Müntzers Prager Manifest
Nachdem Thomas Müntzer (ca. 1489-1525), Vertreter der radikalen Reformation, im April 1521 aus Zwickau wegen des Verdachts verwiesen worden war, einen politisch-religiösen Umsturz in der Bürgerschaft anzuzetteln, zog es ihn weiter nach Prag. Hier versuchte er mit dem sogenannten Prager Manifest die aus der hussitischen Bewegung hervorgegangen Böhmischen Brüder von seinen Ideen zu überzeugen.
Im Prager Manifest fasste Müntzer erstmals seine radikalen theologischen Ansichten zusammen und machte sie durch öffentlichen Anschlag publik. Insbesondere attackierte er die Priesterschaft, welche seiner Ansicht nach die Aussagen der Bibel verfälschte. Er warf den Geistlichen vor, unreflektiert die Lehrmeinungen der Autoritäten wiederzugeben, anstatt sich selbst mit der Heiligen Schrift auseinanderzusetzen. Das führe zu einer willkürlichen Aneinanderreihung von Bibelzitaten, die in dieser Form kein Laie verstehen könne. Ohne ein tieferes Verständnis der Heiligen Schrift sei es auch unmöglich, die Ungläubigen davon zu überzeugen. Zudem predigten sie nicht Gottes Botschaft, sondern lediglich die Furcht vor Gott, um sich somit das christliche Volk zu unterwerfen. Der Amtskirche attestierte er, dass sie ihre eigentlichen Aufgaben Seelsorge und Mission vernachlässige. Die Ursache hierfür sei, dass die Priester nicht vom Volk gewählt würden. Er rufe daher alle Christen auf, die göttliche Wahrheit zu verteidigen. Er selbst erkläre sich bereit, für seine Auffassung Zeugnis abzulegen, wenn man ihn nur predigen ließe. Die theologischen Ideen fanden jedoch keinen Widerhall und kurze Zeit später verließ er Prag.
Das Manifest ist in der vorliegenden lateinischen Fassung sowie in einer kurzen und einer längeren deutschen Bearbeitung überliefert. Darüber hinaus gibt es noch eine unvollständige Abschrift in tschechischer Sprache.
Über das Schicksal der Handschrift im 16. und 17. Jahrhundert ist wenig bekannt. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde diese mit anderen Autographen angeblich von dem schwedischen Offizier Samuel Ebert in einem thüringischen Kloster gefunden. Von diesem gelangten sie an den Altenburger Verwaltungsbeamten Friedrich Förster. Dessen Sohn Friedrich Günther Förster veräußerte die Sammlung 1718 an die Herzogliche Bibliothek zu Gotha.
Das Manifest war zur Zeit des Kaufs mit anderen Texten in einem Folioband gebunden, der heute unter der Signatur Chart. A 388 aufbewahrt wird und einst 114 Texte und Briefe von der Reformation bis 1600 enthielt. Der Leiter der Bibliothek Ernst Salomon Cyprian hat zehn ihm besonders bedeutsam erscheinende Schriften herauslösen und in einen Sammelband binden lassen, der heute die Signatur Chart. A 379 trägt. Gegen Ende des 19. Jh. wurde das Prager Manifest aus diesem Konvolut entnommen und separat unter der Signatur Chart. A 379a in einer Mappe gebunden.
(Text: Wolfgang Runschke, Daniel Miksch)
Literatur
Editionen
Thomas Müntzer: Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Unter Mitarbeit von Paul Kirn hrsg. von Günther Franz. Gütersloh 1968.
Thomas Müntzer: Prager Manifest. Faksimiledruck der lateinischen Originalhandschrift aus der Forschungsbibliothek Gotha. Hrsg. von Hans-Joachim Rockar. Mit Beiträgen von Max Steinmetz und Friedrich de Boor und einer Übersetzung von Winfried Trillitzsch. Leipzig 1975.
Literatur
Ulrich Bubenheimer: Thomas Müntzer. Prediger – Prophet – Heerführer. In: Thomas Müntzer (vor 1491–1525). Prediger – Prophet – Bauernkriegsführer. Hrsg. von Günter Scholz. Böblingen 1990, S. 19-49.
Marion Dammaschke und Günter Vogler: Thomas-Müntzer-Bibliographie (1519-2012). Baden-Baden 2013.
Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer. Mystiker-Apokalyptiker-Revolutionär. München 1989.
Siegfried Bräuer: Thomas Müntzer von Stolberg. Neue Forschungen zur Biographie und zum familiären Umfeld. Mühlhausen 2003.
Thomas Kaufmann: Thomas Müntzer, ‚Zwickauer Propheten‘ und sächsische Radikale: eine quellen- und traditionskritische Untersuchung zu einer komplexen Situation. Mühlhausen 2010.
Thomas Müntzer: Prager Manifest. Einführung von Max Steinmetz. Mit einem Beitrag zur Textgeschichte von Friedrich de Boor. Leipzig 1975.