Notizen aus dem Gothaer Bibliotheksturm, Folge 8

/ Juni 2, 2020

Was tun bei der Pest? Thomas Reinesius (1587–1667) gibt Ratschläge

Derzeit wird in allen Medien über die Bekämpfung des Covid-19-Virus berichtet. Wie so oft, so hilft auch hier ein Blick in die Geschichte, um sich ein wenig zu orientieren und Abstand zu gewinnen, um das, was uns gerade widerfährt, besser einordnen und verstehen zu können. Denn Pandemien und Seuchen sind natürlich keine neuen Erfahrungen, wie die Medizinhistorikerinnen und Medizinhistoriker immer wieder betonen. Eine entsprechende Bildungskampagne läuft seit einiger Zeit auf dem Blog des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. In der Tat lassen sich in vielen Bibliotheken, Archiven und Museen mit einem historischen Bestand zahlreiche Handschriften, Archivalien, Drucke und museale Objekte ausfindig machen, die uns etwas über die persönlichen Erfahrungen einer Seuche bzw. über die medizinischen Behandlungen derartiger Krankheiten zu berichten haben. Manchmal verdichten sich hierbei persönliche Schicksale zu einer Geschichte, die es wert ist, erinnert zu werden.

Kupferstich von Thomas Reinesius. © Forschungsbibliothek Gotha (CC BY-SA 4.0)

Thomas Reinesius wurde am 13. Dezember 1587 in Gotha geboren. Der hochbegabte Junge besuchte das dortige Gymnasium Illustre, ehe er seit 1603 in Wittenberg Philosophie (mit einem besonderen Schwerpunkt in der Philologie) und anschließend Medizin, vor allem bei Daniel Sennert (1572–1637), studierte. 1607 setzte er sein Studium in Jena fort, wo er 1608 den Magistergrad in Philosophie erwarb. Nach Zwischenstationen in Prag und Frankfurt/Oder folgte seit 1613 ein längerer Aufenthalt in Italien, überwiegend in Padua, wo Reinesius den berühmten Mediziner Girolamo Fabrizio da Acquapendente (1533/37–1619) hörte. Die Rückreise führte ihn über Basel, wo er zum Doktor der Medizin promoviert wurde. Nach einem Aufenthalt in Altdorf, wo sich seine Hoffnung auf eine Professur in der Medizin nicht erfüllte, ging er 1616 als Stadtphysikus nach Hof (Saale). Bereits 1618 nahm er einen Ruf nach Gera als Inspektor und Professor des Gymnasiums an. Wenig später wurde er dort auch gräflich-reußischer Leibarzt. 1627 wechselte Reinesius als herzoglich-sächsischer Leibarzt und Stadtphysicus nach Altenburg. Aufgrund seiner Verdienste in der Pestzeit erwählten die Altenburger ihn zugleich zum Bürgermeister. In diesen Ämtern verblieb er bis 1657. Auswärtige Berufungen an Universitäten lehnte er ab. 1660 wurde er schließlich kursächsischer Rat und Leibmedicus in Leipzig. Dort widmete sich vor allem der Philologie, seiner großen privaten Leidenschaft. Er verstarb am 16. Februar 1667 im Alter von 79 Jahren in Leipzig.

Sowohl in Gera als auch in Altenburg erlebte Reinesius Pestepidemien, die Europa im 17. Jahrhundert in einem steten Rhythmus heimsuchten und die eine unendlich große Herausforderung für die Ärzte und eine ebensolche Belastung für die Gesellschaft bedeuteten. Zu dieser Zeit kannte man weder die Übertragungswege dieser Krankheit (erst 1894 wurde das Bakterium Yersinia pestis identifiziert, das vor allem durch Ratten übertragen wird) noch verfügte man über gute Medikamente, um sie mit nachweisbaren Erfolg behandeln zu können. Gleichwohl mussten die Ärzte ihrer Aufgabe nachkommen, und oft genug setzten sie ihr eigenes Leben ein, blieben vor Ort, behandelten die Patienten, infizierten sich und starben im schlimmsten Falle selbst an der Pest, wie der oben erwähnte Daniel Sennert. Die große Frage war: Wie sollte man die Bevölkerung schützen? Reinesius hat zwei auf Deutsch verfasste Berichte und Ratgeber veröffentlicht, die uns einen Einblick in den Umgang mit dieser Seuche bieten. Hochmut ist hier fehl am Platze, wie uns die gegenwärtige Pandemie belehrt. Die Medizin wächst an ihrem Wissen, hat aber immer die Unwissenheit an ihrer Seite.

Es ist ein Topos der Epoche der Frühen Neuzeit, dass jede „erschröckliche Pestilentz“ als eine Strafe Gottes angesehen wurde, der damit die Sünden der Menschen bestrafe. Wahre Buße, andächtige Gebete und ein christlicher, gottseliger Lebenswandel sind die allein angemessenen Handlungen, um Gott Milde zu stimmen und seine Gnade zu erhoffen. Doch diese Haltung darf, so betonten die Ärzte der Zeit, nicht dazu führen, dass man die ja ebenfalls von Gott gereichten Heilmittel verachten solle. Ganz im Gegenteil. Dies ist auch der Grund, weshalb Reinesius es als seine Pflicht ansah, der gesamten Bevölkerung, sofern sie nur des Lesens mächtig war, in einfacher Sprache Ratschläge an die Hand zu geben.

