Friedrichs Lächeln
An einem Septembertag des Jahres 1684 sitzt Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg, achtunddreißigjährig, Territorialfürst eines kleinen Landes mit großen Ambitionen, in seinem Jagdschloss Hummelshain.1Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg: Tagebücher, Bd. 2, S. 337: 26. September 1684. Seit schon fast vier Wochen macht er Ferien bei seinem Bruder Christian und läßt es sich gut gehen: Es wird gespielt, auf die Jagd gegangen, viel getrunken, und abends sieht man sich im Eisenberger Schloss Theaterstücke an, unter anderem ein Possenspiel „Vom Goldmacher“.2Ebd., S. 335: 5. September 1684. Da lachen die Brüder besonders, denn die Vormittage bringen sie oft in Christians Alchemie-Labor zu, zumindest wenn Friedrich nichts zu „expediren“, also zu erledigen hat, denn die Gothaer Regierungsgeschäfte holen ihn auch hier ein, in Gestalt von Kanzler Bachov von Echt oder anderen Geheimräten, die vorbeikommen und ihm Unterschriften abverlangen.3Zu Friedrichs alchemischer Korrespondenz mit seinem Bruder Christian vgl. LA Thüringen – StA Gotha, Geheimes Archiv, E XI Nr. 73 (g), 73* und 73*** (5). Im September 1784 war Friedrich in enger Korrespondenz mit seinem sich in Holland befindlichen alchemischen Agenten Vieroth, durch die er sich viel Hoffnung auf gelungene Transmutationen machte. Vgl. die Briefe in Nr. 73 (a). Außerdem hatte sich Friedrich am Tag zuvor, am 25.9., gerade mit Johann Elias Rothmaler, Hofprediger in Rudolstadt mit alchemistischen Interessen, getroffen. Vgl. die Korrespondenzen und Rezepte in Nr. 73 (f) und 73*. Der September ist verregnet, aber Friedrich reitet trotzdem durch die ausgedehnten Wälder östlich der Saale und erlegt einen Hirsch nach dem anderen. An diesem Tag, den 26., ist monatlicher Bußtag, daher bleibt er im Schloss.
Er gibt sich seinen Träumereien hin und setzt sie, wie er es gern tut, wenn er sich orientieren will, in konkrete Zahlen um. In einem kleinen Notizheft legt er nieder, was er machen würde, wenn die alchemischen Transmutationen, die er anstellt, ihn um 11 Millionen Taler reicher machen würden.4LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv, E XI Nr. 98. Vgl. Mulsow: Ökonomie des Wissens. Ganz zu Anfang bedenkt Friedrich die Kirche – es ist ja Bußtag –, die Schulen und die Armen und weist ihnen Summen zu, etwa 5.688 Taler für eine Stiftung „Zur Milden Cassa“, 3.500 für Stipendien in Gotha, oder 180.000 für Exulanten und Conversos. Höher werden die Summen, wenn es darum geht, die Brüder auszuzahlen, denen der Herzog noch etwas schuldet, denn es gibt ja diese unschönen Erbstreitigkeiten („169587. Thaler [für] Bruder Christian [von Sachsen-Eisenberg], 183750 Thl. Bruder Ernsten [von Sachsen-Hildburghausen], 121450 Thl Bruder Johan Ernsten [von Sachsen-Saalfeld]“ usw.).5Zu den Erbstreitigkeiten vgl. Siegrid Westphal: Kaiserliche Rechtsprechung. Sehr hoch werden sie, wenn es um die Unterhaltung von 20 Regimentern Militär geht, die dem Herzog, trotz aller Rücksicht auf Kirche und Stipendien, wohl doch am nächsten lagen: Dort geht es schnell um Millionenbeträge. Er möchte seine Armee von knapp 10.000 auf 20.000 Mann aufstocken, Gotha weiter fortifizieren und umliegende Grafschaften wie die von Hohenstein im Harz erwerben, um sein Territorium zu vergrößern. Ähnliche Gedankenspiele zur Aufrüstung finden sich auch in den Akten, die das Militär betreffen.6LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv, WW IV 21 u. 24: Aufrüstung auf 23.000. Das Militär, genauer gesagt der Soldatenverleih, ist die zweite große Leidenschaft Friedrichs.
