Am Martinstag getauft: Martin Luther und Martin Chemnitz
Am 10. November 1483 ist Martin Luder († 1546), der sich später Luther nannte, in der Stadt Eisleben im Mansfeldischen geboren. Fast vierzig Jahre später, am 9. November 1522, erblickte Martin Chemnitz († 1586) in der brandenburgischen Kleinstadt Treuenbrietzen das Licht der Welt. Entsprechend dem damaligen Brauch, Kinder möglichst früh taufen zu lassen, fanden ihre Aufnahme in die christliche Gemeinde einen bzw. zwei Tage nach der Geburt am 11. November, dem Tag des Heiligen Martin von Tours († 397), statt. Die Eltern entschieden sich in beiden Fällen, ihren Sohn nach diesem frühchristlichen Märtyrer zu nennen.
Luther und Chemnitz waren nicht nur Namensvetter, sondern hatten auch gemeinsam, dass sie Schlüsselrollen in der Wittenberger Reformation einnahmen: der eine in der ersten und der andere in der zweiten Generation. So wird Chemnitz gelegentlich in der Kirchengeschichtsschreibung als „der zweite Martin“ bezeichnet.
Infolge des Todes von Luther 1546 entstand eine Autoritätskrise in den lutherischen Kirchen und als Kaiser Karl V. (1500–1558) die Rekatholisierung der protestantischen Städte und Territorien nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg 1547 forcieren wollte, folgte auch eine existentielle Krise für die jungen Kirchen. In diesen unsicheren Zeiten entstanden mehrere innerkonfessionelle Kontroversen. Nach langwierigen Verhandlungen seit Ende der 1560er Jahre wurde eine theologische Konsensgrundlage 1577 mit der sogenannten Konkordienformel geschaffen, die die überwiegende Mehrheit der lutherischen Reichsstände unterschreiben konnte. Einer der Hauptverfasser dieses bedeutsamen Einigungswerks war Martin Chemnitz.
Chemnitz (Abb. 1), geboren vor 500 Jahren als Sohn eines Tuchmachers, hatte während seiner akademischen Bildungsjahre zwischen 1536 und 1548 auch unter Luther und Philipp Melanchthon (1497–1560) studiert. Seit 1550 wirkte er als Bibliothekar des preußischen Herzogs Albrecht (1490–1568) in Königsberg. In den frühen Jahren seiner Karriere war Chemnitz auch an den Lateinschulen in Calbe und Kneiphof sowie an der Universität Wittenberg tätig. 1554 wurde er als stellvertretender Superintendent nach Braunschweig berufen; 1567 erhielt er dieses Amt offiziell. Im folgenden Jahr promovierte er zum Doktor der Theologie an der Universität Rostock. Ende der 1560er Jahre verfasste Chemnitz eine neue Kirchenordnung für die Stadt Braunschweig und war an der Einführung der Reformation im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel wesentlich beteiligt.
Seit seiner Teilnahme an den zwischenkonfessionellen Verhandlungen beim Wormser Religionsgespräch 1557 wuchs sein Ansehen als Wortführer der Lutheraner zunehmend. Seine vierteilige, zwischen 1566 und 1573 veröffentlichte Kritik an den Beschlüssen der römisch-katholischen Kirche auf dem Konzil von Trient wurde zum Standwerk für die konfessionelle Abgrenzung lutherischer Theologen auch in den folgenden Generationen.
In den handschriftlichen Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha zur Reformationsgeschichte ist dieser hervorragende Theologe vor allem in Verbindung mit seinem Engagement für das innerlutherische Konkordienwerk stark vertreten. Darüber hinaus sind seine Arbeit an einer Harmonie der historischen Erzählungen der vier Evangelien (Chart. B 160), drei Originalbriefe (Chart. A 406, Bl. 12r–13v; Gym. 5, Bl. 39r–v; 40r–v) (Abb. 2) und eine Stellungnahme zu dem 1574 verfassten Bekenntnis der verwitweten Herzogin Dorothea Susanna von Sachsen-Weimar (1544–1592) (Theol 2° 304/1, Bl. 42r) hervorzuheben. Wie die Konkordienformel bezog sich letzteres ebenso auf die innerlutherischen Differenzen der vergangenen Jahrzehnte.
Am 8. April 1586 starb Martin Chemnitz in Braunschweig und wurde – bemerkenswerterweise – in der dortigen Martinikirche beigesetzt.
Daniel Gehrt
Daniel Gehrt ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften an der Forschungsbibliothek Gotha.
Literatur
- Katalog der Reformationshandschriften. Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft (Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha 2). Beschrieben von Daniel Gehrt. Wiesbaden 2015.
- Hendrik Klinge: Verheißene Gegenwart. Die Christologie des Martin Chemnitz. Göttingen 2015.
- Theodor Mahlmann: Martin Chemnitz, in: Martin Greschat (Hrsg.): Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 6: Die Reformationszeit II. Stuttgart u.a. 1984, S. 315–331.
- Wolfang Runschke: Evangelienharmonien. Martin Chemnitz (1522–1586), in: Daniel Gehrt und Sascha Salatowsky: Aus erster Hand. 95 Porträts zur Reformationsgeschichte. Aus den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha 51). Gotha 2014, S. 36f., Nr. 18.
- Jürgen Udolph: Martinus Luder – Eleutherius – Martin Luther. Warum änderte Martin Luther seinen Namen? Heidelberg 2016.
Web
- Online-Recherchen zu Beständen in der Forschungsbibliothek Gotha zu Martin Chemnitz mit dem Kalliope-Portal: https://kalliope-verbund.info (letzter Zugriff: 11.11.2022).
- Eigenhändige Briefe von Martin Chemnitz in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha (letzter Zugriff: 11.11.2022).
- Chart. A 406; Bl. 12r–13v: Chemnitz an Melchior Weidmann und Simon Steiger (1568): https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-157381-8-0276
- Gym. 5, Bl. 39r–v: Chemnitz an Christoph Vischer (1576): https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-157173-8-0824
- Gym. 5, Bl. 40r–v: Chemnitz an die Stadtgeistlichen in Celle (1576): https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:urmel-ufb-157173-8-0842