Aus dem Consilium pestis prophylacticum. Rath oder Bericht was bei Pestseuche zu thun und zu lassen sey (Gera 1625) kann man entnehmen, dass Reinesius zum einen eine innerliche Verderbung des Leibes durch natürliche Feuchtigkeit und zum andern eine äußerliche Ansteckung, die von „vergiffteter böser Lufft herrühre und erhalten“ (S. 5) werde, als Ursachen der Pest benannte. Dass die Pest durch Körperkontakt übertragen wurde, war seit langem bekannt und führte bereits im Mittelalter zur Einrichtung der Quarantäne, die wir gerade auch wieder als ein Mittel der Infektionsreduzierung kennenlernen. Um die innerliche „Verderbung“ des Leibes zu kurieren, empfahl Reinesius gemäß den üblichen Behandlungsmethoden der Zeit die vollkommene Entleerung und Reinigung des Leibes durch abführende Mittel. Erbrechen, Aderlass und Schwitzen waren hierfür die gängigen Instrumente. Dazu sollte eine Maßhaltung des Lebens kommen, die der Erhaltung des Leibes diene. Als dritter Punkt wird die Behandlung mit natürlichen Heilkräutern beschrieben, die durchaus in der Lage seien, dem Gift der Seuche Einhalt zu gebieten. Die Empfehlung lautet dann konkret wie folgt:

„Innerlich bewahret für [vor] des Pestilentzischen Giffts Anfall: Elßnischer wurtzeln/ Hertz oder Hirtzwurz/ cervaria al. meum genant/ Entzian/ Liebstöckel/ Veielwurtz/ Angelick/ Zitwer/Sterlucey/Bibenel- unnd Schwalbenwurtz/ zuvor in Essig geweicht/ unnd wiederumb getrücknet/ (dieweil sonst leichtlich Kopffweh davon entstehet) stetiges gekewet/ oder Citronenschalen/ Meister- und Eberwurtz: Ander Gewürtz/ sonderlich Nägelein zukäwen ist gefehrlich/ dieweil sie/ wie die Gelehrten darvon halten/ den Gifft nach sich ziehen.“ (S. 24)

All dies sind gängige Kräuter, die damals in den Haushalten vorhanden gewesen sind und deren Anwendungen man in den zahlreichen Kräuterbüchern nachlesen konnte. Oftmals verfügten auch die sog. Kräuterhexen über ein sehr gutes Wissen hinsichtlich der Mischung derartiger Kräuter und ihrer Heilanwendungen. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Zwei-Klassen-Medizin bereits zu dieser Zeit bestand. Denn nachfolgend beschreibt Reinesius die „Küchenmedizin“ der „Vermögenden“, die „alle Morgen mit Rosenwasser und Pestilentz/ Theriack/ oder RautenEssig/ beydes gleich viel zusammen gemischt“ (ebd.) gurgeln sollen. Theriack galt zu dieser Zeit als Allheilmittel, wie man auch in anderen Zusammenhängen lesen kann.

Für wichtiger als diese innere Behandlung der Krankheit hielt Reinesius jedoch das „Social Distancing“. Denn die äußerliche Ansteckung bezeichnete er als „fast die eigentlichste ursach jetzo grassirender Seuchen“ (S. 33f.). Und genau wie heute sah er die Aufgabe der Obrigkeit und jedes Einzelnen darin, diese körperliche Distanz durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen bzw. die Anordnungen zu befolgen. Die Quarantäne konnte hierbei darin bestehen, das Haus einer/s Infizierten hermetisch zu verriegeln, ggf. sogar Türen und Fenster zu vermauern, um ein Verlassen desselben zu verhindern. Ganze Familien verloren auf diese Weise ihr Leben. Auch wurden ganze Ortschaften von Soldaten abgeriegelt, wie sich aus alten Archivalien entnehmen lässt. Dass Reinesius als Arzt gleich mehrere Pestepidemien überlebte, erscheint vor dem Hintergrund der enorm hohen Mortalitätsrate fast wie ein Wunder.

Autor: Dr. Sascha Salatowsky, 2.6.20

Bibliographie:

Quellen:
Consilium pestis prophylacticum. Rath oder Bericht was bei Pestseuche zu thun und zu lassen sey. Gera 1625. FB Gotha, Med 4° 108/4 (6). Volldigitalisat: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd17/content/titleinfo/468941.
Gründlicher Bericht von Art und Eigenschafft der ietzo vagirenden Sterbens-Seuche. Altenburg 1681. FB Gotha, Med 4° 84/2 (1).

Literatur:
Bernhard Schuchardt: Lebensbeschreibungen berühmter Ärzte und Naturforscher, welche aus Thüringen stammen. X. Thomas Reinesius. Separat-Abdruck aus den Correspondenz-Blättern des Allgemeinen ärztlichen Vereins aus Thüringen 1888, S. 1–20.
Sascha Salatowsky, Michael Stolberg (Hg.): Eine göttliche Kunst. Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit. Gotha 2019 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha, Bd. 55), S. 173–183.

Porträt:
Jacob Brucker: Ehren-Tempel der Deutschen Gelehrsamkeit, in welchem die Bildnisse gelehrter, und um die schönen und philologischen Wissenschaften verdienter Männer unter den Deutschen aus dem XV. XVI. und XVII. Jahrhunderte aufgestellet, und ihre Geschichte, Verdienste und Merckwürdigkeiten entworfen sind. Augsburg 1747, S. 110.

 

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