Das alles ist eine Wunschökonomie, zweifellos, aber sie bestimmt den Alltag des Fürsten.7Auch Christian war anfällig gegenüber solchen Wunschökonomien. So hat er eine „Specification, was die V [= Geister, mit denen Christian in Verbindung zu stehen glaubte] jedem Interessenten insonderheit, sowohl an baarem Gelde, als auch sonst zugedacht und versprochen haben“, aufgesetzt. Vgl. Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Bd. 2, Dresden 1874, S. 336f.: Es „haben ihn vom 7/17. April 1696 bis zum 4. Januar 1704 in 12 Terminen an baarem Gelde die V, wenn er Geduld habe, zu bringen versprochen 5,388,885 Rth. Davon solle bekommen seine Gemahlin 130000 Thlr., seine Tochter 600000 Thlr., die Frau von Unruhe, geborene Metsch, 130000 Thlr. Das übrige Geld ein Geheimer Rath von Pflugk, Canzler von Pflugk, Hausmarschall von Bose, Bergrath von Bose, Hofmeister von Uffel, Oberschenk von Metsch, Leibpage von Lischwitz, die Watzdorf’schen Waisen H. G. und er selbst (der Herzog) 2,467,000 Thlr. Die auszutheilenden Kleinodien, das geschmolzene Gold und Silber, Perlen und andere Kostbarkeiten ungerechnet, deren Werth das baare Geld wohl zehnmal übertrifft, die noch an diese oder jene vertheilt werden sollten und von denen auf den Herzog von Holstein-Glücksburg, seinen Schwiegersohn, allein eine Tonne geschmolzenes Gold und auf seine Gemahlin (des Herzogs Christian Tochter) ebensoviel nebst TR (Tinctur) allein repartirt wurde.“ Vgl. auch Christians Ausgaben-Wunschliste im Anschluss an seine alchemischen Rezepte in LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv, E XI Nr. 97. Vgl. zu letzterer Moenius: Die Transmutation. Moenius führt auch Materialien aus dem LATh – StA Altenberg, Schlossarchiv Eisenberg II.6, 10/558, an: „Unausgeführte Stiftungen des Durchl. Herrn Herzoges Christians zu Eisenberg“. Vgl. dort auch die Abschrift von Christians Tagebuch durch Martin Schmidt: II.6. Nr. 16/564. Vgl. weiter zu Christian und Friedrich Justus Nipperdey: Pläne sächsischer Herzöge. Rastlos treiben ihn die alchemischen Hoffnungen von Experiment zu Experiment. In Gotha hat er sein Labor direkt neben dem Schlafzimmer, und er ist sich nicht zu schade, selbst Hand anzulegen, auch wenn immer wieder Gläser zerbersten und der Erfolg sich nicht einstellen will. In wenigen Jahren verbraucht er ein knappes Dutzend von externen Beratern, denen er teilweise horrende Beträge zahlt.8Mulsow: Philalethes in Deutschland. Zu den Beständen vgl. Humberg: Der alchemistische Nachlaß. Nachdem er an den Baron von Gastorff ein schieres Vermögen verloren hat, ist er vorsichtiger geworden und hat sich auch diese Investitionen – diesmal sehr reale Beiträge, für die die Gothaer Untertanen schuften mussten – aufgelistet.9LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv, E XI Nr. 73*** (9), fol. 27. Vgl. Mulsow: Secret of Amsterdam.
Nur Jakob Friedrich Waitz bleibt in diesem Kommen und Gehen als Konstante: Friedrichs Leibarzt, der ihn 1676 sozusagen in die Alchemie eingeweiht hat, nachdem Friedrich auf einer Wien-Reise Blut geleckt hatte.10Mulsow: Jakob Friedrich Waitz. Der Vater war gerade gestorben, und nun hielt den jungen und ehrgeizigen Gothaer Herrscher nichts mehr. Das durch die Erbteilung arg dezimierte Territorium sollte größer und schöner werden als je zuvor.
