriftensammlungen zur Reformation in Europa den nur handschriftlich überlieferten Bericht eines Augenzeugen über die Verhandlungen mit Luther vor 500 Jahren in Worms. Er stammt von Georg Spalatin (1484–1545) und bildet einen Teil der Annalen, die dieser Humanist und Theologe in seinen letzten Lebensjahren als Hofhistoriograph der sächsischen Kurfürsten verfasste (Chart. A 340). Spalatin war 1521 Geheimsekretär Kurfürst Friedrichs III., genannt des Weisen (1463–1525). In dieser Kompetenz war er von Anfang an in den Verhandlungen über den Häresieprozess der römischen Kirche gegen Luther eng einbezogen. Er und andere vertraute Berater begleiteten den Kurfürsten auf dem Reichstag, wo Luthers Fall, der Kirche und Gesellschaft reichsweit spaltete, endgültig geklärt werden sollte.

Als Spalatin die Ereignisse 20 Jahre später in seinen Annalen niederschrieb, schilderte er einen Großteil aus eigenen Erinnerungen. Das, was er zu diesem Fall schrieb, steht in Übereinstimmung mit den Akten, die wohl der Wittenberger Probst Justus Jonas (1493–1555) zeitnah anonym herausgegeben hatte. Die offiziellen Reden werden bei Spalatin aber sehr kurz zusammengefasst. Im Unterschied zu Jonas, der ebenfalls auf dem Reichstag war, schrieb Spalatin erzählerisch in der ersten Person. Zudem ließ er Worte von Luther, Friedrich dem Weisen, dem Erzbischof von Trier und anderen, die er in Worms gehört hatte, einfließen. Dadurch gewinnt der Bericht an Lebendigkeit und erweckt den Eindruck der Authentizität.

Die von Spalatin angeführten mündlichen Reden schreiben Luther stets unerschrockenen Bekennermut zu und dienen somit dazu, den Reformator zu heroisieren. Eingangs teilt er zum Beispiel Luthers Reaktion auf die Warnung vor der Reise nach Worms mit, wo Kaiser Karl V. (1500–1558) die Bücher des Wittenberger Theologen hatte verbrennen lassen: „Er wolte gin Wurmbs, wenn gleich souil Teufel drynnen weren als vm[m]er Zciegel da weren.“ (Bl. 25r)

Abb. 2: Von Georg Spalatin eigenhändig geschriebene Annalen.

In Worms erhielt Luther keine Gelegenheit, über seine Bücher zu disputieren. Vielmehr wurde er schlichtweg aufgefordert, diese zu widerrufen. Luther bat um Bedenkzeit. Im Unterschied zu Jonas gibt Spalatin diese Rede von Luther nicht ausführlich wieder, führt aber dafür den in der gedruckten Aktenausgabe fehlenden Verweis auf Lk 9,26 an, den Luther gemacht haben soll: „Den[n] Christus hett ie selbs gesagt[,] wer sich meiner schemet, vor den menschen, dess will ich mich auch schemen vor Gott[,] mein einen vatter vnd allen seinen Engeln vnd Heilligen[n]“ (Bl. 26r). Am nächsten Tag, dem 18. April, widerrief Luther nicht. Spalatin führt auch diese Rede nicht an. Er schreibt aber, dass Luther anschließend „mutig, getrost vnd frolig in[n] den Herrn“ in seine Herberge gegangen sei und Anwesenden dort erklärt habe: „Wen[n] er Tausent Kopf hett[,] so wolt er sie ihm ehr alle lassen abhawen den[n] ein widerspruch thun“ (Bl. 26v). Voller Zuversicht klingen auch weitere Worte Luthers, die ausschließlich in Spalatins Darstellung zu finden sind, wie etwa: „Jst mein sache nicht auß Gott, so wirt sie vber zwey oder drey Jar nicht weren, Jst sie aber aus Gott[,] so wirdet man[n] sie nicht konnen dempfen[n]“ (Bl. 28r), oder „Wie ihm Daniel die drey Jüdische menner sagten, Gott kan vns wol helffen vnd erretten[,] so er will, So er aber nicht will[,] so sollen Könyg wissen[,] das wir dennoch dein gulden leibzceichen nicht wollen anbet[en]“ (Bl. 27v).

