Ein Gothaer Gelehrter in Oxford

/ Februar 15, 2023

Die Veröffentlichung von Ernst Salomon Cyprians Briefwechsel in „Early Modern Letters Online“

 

Für die Forschungsbibliothek Gotha ist die Beteiligung an Daten- und Ressourcenvernetzungen wichtiger Bestandteil ihrer sammlungsbezogenen Forschung und ihren damit verbundenen Digital-Humanities-Aktivitäten. Dies gilt insbesondere auch für die frühneuzeitlichen Sammlungen, die im Rahmen des Schwerpunkts Reformations- und Protestantismusgeschichte der Bibliothek erschlossen werden. Ganz in diesem Sinne wurde nun nach Abschluss des DFG-Projekts zur Katalogisierung der Handschriften aus dem Nachlass Ernst Salomon Cyprians (1673–1745), die im Verbundkatalog Kalliope, nationales Nachweisinstrument für Nachlässe, Autographen und Verlagsarchive, und in gedruckter Form zugänglich sind, ein weiterer Meilenstein erreicht. Die 4.274 Briefe aus Cyprians Korrespondenz mit 784 Briefpartnern im Alten Reich und in anderen Teilen Europas sind nunmehr auch in Early Modern Letters Online (EMLO) zugänglich. EMLO ist eine webbasierte, internationale Metaplattform für Korrespondenzen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die Datenbank dient als „research hub“ für die Frühneuzeitforschung. Entstanden ist sie im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts „Cultures of Knowledge“ an der Universität Oxford unter Mitarbeit der Bodleian Library Oxford. Von den mehr als 150 Korrespondenzen, die bereits im Verbundkatalog aufgenommen worden sind, zählt der Cyprian-Briefwechsel zu den umfangreichsten Sammlungen. Unterstützt wurde der Transfer von Nodegoat, einer webbasierten Datenmanagement-, Netzwerkanalyse- und Visualisierungsumgebung.

Abb. 1: Ölgemälde mit Porträt von Ernst Salomon Cyprian (vor 1733)

Ernst Salomon Cyprian (Abb. 1) gehörte zu den bedeutendsten Kirchenhistorikern der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als führender Vertreter der späten lutherischen Orthodoxie verteidigte er die Legitimität der staatlich kontrollierten lutherischen Kirchen und der maßgeblichen Bekenntnisschriften. Er benutzte allerdings die Theologie selten zu diesem Zweck. Stattdessen bediente er sich in seinen historiographischen Arbeiten häufig argumentativer Strategien von Hugo Grotius und anderen Naturrechtstheoretikern.

1673 als Sohn eines Apothekers im fränkischen Ostheim geboren, besuchte Cyprian die Schulen in den nahegelegenen Städten Salzungen und Schleusingen. Er schrieb sich an den Universitäten Leipzig und Jena ein und konzentrierte sein Studium zunächst auf Medizin, später auf Theologie. Sein besonderes Interesse an der Kirchengeschichte veranlasste ihn 1698, seinem Mentor Johann Andreas Schmidt nach Helmstedt zu folgen, wo er eine außerordentliche Professur für Geschichte und Logik erhielt. Insbesondere seine geschickten Widerlegungen von Gottfried Arnolds höchst umstrittener „Unparteyischer Kirchen- und Ketzerhistorie“ (1699/1700) brachten Cyprian einen Ruf als Historiker ein. Anschließend wurde er 1703 auf Empfehlung von Gottfried Wilhelm Leibniz in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin aufgenommen.