Ganz anders als der sparsame Vater entwickelt sich Friedrich zu einem Unternehmer-Fürsten, einem „Entrepreneur“.11Zu solchem Unternehmertum vgl. Joel Mokyr: A Culture of Growth. Zu den ökonomischen Aspekten der Alchemie vgl. auch Vera Keller: „A Political Fiat Lux“. Was er für die Zahlungsforderungen der Brüder aufzubringen hat, versucht er durch den Aufbau eines einträglichen Subsidienhandels auszugleichen.12Andrea Thiele: The Prince as Military Entrepreneur? Dabei helfen ihm die Schulden, die der Kaiser für Subsidien bei ihm hat, das Prozessverfahren zu beschleunigen, das die Brüder ihm angehängt haben. Auf diese Weise möchte er den Reichshofrat als Instanz umgehen. Aus der kaiserlichen Bibliothek in Wien wiederum bezieht er alchemische Manuskripte. Zugleich bemüht er sich, neben den Einkünften durch die Waldbestände seines Territoriums die Erze und Bodenschätze des Thüringer Waldes aufzuwerten, indem er sich seinen alchemischen Experimenten hingibt. Die Alchemie kann ihm helfen, so die Überlegung, aus den unedlen Metallen Gold zu machen. Zur Not müssen Eisenerze auch aus Übersee importiert und auf Schiffen und Karren nach Gotha transportiert werden.13Mulsow: Alchemische Substanzen. Mit dem dort gewonnenen Gold lassen sich wiederum die Truppen aufstocken, die dann Geld bringen, und es lässt sich neues Land erwerben, um das Fürstentum zu arrondieren. Das neue Land, vor allem im Harz, birgt dann wieder Bodenschätze, die durch Alchemie aufgewertet werden.
Es ist alles ein Kreislauf, der zugleich reale Elemente und Wunschelemente enthält. Als Staats-Unternehmer versucht Friedrich im Stile eines risikofreudigen Spielers, die Ressourcen zu optimieren, seine Gewinne zu vergrößern und sie dann zu reinvestieren.14Mulsow: History of Knowledge. Kein Wunder, dass er sich in Amsterdam an der Börse betätigt: man kann gerade günstig auf Branntwein setzen? Ja, warum denn nicht! Wenn ihm, so überlegt er im November 1687, als er in Paris weilt und ihm verbotene Träume vom Truppenverleih an seinen neuen Freund Ludwig XIV. durch den Kopf gehen (immerhin der Feind des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation), der Verleih von 4 Regimentern Soldaten pro Tag 19200 Dukaten einbringen würden, demnach pro Woche 87600 und gar pro Jahr 5.990.400, oder über 11 Millionen Thaler. „Summa summarum“, schließt er, „3120000 Thaler Außgaben, 3 Millionen, 1 Tonne Goldes, bleibet […] 8 Millionen, 8 tonnen Goldes, 60800 Thaler“ an Gewinn. Auch das hält er in einem der Notizbücher fest, die er immer bei sich trägt.15LATh – StA Gotha, Kammer Immediate Nr. 1759: Herzog Friedrichs gethane Reise nach Holland nebst Reiserechnung, 1688, fol. 34v/35r.
Friedrich als Unternehmer, Friedrich als Spieler, Friedrich als Jäger. Am Abend des Bußtages ist er doch noch in den Wald geritten und hat einen Zwölfender geschossen. Es gibt in Gotha eine Porträtbüste Friedrichs aus Terrakotta – das war billiger als Marmor –, die übermalt war, als wäre sie aus Stein, und die den Fürsten in seinen späten Jahren zeigt.16Vgl. Schuttwolf: Sammlung der Plastik, S. 112, Nr. 41. Dort ist die Statue tentativ auf „um 1690“ datiert, aber keinem Künstler zugeschrieben. Vielleicht hat er sie anfertigen lassen, als er sich im Sommer 1688 – drei Jahre vor seinem frühen Tod – in Amsterdam aufgehalten hat und dort die Plastiken von Bartholomäus Eggers bewunderte. Auch in Amsterdam war er, um heimlich Alchemie zu betreiben und Truppenverleihungen zu organisieren, auch wenn er seinen Räten zuhause in Gotha weismachte, er wolle sich lediglich um Holzlieferungen kümmern.17Mulsow: The Secret of Amsterdam. Auf der Büste jedenfalls lächelt Friedrich still in sich hinein. Er lächelt, so als sehe er vor seinem geistigen Auge all die Erfolge, für die ihm seine Nachfahren einst danken würden. Ein großes Gotha. Ein prosperierendes Gotha. Der Erfolg ist ganz nah.
Verfasser: Prof. Dr. Martin Mulsow (Erfurt/Gotha)
Hinweis: Der Beitrag erscheint zum 375. Geburtstag von Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1646–1691) am 15. Juli 2021.