In den Zitaten berief sich Luther wiederholt auf die göttliche Ordnung, die eine viel höhere Instanz darstelle, als die weltliche Ordnung. Das letzte Zitat lässt auch Kritik am Kaiser durchklingen. Diese Auswahl von Zitaten entspricht der Intention von Spalatins Annalen. Kurfürst Johann Friedrich I. von Sachsen (1503–1554) gab das Werk in den frühen 1540er Jahren als Geschichte des Schmalkaldischen Bundes in Auftrag, um die Machtpolitik dieses Verteidigungsbündnisses protestantischer Fürsten und Städte gegen die Religionspolitik des Kaisers zu legitimieren. Spalatins Werk blieb jedoch unvollendet. Wenige Monate nach seinem Tod im Januar 1545 übernahm der Jurist und Diplomat Johannes Sleidanus (1506–1556) das Projekt. Spalatins Annalen wurden erst bekannt, nachdem Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692) sie als Quellenmaterial für seine 1688 erschienene Geschichte des Luthertums verwendet und Ernst Salomon Cyprian sie 1718 anlässlich des 200. Reformationsjubiläums herausgegeben hatte.

Verfasser: Dr. Daniel Gehrt, 18.04.2021

Gedruckte Quellen:
Acta Et Res Gestae, D. Martini Lvtheri, in Comitijs Principu[m] Vuormaciae, Anno M D XXI., hrsg. von [Justus Jonas]. Straßburg: Johann Schott, 1521 (VD16 ZV 62).
Georgii Spalatini Annales Reformationis Oder Jahr-Bücher von der Reformation Lvtheri, aus dessen Avtographo ans Licht gestellet von Ernst Salomon Cyprian, D. Leipzig 1718, S. 38–50.
Historien/ wie es Doct. Martin Luther auff dem Reichstage zu Wormbs Anno 1521. ergangen sey/ von jme selbs zu Eisleben vber Tisch erzelet/ Anno 1546. nur etzliche Tage für seinem abschiede aus diesem Leben, in: Martin Luther: Der Erste Theil Der Bücher/ Schrifften/ vnd Predigten des Ehrwirdigen Herrn/ D. Martin Luthers deren viel weder in den Wittenbergischen noch Jhenischen Tomis zufinden … jtzt nach ordenung der Jarzal/ als vom M.D.XVI. bis in das M.D.XXIX. jar … zusamen getragen, [hrsg. von Joannes Aurifaber], Eisleben: Urban Gaubisch, 1564 (VD16 L 3357), Bl. 38r–42r.

Sekundärliteratur:
Daniel Gehrt: Ernst Salomon Cyprian und die Erinnerungspolitik Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg im Rahmen des Reformationsjubiläums 1717, in: Kathrin Paasch, Christopher Spehr und Siegrid Westphal unter Mitwirkung von Sascha Salatowsky (Hrsg.): Reformatio et memoria. Protestantische Erinnerungsräume und Erinnerungsstrategien in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2020, S. 117–154, hier bes. S. 121.
Daniel Gehrt: Georg Spalatin als Historiograph der Reformation, in: Armin Kohnle, Christina Meckelnborg und Uwe Schirmer (Hrsg.): Georg Spalatin. Steuermann der Reformation. Halle 2014, S. 126–136.

Web:
Kalliope-Portal: https://kalliope-verbund.info (letzter Zugriff: 18.04.2021).
Georg Spalatin: Annalen der Wittenberger Reformation, [ca. 1540–1543] (letzter Zugriff: 18.04.2021): https://dhb.thulb.uni-jena.de/receive/ufb_cbu_00015581

Abbildungen:
Abb. 1: Ludwig Rabus: Historien. Der Heyligen Außerwoelten Gottes Zeügen, Bekennern, und Martyrern, so vor, unn zu disen unsern letsten zeitten, darinnen der Allmechtig Ewig Gott seine Kirchen mit der reynen Lehre seines Gnadreychen Evangeliums Vaetterlichen heymgesucht hat, hin unn wider in allen Landen worden seind. Straßburg 1557. FB Gotha, Theol 4° 284/1 (4), Bl. LXXv.
Abb. 2: Von Georg Spalatin eigenhändig geschriebene Annalen. FB Gotha, Chart. A 340, Bl. 25r. = https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/ufb_derivate_00014018/Chart-A-00340_0055.tif

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