Im Jahr 1700 hatten die ernestinischen Herzöge Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg und Heinrich von Sachsen-Römhild Cyprian zum Theologieprofessor und Direktor des Casimirianums in Coburg gemacht. Die Fürsten hatten ein besonderes Interesse an Cyprians historiografischen Arbeiten und finanzierten beispielsweise seine Reise in die Niederlande im Jahr 1704, um Informationen über verschiedene Denominationen für Studien zur zeitgenössischen Kirchengeschichte zu sammeln. 1713 ernannte Herzog Friedrich II. Cyprian zu seinem Kirchenrat in Gotha, wo er bis zu seinem Tod 1745 blieb. Als solcher engagierte er sich in der innerprotestantischen Politik auf Reichs- und Europaebene. Neben seinen anderen Aufgaben auf Schloss Friedenstein arbeitete Cyprian kontinuierlich an einer umfassenden Geschichte des Christentums von 1500 bis zu seiner Zeit. Außerdem war er Leiter der Hofbibliothek. In diesem Amt erweiterte er energisch die Sammlungen, insbesondere diejenigen, die seine eigenen wissenschaftlichen Interessen betrafen, und förderte den Ruf der Bibliothek in ganz Europa durch verschiedene Veröffentlichungen und sein umspannendes Gelehrtennetzwerk (Abb. 2).

Abb. 2: Visualisierung der Korrespondenz Ernst Salomon Cyprians mit Hilfe von Nodegoat. Map data ©2022 Google.

Digitalisate der mehr als 3.950 Briefe in der 26-bändigen Sammlung von Cyprians Korrespondenz in der Forschungsbibliothek Gotha (Chart. A 422–447) werden in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha (DHB) nach und nach zugänglich gemacht. Die Bände Chart. A 422–440 stehen bereits zur Verfügung.

Die Forschungsbibliothek Gotha plant, künftig weitere Korrespondenzen in EMLO zu importieren, einschließlich des Briefwechsels des Juristen, Staatstheoretikers und Historikers Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692). Die Gothaer Korrespondenzen werden dabei auf internationaler Ebene eingespeist, damit sichtbarer und in internationalen Forschungskontexten besser zugänglich. Dies ermöglicht weitere Vernetzungen und Kontextualisierungen, corpusübergreifende Auswertungsmöglichkeiten und somit neue Impulse und Erkenntnisse für die Forschung – etwa für eine transnational und -konfessionell ausgerichtete Geschichte der europäischen Gelehrtenrepublik.

Hendrikje Carius und Daniel Gehrt

Hendrikje Carius ist promovierte Historikerin, Leiterin der Abteilung Benutzung und Digitale Bibliothek sowie stellvertretende Direktorin der Forschungsbibliothek Gotha.

Daniel Gehrt ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Erschließung frühneuzeitlicher Handschriften an der Forschungsbibliothek Gotha.

Literatur

  • Hendrikje Carius: Europäische Gelehrtennetzwerke digital rekonstruieren: Vernetzung von Briefmetadaten mit Early Modern Letters Online (EMLO), in: Bibliotheksdienst 55, 1 (2021), S. 29–41, https://doi.org/10.1515/bd-2021-0008.
  • Daniel Gehrt: Arguing for the Moral Necessity of Reformation History. Ernst Salomon Cyprian’s Historiographic Use of Natural Law in Defense of the Lutheran Church, in: Daniel Gehrt, Markus Matthias, Sascha Salatowsky (Hrsg.): Reforming Church History. The Impact of the Reformation on Early Modern European Historiography (Gothaer Forschungen zur Frühen Neuzeit 22), Stuttgart 2023, S. 243–270.
  • Howard Hotson, Thomas Wallnig (Hrsg.): Reassembling the Republic of Letters in the Digital Age: Standards, Systems, Scholarship, Göttingen 2019.
  • Katalog der Handschriften aus dem Nachlass Ernst Salomon Cyprians (1673–1745). Aus den Sammlungen der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Stiftung für Kunst und Wissenschaft sowie aus den Beständen des Landesarchivs Thüringen – Staatsarchiv Gotha und der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Gotha, Augustinerkloster (Die Handschriften der Forschungsbibliothek Gotha 5). Beschrieben von Daniel Gehrt, Wiesbaden 2021.

Weblinks

Abbildungsnachweis

  1. Ölgemälde mit Porträt von Ernst Salomon Cyprian (vor 1733). FB Gotha, Inv.-Nr. 817.
  2. Visualisierung der Korrespondenz Ernst Salomon Cyprians mit Hilfe von Nodegoat. Map data ©2022 Google.
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