Bibliographie:
Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg: Tagebücher von 1667–1686. Hrsg. von Roswitha Jacobsen und Juliane Brandsch, 3 Bde. Weimar 1998–2003.
Vera Keller: „A Political Fiat Lux“. Wilhelm von Schroeder (1640–1688) and the Co-Production of Chymical and Political Oeconomy, in: Sandra Richter und Guillaume Garner (Hg.): ‚Eigennutz‘ und ‚gute Ordnung‘: Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2016, S. 353–378.
Oliver Humberg: Der alchemistische Nachlaß Friedrichs I. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Elberfeld 2005.
Thomas Moenius: Die Transmutation als erwartete Möglichkeit zur Finanzierung von Ausgaben am Hofe des Herzogs Christian von Sachsen-Eisenberg, in: Martin Mulsow und Joachim Telle (Hg.): Alchemie und Fürstenhof. Frühneuzeitliche Alchemica in Handschrift und Druck auf Schloss Friedenstein in Gotha. Stuttgart (im Erscheinen).
Joel Mokyr: A Culture of Growth: The Origins of the Modern Economy. Princeton 2016.
Martin Mulsow: Philalethes in Deutschland. Alchemische Experimente am Gothaer Hof 1679–1683, in: Stefan Laube und Petra Feuerstein-Herz (Hg.): Goldenes Wissen. Die Alchemie – Substanzen, Synthesen, Symbolik. Wolfenbüttel 2014, S. 139–154.
Martin Mulsow: Alchemische Substanzen als fremde Dinge, in: Birgit Neumann (Hg): Präsenz und Evidenz fremder Dinge im Europa des 18. Jahrhunderts. Göttingen 2015, S. 43–72.
Martin Mulsow: Ökonomie des Wissens, Wissen der Ökonomie und Wissensökonomie, in: Sandra Richter und Guillaume Garner (Hg.): ‚Eigennutz‘ und ‚gute Ordnung‘. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2016, S. 295–300.
Martin Mulsow: History of Knowledge, in: Marek Tamm und Peter Burke (Hg.): Debating New Approaches to History. London 2019, S. 159–173 und 179–187
Martin Mulsow: The Secret of Amsterdam. Alchemy, Politics, and the Commodification of Knowledge in the 17th Century, in: Inger Leemans und Anne Goldgar (Hg.): Early Modern Knowledge Societies as Affective Economies. London 2020, S. 111–140.
Martin Mulsow: Jakob Friedrich Waitz und die Alchemie am Gothaer Hof, in: Martin Mulsow und Joachim Telle (Hg.): Alchemie und Fürstenhof. Frühneuzeitliche Alchemica in Handschrift und Druck auf Schloss Friedenstein in Gotha. Stuttgart (im Erscheinen).
Justus Nipperdey: Nipperdey: Pläne sächsischer Herzöge für die Verwendung alchemischer Reichtümer, in: Martin Mulsow und Joachim Telle (Hg.): Alchemie und Fürstenhof. Frühneuzeitliche Alchemica in Handschrift und Druck auf Schloss Friedenstein in Gotha, Stuttgart (im Erscheinen).
Allmuth Schuttwolf: Sammlung der Plastik, Schlossmuseum Gotha 1150–1850. Gotha 1995.
Andrea Thiele: The Prince as Military Entrepreneur? Why Smaller Saxon Territories Sent ‘Holländische Regimenter’ (Dutch Regiments) to the Dutch Republic, in: Jeff Fynn-Paul (Hg.): War, Entrepreneurs, and the State in Europe and the Mediterranean, 1300–1800. Leiden 2014, S. 170–192.
Siegrid Westphal: Kaiserliche Rechtsprechung und herrschaftliche Stabilisierung. Reichsgerichtsbarkeit in den thüringischen Territorialstaaten 1648–1806. Köln 2002.
Abbildungen:
- Jagdschloss Hummelshain. Foto: Förderverein Schloss Hummelshain e. V.
- LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv, E XI Nr. 73*** (9), fol. 27.
- LATh – StA Gotha, Kammer Immediate Nr. 1759: Herzog Friedrichs gethane Reise nach Holland nebst Reiserechnung, 1688, fol. 34v/35r.
- Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Büste von Friedrich I. von Sachsen-Gotha-Altenburg.
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